„Ein Schritt vor, zwei Schritte zurück“
Im Unterschied zum Feudalismus, aus dessen Ökonomie heraus, bzw. neben dessen Ökonomie, sich die kapitalistische Wirtschaftsweise entwickelte, wird es nicht möglich sein, ähnlich mit dem Kapitalismus zu verfahren. Auf der Grundlage des bürgerlichen Rechts wird der Kapitalismus sich immer wieder durchsetzen. Das ist ja der Grund, warum im Sozialismus das bürgerliche Recht eingeschränkt werden muss, solange sich die klassenlose, sprich: die marktwirtschaftfreie Gesellschaft noch nicht durchgesetzt hat. Und auch wenn Marxens Kritik der Politischen Ökonomie (des Kapitals) im „Das Kapital“ als immanente Kritik zu werten ist, immanent insofern er nachweist, dass das Kapital an seinen eigenen Widersprüchen zugrundegehen wird, bzw. auch seinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht wird, bedeutet das nicht, dass der Kapitalismus einfach zusammenbricht, oder gar friedlich von der Bühne abtritt. Das größte Missverständnis der marxschen Theorie wäre daher ein solchermaßen Ökonomismus. Das Kapital bedarf der Totengräber. Doch es schafft sich diese selbst, wie Marx hervorhebt. Über die Existenz, bzw. Wirksamkeit dieser Totengräber kann man streiten, doch nicht über ihre Notwendigkeit.
Das „Revolutionäre Subjekt“, zu Marxens Zeiten, das vom Kapital selber geschaffene Industrieproletariat (nach meinem Verständnis wird der letzte Lohnarbeiter ein Geistesarbeiter sein), bedarf des revolutionären Bewusstseins, der revolutionären Theorie. Ohne Revolutionäre Theorie keine revolutionäre Praxis. Ohne diese Theorie schafft es der Lohnarbeiter nur bis zu einem gewerkschaftlichen Bewusstsein. Und auch das entspricht nur einem ökonomistischen Bewusstsein. Ein Bewusstsein, das uns glauben machen will, je höher der Kapitalismus entwickelt ist, desto näher befindet er sich dem Sozialismus. (An dieser Stelle möchte ich auf einen Beitrag in der Christian Lotz, veröffentlicht in der Junge Welt, verweisen, indem dieser sich mit dem „Maschinenfragment“ von Karl Marx beschäftigt und sich darin sehr treffend mit den postmodernen Illusionen auseinandersetzt. Das Dossier von „wildcat“ verwende ich, da in der Online-Ausgabe der ME-Werke nicht enthalten!)
Dass dem nicht so ist, das wissen wir schon länger. Und daraus schlussfolgern manche Intellektuelle, dass das Revolutionäre Subjekt nicht mehr nötig sei. Die Technik mache das quasi. Richtig ist, dass der Kapitalismus mit jeder neuen technischen Revolution seinem Ende näher kommt. Doch das beschreibt lediglich eine Tendenz. Eine wohl objektive, aber nicht allein schlüssige.
Nach Marx und Engels gibt es zwei Formen dieses Endes: die klassenlose Gesellschaft oder die Barbarei. Schafft es das Kapital in die Phase der Barbarei zu wechseln, kann das eine Art Endlosschleife bedeuten, in der noch einmal alle bisherigen Ausbeutungsformen eine Art Wiederholung erfahren. Auf technisch hohem Niveau dennoch finsterstes Mittelalter, wenigstens für die Massen.
Wer diese Gefahr nicht ins Auge fasst, der versäumt zu begreifen, wie wichtig die soziale Revolution ist. Eine Revolution, in der die Massen nicht nur die Gesellschaft umwälzen, sondern sich selbst, will heißen: sich und ihr Bewusstsein gleich mit auf die Höhe der Zeit bringend. Es ist quasi eine Art Katharsis, ob der Tausenden von Jahren der erlittenen Knechtschaft und Fehlentwicklungen in der Klassengesellschaft.
Die schließlich endgültige Überwindung der letzten „ökonomischen Gesellschaft“ – des Kapitalismus‘ – erfordert dann doch eine hohe technisch-ökomische Entwicklung. Im globalen Maßstab ist diese nämlich die Vorausetzung des Übergangs vom „Reich der Notwendigkeit“ ins „Reich der Freiheit“.
Doch bedeutet das mitnichten, dass die ökonomisch fortgeschrittensten Einzelgesellschaft einer solchen Überwindung voraus zu gehen hätte. Es ist durchaus möglich, dass der Sturm auf das Kapital von „außen“ kommt, von den Völkern der Welt, die unter dieser Herrschaft des Kapitals am meisten leiden. Die revolutionären Prozesse im Einzelnen haben nichts (oder nur bedingt) mit der ökonomischen Entwicklung im Ganzen und Großen zu tun. Nur im Ganzen und Großen stimmt es, dass die Politik der Ökonomie folgt, doch während des revolutionären Umwälzungsprozesses scheint es umgekehrt. Wie Engels sich ausdrückt, ist es „Wechselwirkung zweier ungleicher Kräfte“ (Engels an Schmidt, Marx-Engels, Briefe über „Das Kapital“, S. 319; siehe auch: blog.herold-binsack.eu/2011/01/spiegelverkehrtes-denken).
Schließlich setzt sich die Ökonomie durch, doch so wenig spontan wie linear, denn auch wie Lenin formulierte: ein Schritt vor, zwei Schritte zurück.
theguardian.com/books/2015/jul/17/postcapitalism-end-of-capitalism-begun