Die Aufhebung des Widerspruchs zwischen Theorie und Praxis, zwischen Kopf- und Handarbeit

Da die Faz-Bloggerin, Frau Reinecke, den 2. Beitrag „Die Meinung ist das Gleitmittel der Fakten“ nicht freischaltet, hab ich sie gefragt, ob ich mit dem Wort „Gleitmittel“ gegen eine Etikette verstoßen habe?
Auf die Reaktion bin ich gespannt.

Die Aufhebung des Widerspruchs zwischen Theorie und Praxis, zwischen Kopf- und Handarbeit
Ich sagte es schon an anderer Stelle: Was die bürgerliche Welt nicht wahrnehmen will, ist der Prozess der Vergesellschaftung. Von der Vergesellschaftung der Produktion bis hin zur Vergesellschaftung der Produktionsmitteln. Das ist der Metaprozess, allen Unkenrufen ob der Niederlage des Sozialismus zum Trotze. (Damit behaupte ich nicht, dass der Sozialismus, so wie wir ihn kennengelernt haben, noch eine Option ist. An der Frage arbeite ich noch!)

Die Klassenteilung der Gesellschaft besteht solange fort, wie die ihr zugrundeliegende Arbeitsteilung fortbesteht (der eigentliche Grund, woran vermutlich der bisherige Sozialismus gescheitert ist). Innerhalb der kapitalistischen Klassengesellschaft allerdings wird die Arbeitsteilung zunehmend obsolet. Die Aufhebung der Trennung zwischen Kopf- und Handarbeit – die allgemeinste Grundlage für die Existenz von Klassengesellschaften – folgt dem Prozess der Überwindung der Dichotomie von Subjekt und Objekt. Darin eingebettet die Aufhebung des Widerspruchs zwischen Theorie und Praxis. In der kapitalistischen Gesellschaft werden all diese Widersprüche noch einmal auf die Spitze getrieben. Die Überwindung dieser Widersprüche findet im Rahmen eines verschärften antagonistischen Kampfes statt.

Kein einziger dieser Widersprüche ist lösbar, ohne den Klassenwiderspruch aufzuheben.
Journalisten sind Kopfarbeiter. Sie sind Teil des kulturellen Überbaus der Gesellschaft. Teil des Herrschaftsapparats. Doch als Lohnarbeiter werden sie zunehmend Proletarier. Daraus ergibt sich ein Widerspruch.
Die Frage für das Kapital lautet: wie können wir die Geistesprodukte dieser Proletarier weiterhin vermarkten, gleichzeitig ihren Klassenstatus dennoch verschlechtern, ohne dabei das System zu gefährden?
Die Verschlechterung des Klassenstatus‘ folgt dem Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate, was umgekehrt bedeutet, dass das Kapital immer mehr an Produktivkräften erzeugen muss, um nur „marginale Profite“ (Marx) abzuzweigen. Die Konzentration des Kapitals in nur wenigen Händen kann diese Entwicklung nur verzerren, aber nicht aufhalten. Auch Maximalprofite müssen von irgendjemandem erwirtschaftet werden, müssen aus dem „Mehrwert“ geschöpft werden.

Das sog. Informationszeitalter erscheint uns als die 1 zu 1-Übertragung dieses Prozesses, geradezu als „ideologiefrei“. Als Aufhebung des Klassenkonfliktes. Doch genau dahinter verbirgt sich die wahre Ideologie.
Im gegenwärtigen Kampf um die Kontrolle des Internets, innerhalb dessen auch der Kampf um die Zukunft der Medien schlechthin geführt wird (Information versus Marketing), findet vor allem dieser ideologische Kampf statt. Ist das Internet zur Befreiung da, oder zur Unterdrückung?
Weder das Eine, noch das Andere. Beides ist eine Frage des politischen Bewusstseins.
Das politische Bewusstsein kommt aber nicht aus dem Internet, sondern aus der gesellschaftlichen Praxis. Aus der Sphäre des Klassenkampfes.

Das Internet setzt allerdings diesbezüglich Zeichen. Erkennen wir diese, oder nicht? Lesen und schreiben gehört zusammen, gehörte schon immer zusammen. Wir produzieren und konsumieren. Erst die kapitalistische Gesellschaft entwickelte daraus einen Widerspruch, der nunmehr seit fast 500 Jahren die Geschichte beherrscht. Keine Frage, vor dem Buchdruck gab es kaum jemand, der lesen konnte. Das lag aber an den Herrschaftsverhältnissen, an der Herrschaftssprache, an dem Elend der Massen, an deren Nöten. Mit dem Buchdruck wurde dieser Widerspruch nicht etwa aufgehoben, sondern noch einmal auf die Spitze getrieben. Es gab zu lesen, die Leute konnten lesen, doch sie hatten nichts zu melden, nichts zu vermelden. Die Einen erzählten und verdienten dadurch, sicherten so nebenbei das materiale wie geistige Eigentum der herrschenden Klasse und die Anderen hörten zu, konsumierten geistige wie materiale Produkte, die sie nicht mehr als die ihrigen erkannten. Ja, suchten Trost in dieser parallelen Welt des Geistes. Und gingen dabei weiter den Weg des Sklaven.

Doch genau dieser Widerspruch lässt das System im Moment kollabieren. Die Zukunft der Menschen ist nur noch beherrschbar, wenn alle Arbeitsteilungen aufgehoben werden. Der „Menschencomputer“ ist das Stichwort der schon aktuell gewordenen Zukunft.
Doch es gibt zwei Wege dorthin: den des Kapitals und den des Lohnarbeiters.
Wie das Kapital diesen Weg zu gehen beabsichtigt, sehen wir anhand der sog. Spähaffäre. Die Lohnarbeit hingegen ist verunsichert, zögert. Doch alle Versuche die Produktionsmittel innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft zu vergesellschaften, sind so zum Scheitern verurteilt, wie es auch falsch ist, einfach anzunehmen, dass „Eigentum Diebstahl“ sei. Nur eine gesellschaftliche Großtat, eine Tat, in der sich die überwiegende Mehrheit der Menschen wiederfindet, eine Tat, innerhalb derer sie ihre eigene Geschichte kritisch und selbstkritisch überwindet, wo sie also jede bisherige gesellschaftliche Übereinkunft – aufkündigt, eine „Revolution“ also, kann diese Frage philosophisch, ethisch, politisch wie sozial-ökonomisch zufriedenstellend lösen.

Die Meinung ist das Gleitmittel der Fakten
Ich möchte all jenen widersprechen, die hier dem reinen Faktum das Wort zu reden scheinen. „Fakten, Fakten, Fakten“, war das nicht die Losung von Focus; und was ist das heute für ein Käseblatt? Das einzig faktische darin – Werbung!

Schon mal Hegels „Phänomenologie des Geistes“ gelesen? Zugegeben, schwere Kost. Selbst noch, wenn man sie vom „Kopf auf die Füße“ stellt, wie das Marx in seinem „Kapital“ dann unternommen hat. Doch, wer sich da einmal durchgeackert hat, versteht vielleicht, warum es keine ideologiefreien Fakten geben kann. Und warum es dennoch „falsche Ideologie“ gibt, „notwendig falsche“, wie Marx dann hervorhebt. Auch Hegels Ideologie war falsch, vermutlich notwendig falsch. Mit seinem „Weltgeist“ kam er dem Wesen des Kapitals wohl sehr nahe, aber nicht auf die Schliche. Aber er inspirierte Marx dazu, das Wesenhafte am Kapital als etwas Nicht-Substantielles zu erfassen, als eine Art gesellschaftliche Übereinkunft, deren die Menschen sich nicht mal bewusst sind. Als der Geist einer gesellschaftlichen Bewegung, die material in den ökonomischen Beziehungen verankert ist. Beziehungen, die die Menschen eingehen, ohne auch nur eine Spur von Ahnung davon zu haben. Daher ist die falscheste aller Ideologien die Annahme, dass es so etwas wie Ideologiefreiheit gäbe; denn die Ideologie ist das, was die Menschen, mehr oder weniger spontan, vom Geist dieser Bewegung erfassen lässt. Doch unabhängig davon, scheint die Ideologie so was zu sein, wie der Schatten von einer Bewegung. Und wie beim Schatten, scheint er unter einem bestimmten Lichteinfall, dieser vorher zu gehen, wo er doch nichts als eine Projektion von derselbigen ist.

Diese Ideologie, die sich dann in der Meinung verkörpert, ist das „Gleitmittel“ für die Fakten. Vergleichbar vielleicht in ihrer Bedeutung mit den Gliazellen für die Neuronenbewegung. Ohne dieses Gleitmittel täten wir uns schwer. Ja mehr noch: ohne eine Meinung zu haben, sind wir Menschen an den Fakten gar nicht interessiert. Unser Interesse besteht grundsätzlich darin, die Fakten so zu verwerten, dass sie uns nützen. Und dieser Nutzen beinhaltet, wie gesagt, dann wieder die Ideologie! Und an der Meinung erkennen wir auch den Wert eines vorgetragenen Faktums.

Das Problem mit den Meinungen beginnt nämlich dort, wo diese den Fakten widersprechen, diese verfälschen, ignorieren. Nur Ideologie zum Besten geben. Die Meinung muss sich um die Fakten bemühen, selbst verstehen lernen und vermitteln helfen und dabei möglichst Ideologiekritik leisten. Der Ideologie auf die Spur kommen, die ein Interesse daran hat, die Fakten zu missbrauchen, zu fälschen, zu unterdrücken.
So erweist sich dann zwangsläufig, welche Interessen historisch als fortschrittlich und welche als reaktionär einzustufen sind.
In jedem Artikel sollte ein Funken hiervon enthalten sein, oder er ist wertlos.

blogs.faz.net/wost/2014/02/11/wozu-journalismus

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