Der Doppelcharakter der kleinbürgerlichen Demokratie

Der Doppelcharakter der kleinbürgerlichen Demokratie
Als Marxist führe ich mir immer wieder vor Augen, was Marx in Bezug auf die Verbindung zwischen Demokratie und Sozialismus sagte. Zu seiner Zeit meinte er damit die Verbindung zwischen der sozialistischen proletarischen Bewegung und der bäuerlich-revolutionär-demokratischen. Den Sozialismus konnte er sich nicht besser vorstellen, als durch das Bündnis mit einer Neuauflage des Bauernkrieges.

Es gibt für mich gar keine Frage, dass auch die DDR in ihren Anfängen versucht hatte, dieser Marxschen Linie zu folgen. Doch sie missverstand das rein ökonomisch. Und sie begriff nicht, bzw. sie wollte oder konnte nicht positiv erfassen, dass eine demokratische Bewegung, eine bäuerliche, eine kleinbürgerliche, völlig anderen Grundsätzen folgt, als eine proletarisch-sozialistische. Die Unterschiede können kaum größer sein, obwohl es Gemeinsamkeiten gibt. Gemeinsamkeiten, die in beider ausgebeuteten Lage liegt. Doch reicht dies nicht. Denn in den Zielen sind sie nicht identisch. Während die einen eine kleinbürgerliche Ökonomie anstreben, somit ein Individuum zu befreien suchen, ein jenes, das vom Großkapital ebenso geknechtet wird, wollen die anderen den industriellen Großbetrieb, somit die Befreiung der Klasse von den Zwängen jeglichen Kapitals. Die einen suchen die Autarkie, ergo: die von der Bourgeoisie nur versprochene Demokratie, die anderen den Klassenzusammenhalt, die weitere Vergesellschaftung auch des Individuums – den Sozialismus, ergo: die Aufhebung aller Grundlagen für Klassenherrschaft, damit auch der Demokratie (wie sie sich wirklich darstellt). Diese Widersprüche lassen sich nur intellektuell und in gemeinsamen Klassenaktionen, im Klassenbündnis bearbeiten. Doch niemals aufheben. So weit so gut.

Doch was ist schief gelaufen? Die sozialistische Bewegung hätte die Freiheit des Individuums nicht nur als kleinbürgerliche, somit „falsche“ Ideologie, entlarven dürfen. Hätte begreifen müssen, dass, bevor bürgerliche Rechte im Sozialismus eingeschränkt werden, sie erst einmal erweitert werden müssen. Weit über das Maß hinaus, was der großbürgerliche Staat selbst bis dato bereit war zu genehmigen. Denn die kleinbürgerliche Demokratie, welche im Verhältnis zum Sozialismus reaktionär auftritt, kann revolutionär sein im Verhältnis zum Großkapital. Diese Zwischenlage kann man weder ignorieren, noch beschönigen. Damit ist eine Zeit lang zu leben.
Und genau das hat die DDR nicht verstanden, ja hat der gesamte sowjetisch-dominierte Ostblock nicht begriffen. Lenin, der selbst immer vor diesem Fehler gewarnt hat, scheint nicht bemerkt zu haben, dass die Unterdrückung der Intellektuellen, jener „feig-antisowjetischen“, wie er sie betitelte, mit geheimdienstlichen Methoden, der erste Schritt hin zu diesem Fehler war.

Und gleich, was eine sozialistische Bewegung auch heute auf die Beine zu stellen vermag, wenn sie diesen Fehler nicht selbstkritisch aufarbeitet, und zwar auf der Grundlage der eigenen Theorie, kann sie diese Reserve nicht nutzen, somit nicht siegreich sein.

blogs.faz.net/wost/2013/10/29/podcast-mit-daniela-dahn

   Sende Artikel als PDF   
Dieser Beitrag wurde in Blogs veröffentlicht. Ein Lesezeichen auf das Permalink. setzen. Kommentieren oder einen Trackback hinterlassen: Trackback-URL.

Ein Trackback

Einen Kommentar hinterlassen

Sie müssen angemeldet sein, um zu kommentieren.