Linker Antisemitismus und das imperialistische Kalkül

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Linker Antisemitismus und das imperialistische Kalkül
Ich formuliere es mal etwas konkreter. Und nehme mir den Kampf gegen den Antisemitismus aus dem Kampf gegen den Faschismus heraus. Mit dieser Thematik sehe ich mich auch persönlich seit Beginn meiner sozusagen politischen Initiation konfrontiert. Kaum von Marx berührt, wurde ich schon Anfang der 70er von antimarxistischen Klassenkameraden wegen des „marxschen Antisemitismus“ angegangen. Zunächst war ich damit völlig überfordert, politisch, aber vor allem auch theoretisch. Nach gut 40 Jahren habe ich mich dann zu einer Position und Kritik – auch und gerade an Marx – ermächtigt (siehe: Der Antisemitismus existiert nicht nur als Keule).

Als Marx sein „Zur Judenfrage“ verfasste, war er selber noch kein materialistischer Dialektiker, sondern noch stark von Hegel beeinflusst und beeindruckt. Die Dialektik Hegels war nicht zufällig eine idealistische, so wie Hegel nicht zufällig auch Antisemit war. Auch wenn Marx dann im Kapital Hegel vom Kopf auf die Füße gestellt haben sollte (siehe auch: Der Antisemitismus und seine Gegner), zeigt sich gerade in Frage zur Stellung zum Antisemitismus, dass das nicht reicht. Die Bemerkungen über den „Judenbengel Lasalle“ zogen sich wie eine Nabelschnur des „Hegelismus“ durch den Briefverkehr zwischen Marx und Engels, zeigen also, wie wenig er diesen wesentlichen Bestandteil des bürgerlichen Idealismus überwunden hat und damit eben auch nicht dessen fatalen Dialektik aus der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung getilgt. Aus heutiger Sicht geht es darum, dieser Spur des bürgerlichen Idealismus und des bürgerlichen Antisemitismus bis in die Marxsche Theorie selbst hinein zu folgen. Nicht im antimarxistischen Sinne, aber im selbstkritischen. Spätestens der Holocaust und dann auch die Gründung des Staates Israel haben uns deutlich gemacht, wie wenig wir da eine Wahl haben, wie sehr gerade das die Grundlage auch für eine wirkliche Erneuerung der marxistischen Theorie und Bewegung selber ist.

Durch die Gründung des Staates Israel wurde die Dialektik in der Geschichte noch einmal verkompliziert. Heute stehen wir nicht nur vor dem Problem den Antisemitismus in den eigenen Reihen zu bekämpfen, sondern damit zugleich die nihilistisch anmutende selbstzerstörerische Politik des Staates Israels selbst (siehe auch: Selbstliebe als Selbsthass). Wir müssen die Rechte des palästinensischen Volkes verteidigen und gleichzeitig dessen Antisemitismus bekämpfen, und wie gesagt: damit zugleich den Nihilismus des jüdischen Volkes (den ich übrigens im Zionismus stark vertreten sehe; daher vielleicht auch die merkwürdige Liebe einer Hannah Arendt zu Heidegger, siehe vorerst auch: Nihilistische Selbstverleugnung gepaart mit Größenwahn).

Ich habe mich ob dieser schier unlösbar scheinenden Aufgaben zu der Haltung durchgekämpft, dass die Verknüpfung dieser Aufgaben nicht nur das Problem, sondern auch die Lösung ist. Und zwar nicht nur zur Lösung der „Judenfrage“, sondern der sozialistischen Arbeiterbewegung selbst (siehe auch: Ein spezielles jüdisches Phantasma).

Das palästinensische Volk wie der Staat Israel scheinen nicht getrennt aber auch nicht zusammen zu können. Dennoch ist es die einzige Chance für beide um zu überleben. Hierbei bekämpfen wir aber nicht nur den Antisemitismus oder die Selbstzerstörung des Staates Israel, sondern zugleich die Manöver all derer, die da scheinheilig jeweils die gegnerische Partei ergreifen (siehe auch: Zweifelhafte Dienste).

Der imperialistische Philosemitismus ist genauso zu bekämpfen, wie der Antisemitismus im muslimischen Lager, bzw. überhaupt konkurrierenden religiösen Lagern (siehe: Antikapitalismus oder Antijudaismus, und: Wo bleibt die Kritik des Patriarchats?). Das imperialistische Kapital wird den Staat Israel und mit ihm die Juden jederzeit opfern, seinen Gegnern zum Fraß vorwerfen, sollte es politisch opportun sein. Der Anti-Antisemitismus im bürgerlichen Lager dient dazu, den Staat Israel und die jüdische Frage für die kolonialistischen Zwecke des Kapitals zu benutzen und zugleich damit die sozialistische Arbeiterbewegung zu neutralisieren.

Es ist also die ureigene Aufgabe der revolutionären Arbeiterbewegung diese Verbindung der Sache des jüdischen Volkes mit der Sache des palästinensischen Volkes aufrechtzuerhalten. Die Zwei-Staaten-Lösung ist nicht nur nicht im Interesse des jüdischen Volkes, sondern auch nicht im Interesse des palästinensischen Volkes. Beide würden verlieren: die Juden ihre Heimstatt, die Palästinenser ihre revolutionär-demokratische Option. Sie wären Geißel wie Opfer der muslimischen Reaktion wie des imperialistischen Kalküls (siehe auch: Unter israelischer Lupe.

Das Existenzrecht des Staates Israel kann nur dann mehr sein als eine diplomatische Floskel, oder bürgerliche Staatsräson, wenn zugleich darin und damit die Rechte des palästinensischen Volkes verteidigt werden. Die Besonderheit aber erfordert, dass nicht das Recht auf Lostrennung wäre, wie üblicherweise, sondern das Recht auf Teilhabe und Gleichberechtigung. Die Dialektik der Geschichte erlaubt sich hier einen scheints bösen Scherz. Denn darin ähnelt die Sache des palästinensischen Volkes der Sache des jüdischen Volkes vor dem Holocaust. Auch damals verteidigte die sozialistische Arbeiterbewegung das Recht des jüdischen Volkes auf gleichberechtigte Teilhabe. Allerdings verführte die Kompliziertheit dieser Aufgabe schnell dazu eine Pflicht daraus zu kreieren. Und das war der Beginn des Antisemitismus im linken Lager, im Lager der Arbeiterbewegung. Der Beginn einer nunmehr verdorbenen wechselseitigen „Emanzipation“, um mal auf einen Begriff des jüdischen Intellektuellen Julius H. Sehoeps („War Marx ein Antisemit?“ 31.1.75/Zeit) zuzugreifen. Und das gilt es im Falle jetzt auch des palästinensischen Volkes im Auge zu behalten.

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