Er war mir immer ein willkommener Gegner

Frank Schirrmacher gestorben

Ein Nachruf

Ich bin entsetzt, nicht weil ich etwa ein Fan von Frank Schirrmacher gewesen wäre. Gewissermaßen eher das Gegenteil: Ich war sein Kritiker. Doch mit 54 Jahren zu sterben, das hätte nicht sein müssen. Außerdem bin ich schockiert, da ich glaube, ihm die Nähe des Todes angesehen zu haben. Vor Wochen, als er ein Interview gab; ich glaube, es ging um Snowden. Das teigige Gesicht ist mir aufgefallen, den nahenden Herzinfarkt damit quasi ins Gesicht gemeißelt.

Er war eine schillernde Persönlichkeit, wie Edo Reents in der FAZ (Ein großer Geist) heute im Nachruf schreibt. Für mich war er, trotz allen Ärgers, über die immer wieder von ihm zu verantwortende Zensur auch und gerade meiner Beiträge, zum Beispiel um die Themen Walser-Reich-Ranicki und Antisemitismus, oder auch um Walser-Goethe, das Vorbild für meine „Dialektik von konservativ und revolutionär“. Ich spürte dennoch, dass er sich damit innerlich, wenn auch nicht öffentlich, auseinandersetzte. Einmal deutlich erkennbar daran, wie er einen Beitrag von mir so geschickt veränderte, dass ich es selber kaum bemerkte. Oder ganz aktuell: So finde ich in einem Beitrag vom 25.09.2013 (Was die SPD verschläft), den ich jetzt erst lese, die Übernahme meines Metaphers vom „Tiefen Staat“. Der „Tiefe Staat ist überall“, poste ich schon seit Jahren, so zum Beispiel unter dem Titel „Der ‚Tiefe Staat‘ auch hier“, vom 17. April 2013, und ziele damit eben definitiv nicht nur auf den sog. „Tiefen Staat“, im Ergenekon-Skandal in der Türkei, sondern auf die Unterwanderung aller kapitalistischer Staatsapparate auf diesem Planeten, in diesem Fall im Kontext der sog. „Dönermorde“. Ich glaube nicht, dass Gabriel oder Lindner, wie Schirrmacher hier andeutet, die Erfinder dieses Metaphers in Bezug auf die von mir behauptete Unterwanderung aller kapitalistischen Staaten auf diesem Planeten durch eine verbrecherische mafiöse kapitalistische Aristokratie sind. Nicht ohne Stolz, stelle ich überhaupt fest, dass in redaktionellen Beiträgen der FAZ schon seit Jahren Begriffe und Metapher verwendet werden, die ich dort in Leserkommentaren und Blogs erstmalig hinterlassen habe. Ohne dass man mich ausdrücklich zitiert, versteht sich.

Ja, er war vielleicht der einzige wirklich konservative Rebell in Deutschland, der diesen Titel verdient, ein revolutionärer Konservativer, und nicht etwa einer von diesen selbstgerechten „Wutbürgern“. Einer mit Potential zum echten Revolutionär. Er hatte Stil. Er konnte sogar seinen politischen Gegnern Wahrhaftigkeit zugestehen, wenn er dies erkannte. Den definitiven Beweis für die Richtigkeit dieser Dialektik konnte er nun, an seiner Person, ob seines frühen Todes, nun doch nicht mehr erbringen.

So geht er als großer Konservativer in die Geschichte ein. Mit ein wenig Glück als verhinderter Revolutionär, auf dem Weg zum Revolutionär. Ob er ein Liberaler war, kann ich nicht beurteilen, denn für mich ist der Gegensatz konservativ-revolutionär der alles Entscheidende. Denn trotz all seines möglichen Verständnisses für die Ansichten seiner politischen Gegner, blieb er ein Verteidiger des Kapitalismus. Allerdings als solcher ein viel zu kluger, um annehmen zu können, dass dieses Kapital die Probleme der Gegenwart, ja gar der Zukunft, noch meistere. Die diesbezügliche Sorge war ihm schon anzusehen. Und wer weiß, vielleicht mit ein Grund für seinen frühen Tod.

Seine Themen waren daher eigentlich kapitalkritisch. Es waren linke Themen. In seinem „Methusalemkomplott“ scheint er gar die richtige Seite gewählt zu haben – die der Jugend –, scheint er doch hier die Gerontokratie aufs Korn genommen. Doch die revolutionäre Position war es dennoch nicht. Denn diese erfordert das Bündnis zwischen jung und alt, und nicht ein gegeneinander ausspielen. Und ob das „Ich“, das sich selbstbestimmende „Subjekt“ noch zu retten ist, wage ich, als Marxist, zu bezweifeln, schon gar nicht, wenn es nicht gelingt, das Kapital zu entmachten und zu enteignen.

Aber selbst, wenn das gelänge, steht das Subjekt auf der Agenda der Abwicklung. Die Subjekt-Objekt-Dichotomie wird so wie die letzte Klassengesellschaft einmal Geschichte sein. Beides ist unlöslich verknüpft mit dem „Reich der Notwendigkeit“.

Wo das „Reich der Freiheit“ (Marx) hingegen beginnt, kann von einem Subjekt nicht mehr die Rede sein, sowenig wie von einem Objekt. Die „äußere Welt“ ist wie die „innere“ eine Frage der Perspektive. Und das Ende der ökonomischen Gesellschaften macht den Perspektivenwechsel (den „ontologischen Bruch“/Robert Kurz) so notwendig wie unvermeidlich. Das Kapital treibt die Entfremdung auf die äußerste Spitze. Das hysterische Subjekt steht vor der Entscheidung sich endgültig in ein paranoides zu verwandeln, oder seine Wahnvorstellungen zu überwinden. Die Möglichkeit den Geist (das Hirn) absolut zu kontrollieren, verwandelt den Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung in einen Kampf des Geistes um definitive Selbstbestimmung. Der letzte Proletarier wird ein Geistesarbeiter sein.

Die Herrschaft des Kapitals wird uns haarscharf genau an diese Grenze heranführen, doch keinen Millimeter weiter. Dies möglicherweise nicht erkannt zu haben, muss für einen Konservativen, wie Frank Schirrmacher, verzeihbar sein; für einen Revolutionär wäre es allerdings unverzeihlich.

Ich verneige mich daher in Respekt vor diesem „Giganten des Geistes“, wie Edo Reents ihn zutreffend bezeichnet. Er war mir immer ein willkommener Gegner; und ich bin mir sicher: nicht selten ein Verbündeter im Geiste.

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