Die Lynchjustiz war gestern
Die eigentlich sich dahinter befindende Philosophie ist leider nicht tot zu kriegen, denn die ist Teil des NSA-Spektakels. Zum Beispiel. Und sie wurde von Zuckerberg wie folgt auf den Punkt gebracht (und worauf ich mich indirekt hierin bezogen habe): „Ich verstehe Ihre Frage nicht. Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten.“
Es ist die Philosophie des totalen Staates, und als solche ein scheinbares Paradox ob der Behauptung der Abwicklung des Staates im globalen Kapitalismus. Doch genau das ist ja der Witz. Statt des sauberen Staats, des korruptions(be)frei(t)en Politikers, ja statt der Kritik der politischen Ökonomie, wie der Kritik des Bürgers überhaupt, ja statt des bürgerlichen Individuums (immer schon ein schräger Begriff) bekommen wir den sauberen Bürger. Den gesäuberten. Und es soll da keiner behaupten, es wäre der Regierung nicht möglich, sich den neuen Bürger zu schaffen, Bert Brecht in allen Ehren. Und das spart tatsächlich den Knast. Und statt elektronische Fußfesseln, moralische, moralin-saure. Den Knast sowohl verinnerlicht als auch überwunden habend. Denn was droht uns? Nicht der Knast! Der wäre harmlos. Ja der wäre geradezu eine Erlösung. Es droht uns die totale Isolation. Einen völlig anderen Knast. Niemand mehr nimmt jemanden wahr, der auf Abwegen ist, der Abwegiges verlautbaren lässt, ja denkt. Solche Subjekte, solche Individuen sind einfach nicht anwesend, sowenig wie die Realität, die in unseren Medien heute nicht abgebildet wird.
Die Lynchjustiz war gestern, heute ist es der Shitstorm. Morgen ist es die Abwesenheit jeglichen Storms.
Der Gefahr ins Auge sehen!
Natürlich, Twitter kann man sich entziehen, aber nicht der Philosophie, die dahintersteht. Die nimmt Einzug, mit oder ohne Twitter. Und auch wenn es so ist, dass mit jeder neuen Technologie neuer Wohlstand einkehrt, scheint es mir, dass die sozialen Verwüstungen immer größer werden. Diese Verwüstungen sind aber nicht immer nur materieller/materialer Natur, sondern zunehmend geistiger. Und mit diesen können wir uns nur auseinandersetzen, mit der neuen Technologie, nicht gegen sie. Im postindustriellen Zeitalter, was nun auch einher zu gehen scheint, mit einem postmedialen Zeitalter (Stichwort: Krise der Printmedien), wird es immer schwieriger die Leute dort anzutreffen, wo sie sich aufhalten. Denn wo halten sie sich auf? Weitestgehend im WorldWideWeb. Unsere Kommunikationswege werden zunehmend virtuell, wie überhaupt unsere Beziehungen. Sie werden flüchtiger, scheinbar chaotischer, doch geordnet durch eine unsichtbare Hand. Früher war das mal der Markt, heute darin wohl nur noch der Datenmarkt (einschließlich einer NSA).
Nicht nur unser Bewusstsein, unsere ganze Erscheinung, ja unser Wesen, wird von diesem Datenmarkt neu geformt. Ich sagte es bereits an anderer Stelle: wir mutieren vom Datennutzer (vom Subjekt) zum Datenträger (zum Objekt). Wir müssen uns bewusst damit auseinandersetzen, der Gefahr ins Auge sehen, nicht uns ihr verweigern.
Das wäre die konservative Option
Und da fällt mir ein, was ich zum dialektischen Verhältnis von konservativ und revolutionär gesagt habe. „Teilweiser Rückzug“, wie soll der aussehen? Und ist das jetzt quantitativ oder qualitativ zu verstehen? Es sind die irreversiblen Strukturen, in Gesellschaft wie im Denken, aus denen wir uns nicht zurückziehen können. Daher plädiere ich ja für die revolutionäre Option. Die Menschen müssen als Ganzes und eben nicht über ihre „Partikularinteressen“ (Alexander Stingl, „Implikaturen“, gemeint sind wohl „Klasseninteressen“) Verantwortung für solche Strukturen übernehmen, damit das „Reich der Notwendigkeit“ sich nicht im „Reich der Freiheit“ einfach auflöst, sondern eben dialektisch aufhebt. Die Revolution wird dann unvermeidbar, wenn die konservativen Interessen mit den sprichwörtlichen reaktionären Klasseninteressen zusammenfallen und damit einer notwendigen gesellschaftlichen Veränderung im Wege stehen, wobei sie das Ganze gefährden. Die aktuelle Schwierigkeit besteht darin, dass sich die Partikularinteressen der Herrschenden, im Gewand, der von ihnen beherrschten Produktivkräfte, als revolutionäre Interessen aufspielen und daher den Konservativen eine Scheinkonkurrenz liefern. Insoweit die Konservativen nur ihre Klassenprivilegien zu erhalten suchen, verfallen sie der Macht oder auch dem Charme dieser Scheinkonkurrenz. Fallen sie zurück in die Fänge der Aporien des Kapitals. Soweit sie das Objekt ihrer besorgten Betrachtung meinen, kann sich konservatives Denken in revolutionäres verwandeln. Hier handelt es sich also um keine Aporie, sondern um wirkliche Dialektik.
Die Revolution hat daher immer eine doppelte Aufgabe:
Indem die konservative Option auf revolutionäre Weise „aufgehoben“ wird, wird ihr nicht reaktionärer Gehalt in nicht unwesentlichen Teilen (um die reaktionären Klasseninteressen nämlich bereinigt) erhalten und in eine neue revolutionäre Struktur überführt, in die Struktur, die den Interessen der revolutionären Klasse entspricht. Diesen Vorgang nennt man auch „hegelianisch“ Negation der Negation.
Die Lücke, die uns zum Denken veranlasst hat
„Daher ist Kunst auch immer exemplarisches Scheitern, van Goghs Sonnenblumen in der Vase.“ Das gefällt mir; und das ist ein wenig nach Slavoj Zizek, in der Unterscheidung zwischen Realem und Realität. An anderer Stelle auch als Unterscheidung von Wesen und Erscheinung. Dazwischen die bekannte Lücke. Doch diese Lücke ist es, die uns anregt, die uns Schaffen lässt, ja, die uns Denken gelehrt hat. Und natürlich müssen wir verhindern, dass diese Lücke jetzt mit Datenmüll gefüllt wird.
Es wird vermutlich noch schlimmer
„Die Drei Schwestern„, vielleicht. Doch die sind voll in der Gegenwart. Romantisch verklärte Sehnsucht, doch ob der oblomowschen Trägheit zur Veränderung nicht fähig, die Gefahr vielleicht sehend, dieser aber nicht ins Auge schauend. Die Natascha, die ist schon interessanter. Skrupellos, gierig, verschlagen, lüstern. Das Feindbild des Mannes, seit es diesem gelang, sich das Weib untertan zu machen. Doch genau genommen nur das ideale Gegenstück zu diesem Mann. Die angepassteste Version. Gestört vielleicht, heute nennt man sowas den „Borderliner“. Dieser Typ wird vielleicht überleben. Um dann die dumpfbackige Horde, welche sich da immer noch „Mensch“ dünkt, zu hegen, so wie diese Natascha ihre Kinder, vielleicht, im besten Falle. Aber vermutlich, wird es noch schlimmer, nur werden wir davon keine Vorstellung haben. Heute nicht, und morgen schon gar nicht (mehr).
Der Kapitalismus in der Form des androgynen Subjekts
Das Thema des Jahrhunderts, wenn nicht gar des Jahrtausends. Die Einen sehen es ultimativ in der Krise (Robert Kurz, kürzlich verstorben), die anderen wollen es neu (er)schaffen (Slavoj Zizek). Ich persönlich sehe das Subjekt nicht so sehr in der Krise, nicht so sehr wie Robert Kurz jedenfalls, der damit einen neuen Objektivismus kreiert, und damit seine ganze Hoffnung auf einen Kapitalismus setzt, der an seinen inneren Schranken kollabiert, aber auch nicht als neu zu erschaffen. Das Subjekt befindet sich mittendrin in einer weiteren Formwandlung. Markt, Ware, Geld, Klasse, alles in der Formwandlung. Welche Richtung die Formwandlungen nehmen, hängt nach meiner Auffassung, und diesbezüglich ganz klassisch marxistisch, vom Klassenkampf ab. Die Tatsache, dass die Menschen diesen Klassenkampf nicht wahrnehmen, bedeutet nicht, dass er nicht existiert. Asymmetrisch wirkt er überall. Die herrschende Klasse, welche selber eine Formwandlung durchläuft, wer ist wirklich herrschend in dieser Klasse?, führt diesen Klassenkampf, teilweise gegen sich selbst.
Und auch die Beherrschten führen Klassenkampf, wenn auch leider all zu oft tatsächlich gegen sich selbst. Die wichtigste Formwandlung hier wird die Überführung des Großteils der Geistesarbeiter ins Proletariat sein (bei gleichzeitiger Prekarisierung der ganzen Klasse). Dabei übernimmt die Frau die Rolle des männlichen Parts. Wo die körperliche Leistung obsolet wird und die geistige zunimmt, ist die Frau geeigneter. Nicht nur billiger. Das bisher „abgespaltene Nichtsubjekt“ (Das Subjekt ist der Mann/Roswitha Scholz) durchlebt eine kurze Blüte als Subjekt. Doch das scheint das letzte Aufgebot zu sein. Das verarmte Konsumsubjekt bietet sich als Datenträger an.
Und hier stehen wir an der Schwelle einer ganz grundsätzlichen Formwandlung des Kapitals, auf die wir heute noch keine Antworten haben. Wenn die Jugend weiter ohne Zukunft bleibt, und davon ist auszugehen, ist die Revolution unvermeidbar. Eine Revolution radikaler denn je. Andererseits, wenn die Theorie, die marxistische, da nicht mithält , bleibt diese Jugend ohne geistige Führung, und dem Kapital wird es vielleicht noch mal ermöglicht, sich zu überleben. Doch mit welcher Perspektive? Woraus wird Mehrwert generiert, wenn das lohnarbeitende Subjekt in der Maschine aufgeht? Sozialismus oder Barbarei, das scheint im Moment die einzig erkennbare und solchermaßen verzweifelte Losung zu sein.
Und einen Vorgeschmack bezüglich der sich barbarisierenden Konflikte der Zukunft erhalten wir anhand der sich überall verschärfenden Geschlechterkriege. Und damit meine ich nicht nur die Massenvergewaltigungen in Indien, oder in den afrikanischen Bürgerkriegen, sondern auch die skandalisierten wie nicht skandalisierten Frustrationen ob des vorgeblichen Gendermainstreams in den entwickelten kapitalistischen Ländern des Westens, insbesondere auch unter Einschluss der Debatten um Sexuelle Übergriffe, Prostitution, Pornographie, Kindesmissbrauch, Kindesmisshandlung und dergleichen.
Während das neue Subjekt sich als Gebärmaschine verweigert und dabei durchaus Gefahr läuft, sich auch als sexuelles Wesen infrage zu stellen, hysterisiert der nun „abgespaltene“ Mann. Der hysterische Mann (vgl. Lacans „hysterisches Subjekt), nicht die unbefriedigte Bürgersfrau läge heute auf Freuds Couch. Dies vielleicht ahnend, versucht sich dieser Mann selber dem neuen Vorbild anzupassen. Eine kapitalistische Gynokratie, so aberwitzig wie provokant, doch in der Form des androgynen Subjekts durchaus denkbar.
Das Chaos erschließt sich uns nicht
@kinky: “Welchen Sinn macht es für die Natur komplex zu sei? Sichert es ihr das Überleben? Mitnichten. Ein Einzeller kommt auch ohne Komplexität gut durchs Leben.” Richtig, daher ist die Natur vermutlich auch gar nicht komplex. Komplex ist nur das Ergebnis, vor allem dann aus der Perspektive eines Wesens, das dieses Ergebnis zu verstehen sucht. Das Wesen, das auf dieses Ziel hin denkt, nämlich das Ergebnis irgendwie verstehen zu wollen, projiziert diese Methode seines Denkens dann auf die Natur selber. Die Natur aber existiert nicht zielgerichtet, nicht zweckgerichtet, sondern völlig für sich allein. Daher ist auch folgender Satz nicht ganz richtig:
“Wenn man von der Prämisse ausgeht, dass alles, was Lebewesen tun, der Erhaltung ihrer Art dient, dann sollte auch die Frage im Raum stehen, warum sie das machen”. Nicht die Erhaltung der Art steht im Raum, denn die Natur kennt keine “Art”, keine Gattung, und wie gesagt: keinen Zweck; das alles fügen wir nachträglich dieser Natur bei. Wir verdoppeln sie quasi. Die Natur ist “für uns” daher eine andere, als sie “für sich” wäre. Nur das “für sich” erschließt sich uns nicht. Wie Kant richtig sagt: Wir haben keinen Zugang zum Noumenalen).
In dem Moment, wo wir die Natur beobachten und kategorisieren verändern wir sie, konstruieren wir quasi eine 2. Natur. In der Natur gibt es nur Individuen. Und dies Individuum versucht sich zu erhalten. Bei diesem Versuch gerät es aber in Widerspruch zu den Versuchen der anderen Individuen, somit ist das Scheitern unbedingt notwendig. Im Ergebnis entsteht etwas Neues, was sich von den Individuen davor unterscheidet, aber auch den genetischen Code alles Vorherigen in sich trägt. Die Brüche an den Stammbäumen dieser Entwicklung aus Selektion und Mutation betitelt der Mensch als Gattungsgrenzen, als jeweils neue Arten. Was aber nur eine behelfsweise Konstruktion ist, um dies nun sich als komplex darstellende (vorläufige) Ergebnis dem Verstand zugänglich zu machen. Für diesen Verstand muss die äußere Natur geordnet sein, betitelt/benannt werden; denn das unbenannte Chaos erschließt sich uns nicht. Aus dieser Notwendigkeit heraus alles auf den Begriff zu bringen, entstand der primitive Glaube, dass nur etwas existiert, was einen Namen trägt.
Ursache und Wirkung ein und desselben Geschehens
Einverstanden. Doch denke ich, die „Hirnverdrahtungen“ sind der Beginn auch schon der Veränderungen der äußeren Umwelt, bzw. auch ihr Reflex. So bin ich z.B. auch überzeugt, dass die Probleme mit der Quantenfluktuation uns nur auf ein Phänomen hinweisen, dass wir ansonsten ob der Subjekt-Objekt-Dichotomie nicht erkennen (wollen). Jede Wahrnehmung impliziert die Veränderung – im Äußeren wie im Inneren. Man könnte es auch so formulieren: der Glaube, dass wir etwas wahrnehmen, ohne es damit gleichzeitig zu verändern, ist eine Illusion. Schon allein deswegen, weil die Beobachtung das zu Beobachtende in einen unnatürlichen Zustand zu versetzen sucht – in einen statischen. Denn mit Heraklit wissen wird, dass alles was ist, Bewegung ist. Es ist und es ist nicht. Wenn wir also diese Bewegung dinglich zu fassen suchen, auf den Begriff bringen, verändern wir das, was wir da auf den Begriff bringen. Der Begriff stimmt mit dem auf den Begriff gebrachte schon überein, nur ist das auf den Begriff Gebrachte schon nicht mehr das, was es vor unserer Begriffssuche gewesen sein könnte. Ich sagte „könnte“, denn auf dieses Phänomen, das kantsche Noumenale, haben wir keinen Zugriff. Für Einen ist das die Welt der Geister und Götter, für die Anderen die „Welt der Möglichkeiten“, die „Welt an sich“. Unsere Hirnverdrahtungen sind diesbezüglich Ursache als auch Wirkung, im Kontext ein und desselben Geschehens. Diese Verdrahtungen garantieren wie erklären, dass wir immer nur die Natur kennen, die wir gerade selber geschaffen haben. Allerdings: Über die Begriffsbildung/Ideologiebildung/Theoriebildung stellen wir sicher, dass wir wenigstens untereinander innerhalb ein und derselben Welt zuhause sind. Allerdings streiten wir auch darüber! Das vermittelt uns womöglich den Eindruck, als hätten wir Zugang zum Weltenchaos, zum Noumenalen. Doch in Wahrheit spiegeln wir so nur unsere verschiedenen Interessen, Klasseninteressen, seit es Klassen gibt.
Der Welt von morgen schon sehr nahe
Habe dieses Zitat da raus geklaubt: „..immerhin soll es da vorgekommen sein, dass Chefs von ihren Bewerbern die Zugangsdaten für ihr Profil verlangt hätten. Die Folge: kein Profil – kein Job, denn der Bewerber habe ja etwas zu verbergen.“ Sagte ich es nicht: die Lynchjustiz war gestern. Nicht, der sich falsch outet, ist verdächtig, der, der sich nicht outet! Und was lernen wir Menschen daraus? Erstelle ein falsches Profil! Doch all zu schwer kann uns das nicht fallen, denn unser Profil wird bis dahin ehe schon ein falsches, ein konstruiertes, sein. Die Zizeksche Differenz (siehe oben, @kinky: „Die Lücke, die uns zum Denken veranlasst hat“) zwischen Realem und Realität schließlich überwunden habend. Wir werden nämlich gar nicht wissen, dass unsere Erscheinung eine konstruierte ist, unserem eigentlichen Wesen widersprechend, denn dieser Widerspruch wäre verschwunden und mit ihm irgendein Wesen wie auch die Freiheit. Die nachträgliche Konstruktion eines Wesens können wir uns sparen. Dennoch: ohne diesen Widerspruch, ohne die Freiheit, ohne des Menschen nachträgliche Konstruktion seines Selbst (die Erkenntnis bzgl. seines Wesens), gibt es diesen Menschen gar nicht, zumindest nach unserer heutigen Vorstellung. Wir sind dieser Welt von morgen allerdings schon sehr nahe.
Zweierlei Kritik, zweierlei Rechtsstaat, zweierlei Rechte
Linke zum Beispiel greifen nicht den Rechtsstaat an, sondern die falsche Ideologie um diesen Rechtsstaat, dessen Apologie. Denn selbstredend verteidigen sie die demokratischen Rechte, die sich die Massen allerdings gegen diesen Staat erkämpft haben, und dadurch erst so etwas wie einen Rechtsstaat geschaffen haben. Daher die falsche Ideologie nämlich, so als wäre der Staat des Bürgertums per definitionem mit demokratischen Rechten versehen. Die Kritik der Rechte am Rechtsstaat zielt auf die Demontage der bürgerlichen Rechte. Allerdings im Moment erleben wir, wie die politische Rechte ihre demokratischen Rechte einfordert, zwecks Zerstörung derselbigen für die Massen. So einfach ist es also nicht, mit der Kritik am Rechtsstaat.
Gesinnungsterror ist gleich einem Mangel an politischem Bewusstsein
Sollte ich Sie wirklich ganz persönlich als „Offizier des Kapitals“ betitelt haben, täte mir das Leid. Ich kann mich nur entsinnen, da Marx zu zitiert zu haben; und der meinte da eine bestimmte soziale Kategorie, nämlich die, die den Herrschenden zu Diensten ist. Politiker zum Beispiel! Wie auch immer, Sie sollten nicht all zu sehr in Selbstmitleid machen, das steht Ihnen nicht. Behalten Sie Ihren Biss! Und auch wenn Sie mir das vermutlich nicht glauben: ich persönlich verabscheue jede Art von Gesinnungsterror, auch und gerade den „linken“. Der ist nicht nur nicht nützlich, sondern extrem schädlich, bzw., er nützt ehe nur den falschen Leuten. Allerdings, wenn Sie den politischen Terror meinen, der geht im Allgemeinen von den reaktionären Klassen aus, mit Ausnahme dann, der wenigen Momente in der Geschichte, wo der revolutionäre Terror wütet. Dieser ist Teil einer revolutionären Erhebung und vermutlich immer so schlimm, wie die Klasse, die da zu unterdrücken ist, entsprechend dem zuvor erlebten Terror unter deren Herrschaft. Dieser Terror, in Russland wurde er roter Terror genannt, gegen den weißen Terror, ist allerdings kein Gesinnungsterror, denn er richtet sich gegen die direkten Klassenfeinde und selbstredend deren „Offiziere“. Darüber kann man jammern oder auch schimpfen, doch eine Revolution ohne Terror wird es wohl nicht geben, sowenig wie eine Klassengesellschaft ohne Unterdrückung der subalternen Klassen.
Ich persönlich finde auch keinen Geschmack am politischen Terror einer revolutionären Klasse, zumal ich weiß, dass dieser am härtesten geführt wird, von denen, die sich zuvor am längsten geduckt haben, also in aller Regel, das niedrigste Klassenbewusstsein mitbringen. Wenn ich mir zum Beispiel den dumpfen Hass anschaue, der da im Moment im Kontext von zumeist von rechten Demagogen aufgeputschten „Montagsdemos“ hochkocht, ahne ich etwas von dem Mob, der da auch auf dem Maidan getobt haben muss. Revolutionen unter Führung einer revolutionären Klasse sehen da anders aus. Und es ist schwer, gegen einen solchen Mob mit auch guten Argumenten anzugehen, ohne sich dem „Gesinnungsterror“ auszusetzen. Ich versuche es trotzdem, denn mir geht es um die Hebung des politischen Bewusstseins. Denn Gesinnungsterror ist für mich immer gleich dem Mangel an einem politischen Bewusstsein.
Keine kleine Aufgabe
@Weiß: Die Thematik ist so komplex, und vor allen Dingen mit so vielen Legenden verbunden, dass wir immer wieder weit ausholen müssen, um vielleicht nur eine Frage mal näher beleuchtet zu haben. Da Sie von Spiel reden, ich würde das nicht als Spiel bezeichnen, höchstens in einem völlig übertragenen Sinne. Es ist die Dialektik, die dieses Spiel mit uns treibt. Und es ist für mich keine Überraschung, dass bürgerliche Politiker dieses Spiel bestenfalls wie Laien beherrschen, also wie Dummköpfe aussehen lässt. Und ein Hitler war sicherlich der erbärmlichste unter all diesen Laienspielern.
Stalin aber hat eine kleine Schrift über den historischen und dialektischen Materialismus geschrieben. Und anfänglich dachte ich, dass die schematische Darstellung rein der Didaktik geschuldet sei. Man kann es versuchen, die Dialektik als Methode vorzustellen und den historischen Materialismus als Theorie. Doch Stalin scheint das Opfer seiner eigenen didaktischen Vereinfachungen geworden zu sein. Er schien nicht zu begreifen, welchen Einfluss eine falsche „Methode“ auf die Theorie hat (von der Praxis mal ganz abgesehen). Für ihn sind das getrennte Dinge. Er schien wohl zu glauben, dass Menschen wie Schachfiguren hin und her geschoben werden können, so ähnlich wie das Wechselspiel zwischen Methode und Theorie. Unter welchen Bedingungen Quantität in Qualität umschlägt, dürfte ihm nicht geläufig gewesen zu sein. Das eigene Volk in den Gulag zu schicken, oder die Oberschicht eines fremden Volkes einfach auszurotten, das schien ihm ohne Belang zu sein für die Ziele und Grundsätze einer revolutionären Gesellschaft. Das schien ihm alles erlaubt, im Sinne einer revolutionären „Methode“. Wahrscheinlich glaubte er, dass die Revolution nur von einem abhing, nämlich von ihm. „Alles nur Katzen“, wie er im Todeskampf geröchelt haben soll.
Und hier kommen wir auf Putin zu sprechen. Putin ist nicht marxistisch sozialisiert, sondern faschistisch. Wenn die sozialistische Staatsmacht die Farbe wechselt, dann wird sie faschistisch. Es herrscht dann nicht mehr die Diktatur einer Klasse (welche aber dennoch mehr objektiv als subjektiv zu verstehen ist), sondern die eines Führers, einer Oligarchie, also die Diktatur von einzelnen Subjekten. Von Subjekten, die glauben, dass sie unentbehrlich sind, während alle anderen es sind. Und das ist eine der Momente, wo ein Putin sich wie Stalin vorkommen mag. Doch da wäre er nur das Opfer einer weiteren Verblendung. Bei aller Kritik an Stalin, doch die kommunistische Bewegung war noch keine geschlagene; und Stalin schwebte auf der Fettschicht dieser Bewegung. Und solange es möglich gewesen wäre, dass der Sozialismus sich gegen den Kapitalismus durchsetzt, solange wären auch die Fehler und Verbrechen dieser Bewegung (Stalins Verbrechen inbegriffen) korrigierbar gewesen. Der Sieg über den Hitlerfaschismus machte Stalin zum Halbgott. Und genau genommen hat der Faschismus gesiegt. Denn der Sozialismus wurde diesem Gotte geopfert, und zwar auf einem fremden Altar. Die Sowjetunion zum wichtigsten Verbündeten eines antifaschistischen Westens zu machen, dann zum privilegierten Gegner eben desselbigen Westens, der aber aufgehört hat antifaschistisch zu, ja, der diesen Faschismus zu beerben suchte, war vermutlich die raffinierteste dialektische Finte der da schon vom Kapital wieder beherrschten Geschichte. Mit der Ära der 2 Supermächte wurde nicht nur der Ost-West-Konflikt geboren, sondern auch, der sich dahinter zunächst noch verborgen habende Klassenkonflikt beerdigt. Die Sprengung der kommunistischen Weltbewegung wurde unvermeidbar. Und unvermeidbar auch ein kapitalistisches System, das nunmehr nur noch als „allgemeine Verwahrlosung“, wie Sie es beschreiben, Herr Weiß, daherzukommen vermag. Selbst der Sozialismus erscheint nun als Form der ein und derselben kapitalistischen Verwahrlosung. Die ganze Schwierigkeit einer heutigen sozialistischen Bewegung besteht also darin, theoretisch den Sozialismus neu zu begründen, gleichzeitig mit der eigenen katastrophischen Geschichte ebenso aufzuräumen, wie mit jenem verwahrlosten Kapitalismus. Keine kleine Aufgabe.
Mit dem Rücken zur Dialektik
@Colorcrace/Dreamtimer: „Im ersteren Fall gehe ich wie dreamtimer davon aus, daß es Stalin klar war, daß das nur kurze Zeit hält – alles andere wäre weltfremd.“
Überraschenderweise war Stalin in dieser Frage „weltfremd“. Er war völlig überrascht. So traute er ja auch seinem Meisterspion Sorge nicht, der ihm rechtzeitig von dem bevorstehenden Angriff der Deutschen berichtet haben soll.
Was das Phänomen Stalin angeht, sollte man zwei Dinge erkennen:
Es gab einen Riss bei ihm zwischen Theorie und Praxis. Und er schien Dialektik mit Wankelmütigkeit zu verwechseln. Das macht es ja so schwer, ihm vom Standpunkt der Theorie aus zu kritisieren.
Zum besagten Thema der Klasseninteressen in der Wissenschaft (und übrigens auch Kunst), war die offizielle leninistische Position, dass es keine proletarische Kunst und auch keine proletarische Wissenschaft gibt. Das wäre auch ein völlig falsches Verständnis bzgl. der besagten „Klasseninteressen“.
Marx und Engels haben es mal so formuliert: Die bürgerliche Wissenschaft kommt über Umwegen, mit dem „Rücken zur Dialektik“, zu den dann wiederum u. U. die Dialektik bestätigenden Ergebnissen. Die Kapitalsinteressen erfordern natürlich richtige Ergebnisse, doch nicht immer sind diese gewollt, mal ganz abgesehen von dem berühmten „Brett vorm Kopf”. Insbesondere die dialektische Methode will die herrschende Wissenschaft offiziell nicht bestätigen; doch arbeiten tut sie fast durchweg damit, zumindest in den produktiven Zweigen der Wissenschaft. Die Physik ist ebenso wie die Chemie ein einziger Beleg für die „Dialektik in der Natur“ (Engels). Sollte die bürgerliche Wissenschaft diese hier ignorieren, bekäme sie kein einziges brauchbares Ergebnis.
Natürlich zeigen sich auch bei den Forschungszielen die Klasseninteressen. Es ist kein Zufall, dass nicht wenige innovative Forschungsergebnisse zunächst in der Rüstungsindustrie/Sicherheitsindustrie aufkommen. So war es mit dem Internet und so ist es auch mit dem sog. “intelligenten Auto”. Und demgemäß zielt eine solche Wissenschaft nicht auf die Befreiung des Menschen, sondern auf dessen Versklavung. So liegt es doch auf der Hand, dass auch und gerade das „intelligente Auto“ der Kontrolle und Steuerung des Menschen und nur nebenbei der Steuerung des Verkehrs dient. Hier liegt die Trennungslinie zwischen einer Wissenschaft, die reaktionären Klassenzielen dient, der „bürgerlichen Wissenschaft“, und einer solchen, die auf die Abschaffung von Klassen hinarbeitet, also einer Wissenschaft, im Interesse einer revolutionären Klasse. Letztere ist übrigens auf eine Ausweitung der Intelligenz, also an der Hebung des Bildungsniveaus im Volk, interessiert, erstere klebt an den Klassenprivilegien, wird also das Bildungsniveau im Volk möglichst niedrig halten. Auch das hat unmittelbare Auswirkungen auf die Ziele, die Methoden und die Ergebnisse einer solchen Wissenschaft.
Das Ringen zwischen Kapitalismus und Sozialismus wäre vielleicht anders ausgefallen
@Weiß: Danke für die Info. Die Causa Sorge ist allerdings nicht mein einziges Indiz für eines Stalins Wankelmütigkeit. Auf dem 18. Parteitag bemühte Stalin die Rechtfertigung der Nazis um wahrscheinlich auch den sog. Hitler-Stalinpakt zu rechtfertigen. Ob der „Versailler Knechtschaft“ wurde den Deutschen eine Nationale Aufgabe zuerkannt und Hitlers Machtergreifung gerechtfertigt. Auf dem ganzen Parteitag kein Wort mehr über die Gefahr, die vom Hitlerfaschismus ausgeht – für die Sowjetunion. Stattdessen wurden die friedlichen wirtschaftlichen Beziehungen mit Hitlerdeutschland gefeiert. Der Parteitag der KPdSU wurde hier für die diplomatischen Interessen des Staates der Sowjetunion missbraucht. Das hat nicht nur die Völker der Sowjetunion falsch ausgerichtet, sondern auch die Völker der Welt. Die Sowjetunion hat sich auf diesen Krieg nicht wirklich vorbereitet, was dann auch mit verantwortlich war, für die unglaublichen Verluste dann im Krieg. Ich glaube daher nicht an eine „Falle“ bzgl. des dann später einsetzenden 2-Fronten-Krieges. Zumindest Stalin schien davon ausgegangen zu sein, dass er den Krieg für seine Seite verhindert hatte. Eine solche Fehleinschätzung kann nur der begehen, der nicht mehr die Interessen der Völker, sondern ausschließlich die des eigenen Machterhalts im Auge hat. Die Niederringung des Faschismus war die aktuell nicht zu umgehende Aufgabe eben der Völker der Welt, einschließlich der der Sowjetunion. Ja, der Sowjetunion wäre die Führungsrolle zugefallen (schon das Verhalten der Sowjetunion im spanischen Bürgerkrieg, zeigt, wie engstirnig die Sowjetunion ihr Engagement dort betrieb). So musste sie diese dann den USA überlassen, was die ganze Weltgeschichte danach negativ beeinflussen sollte (und uns jetzt möglicherweise einen 3. Weltkrieg beschert). Das Ringen zwischen Sozialismus und Kapitalismus hätte damals noch zugunsten des Sozialismus entschieden werden können; und dann wären die furchtbaren Opfer dieses Krieges nicht so ganz umsonst gewesen. Und wer weiß, vielleicht wäre die Sowjetunion nicht kapitalistisch entartet. So wurde der Faschismus wohl geschlagen, aber nicht der Imperialismus. Und der Sozialismus wäre nicht so entsetzlich desavouiert.
Diplomatische Interessen kenne ich nicht
@Dreamtimer: Ich denke, es gibt noch ganz andere Anpassungen, die auf sich warten lassen. Ich für meinen Teil beschäftige mich mit diesen Fragen seit etwa 40 Jahren, seit ich begann die Geschichte im marxistischen Sinne zu betrachten. Und für meinen Teil sehe ich diese Anpassungen nicht allein mit Stalin assoziiert, das habe ich anderorts dargestellt – mehrfach.
@Donna Laura: Auch den Begriff der „Diktatur des Proletariats“ habe ich im marxistischen Sinne zu erläutern versucht.
Als Marxist sehe ich mich der Wahrheit verpflichtet. Diplomatische Interessen kenne ich nicht.
blogs.faz.net/deus/2014/04/21/fuer-gerechtigkeit-lautstaerke-und-lynchjustiz
und:
stuetzendergesellschaft.wordpress.com/2014/04/21/fur-gerechtigkeit-lautstarke-und-lynchjustiz/