Hoffnungen wo keine sein dürfen

Hoffnungen wo keine sein dürfen
Es ist sehr bedenklich wenn im Angesicht der aktuellen Krise des Kapitals – des Finanzkapitals – auf offensichtlich populistische Weise Rekurs genommen wird auf den antiken Gegensatz von Gläubiger und Schuldner. Marx schreibt im „Kapital“ darüber: „Der Charakter von Gläubiger oder Schuldner entspringt hier aus der einfachen Warenzirkulation… Dieselben Charaktere können aber auch von der Warenzirkulation unabhängig auftreten. Der Klassenkampf der antiken Welt z.B. bewegt sich hauptsächlich in der Form eines Kampfes zwischen Gläubiger und Schuldner und endet in Rom mit dem Untergang des plebejischen Schuldners, der durch den Sklaven ersetzt wird. Im Mittelalter endet der Kampf mit dem Untergang des feudalen Schuldners, der seine politische Macht mit ihrer ökonomischen Basis einbüßt. Indes spiegelt die Geldform – und das Verhältnis von Gläubiger und Schuldner besitzt die Form eines Geldverhältnisses – hier nur den Antagonismus tiefer liegender ökonomischer Lebensbedingungen wider.“ (MEW 23, Abschnitt I, Ware und Geld, S. 149 ff.)

Tiefer liegende ökonomische Lebensbedingungen.“ Im 4. Kapital – Verwandlung von Geld in Kapital beschreibt Marx diese zum Beispiel so: „Die unmittelbare Form der Warenzirkulation ist W = G = W, Verwandlung von Ware in Geld und Rückverwandlung von Geld in Ware, verkaufen um zu kaufen. Neben dieser Form finden wir aber eine zweite, spezifisch unterschiedne vor, die Form G = W = G, Verwandlung von Geld in Ware und Rückverwandlung von Ware in Geld, kaufen um zu verkaufen. Geld, das in seiner Bewegung diese letztre Zirkulation beschreibt, verwandelt sich in Kapital, wird Kapital und ist schon seiner Bestimmung nach Kapital.“ (S. 162)

Im weiteren Verlauf finden wir dann die Analyse dessen, was das Wesen dieses Verwandlungsprozesses ausmacht – die Entstehung von Mehrwert, dessen Aneignung, wie überhaupt alles über den Verwertungsprozess des Kapitals.

Der Zweck der Kapitalbewegung ist somit von Beginn an = Geldbewegung.

Wer als „Kapitalismuskritiker“ nun den Anschein zu erwecken sucht, als gäbe es einen anderen Kapitalismus, einen der sozusagen nicht verunreinigt sei – eben durch den Selbstzweck dieser Geldbewegung -, der bewegt sich haarscharf entlang dessen, was wir spätestens seit dem Holocaust mit Antisemitismus bezeichnen. Sinn hatte recht, als er die ganze Polemik gegen das „Geldkapital“ infolge der Finanzkrise 2008 – als antisemitisch denunzierte. Doch da es ihm nicht gelingen wollte oder konnte, das so zu begründen, wie Marx das zum Beispiel tut, z.B. in Form einer umfassenden Kapitalismuskritik, ließ er sich wieder einschüchtern und zog seine Kritik zurück.

Denn auch wenn sich der Kapitalismus nunmehr in der Form des Finanzkapitalismus zeigt, heißt das eben nicht, dass dieser dem Kapitalismus entgegen gesetzt sei, oder gar etwas völlig neues. Die Warenbewegung – die „Bedürfnisbefriedigung“ (der reale Markt) – war von Anfang an nur Nebensache. Diesen Vorwurf dürfen sich alle Kapitalisten gleichermaßen gefallen lassen. Wäre es anders, wäre der Kapitalismus nie über die Stufe des Merkantilismus hinausgelangt.

Ja, Kapitalismus blamiert die Klassengesellschaft. Aber eben nicht in der Form, dass er bewiese, dass es jemals eine bessere oder schlechtere Klassengesellschaft gegeben hätte. Nein, er blamiert die Klassengesellschaft ganz generell. Und es ist daher auch kein Zufall, dass mit Beginn des Finanzkapitalismus die Kritik auf falsche Bahnen geleitet wird. Da wähnt sich ein schaffendes gegen ein raffendes Kapital, da denunziert ein sauberes Kapital ein schmutziges. Und wo die Gläubiger gesteinigt werden, da grinst die listige Konkurrenz.

Wir alle sind die „Idioten“ des Systems – die Marktidioten. Der Schuldner nicht weniger als der Gläubiger. Nicht erst mit der Finanzindustrie glaubt sich ein „automatisches Subjekt“ im Besitz einer Weisheit zu sein, die letztlich darauf hinausläuft Wirtschaftskreisläufe in Stile eines „perpetuum mobile“ generieren zu können. Geld wie Arbeitskraft sind aufeinander bezogen und sie sind endlich, selbst wenn es gelingen wollte, ihre wechselseitige Bewegung in Richtung „unendlich“ kleine Teile zu konfigurieren. Der Kapitalismus endet schließlich dort, quasi analog physikalischer Prozesse – wo die Arbeitskraft – entropisch besehen – am Ende ist. Wo ein Umsatz von Energie in Arbeitskraft nicht mehr möglich. (Die Überausbeutung verweist auf eine negative Produktivität und die Verschuldung auf eine dementsprechende Konsumtion entlang dieser Entwicklung.) Die Unterbeschäftigung (als Gegenstück zur Unterkonsumtionskrise) und eben nicht die Überbeschäftigung (als Gegenstück zur Überproduktionskrise) referiert auf das schließliche Ende. Schuldner nicht Gläubiger sind die diesbezüglichen Vorboten. Sie verweisen auf einen Zustand, wo ihnen selbst die Entschuldung nicht mehr hülfe. Wo sie trotzdem verhungerten. Denn die Produktion nicht die Konsumtion wäre dann in ihrem ultimativen Kollaps.

Genau dies nicht erkennen zu wollen, treibt die sog. antisemitisch konnotierte Kapitalismuskritik vor sich her. Was den Zustand des Leidens, das der falschen Hoffnungen, nur verlängert.

Absurde Tragik
@Ishar: Der Kurzbiografie zu Ruhland entnehme ich folgende Beschreibung dessen Ziele:

„Ausschluß der Mitwirkung des spekulativen Privatkapitals bei der Preisbildung und öffentlich-rechtliche Organisation der Gesellschaft neben dem Staate als planmäßige Zusammenfassung der lokalen Genossenschaften in nationale Syndikate — unter Beibehaltung des Privateigentums an den Produktionsmitteln — zu einer Regulierung der Preise auf der mittleren Linie. Ruhland will damit die Lösung der uralten Frage nach der gerechten Entlohnung der Arbeit auch durch die allgemeine Einführung des „gerechten“ Preises für alle Arbeitsprodukte wie für alle Arbeitswerkzeuge.“ (vergessene-buecher.de/ruhland)

Auch ich komme aus dem Spessart. Mir ist daher die dort weithin verbreitete Dickköpfigkeit, die man fälschlicherweise für Realitätssinn hält, durchaus vertraut. Die absurde Tragik einer solchen Verkennung dürfen wir gerade an einem fränkischen Baron von und zu Guttenberg genießen. Doch schon Lassalle – mit seinem „gerechten Lohn“ – wurde aus der Kriegskasse Bismarcks (gegen die revolutionären Sozialisten) gespeist. Und nun finden wir hier ein Gegenstück – im Lager des sog. bäuerlichen Mittelstandes.

Die „agrarische Theorie“ feilscht hier nicht nur mit eines Marx‘ Kritik der politischen Ökonomie um sowas wie Wahrheitsgehalt, sondern ausgerechnet mit einer feudalen Aristokratie um den gerechten Preis. Doch der „gerechte Preis“ ist dort eine Fiktion, wo er die Wertbestimmtheit nicht zu erkennen vermag. Diese Erfahrung macht nämlich auch der Proletarier, der um den „gerechten Lohn“ kämpft, der also Lohn für so etwas wie einen gerechten Preis hält – für seine Arbeitskraft. Dieser hat schließlich zu lernen, dass das ganze Lohnsystem das Übel ist. Und wo Puhland gegen den Klassenkampf eines Marx wettert, da zeigt ihm gerade die deutsche Geschichte gleich mehrfach die Unmöglichkeit eines anderen Weges.

So bot Hitler schließlich den – vom Finanzkapital – ruinierten Bauern nur noch eine Entschädigung an – die auf Kosten der Völker des Ostens. Verweigerten sie den diesbezüglichen „Heldentod“, verblieb ihnen nur noch der Hungertod – ähnlich darin dem Proletariat. – Die Suche nach dem dritten Weg – weg vom Klassenkampf – führt also direkt in den Krieg.

Die wahre Tragik liegt also darin begründet, dass die Bauern, die (besonders in Deutschland) stets Objekt des Handelns zwischen Aristokratie und Finanzoligarchie gewesen sind (und weiterhin sind) nicht erkennen (wollen/können), dass das sozialistische Proletariat nicht ihr Feind ist – auch wenn sie vom Finanzkapital dazu verdammt scheinen, dieses billig zu verköstigen (billige Butter und fester Milchpreis etc.) –, sondern dessen „natürlicher Verbündeter“, wie Marx sich ausdrückte. Überhaupt hielt Marx die „ganze sozialistische Sache“ für erfolgreich nur im Bündnis mit einer „Neuauflage eines Bauernkrieges“. (Lenin: Marx-Engels-Marxismus, siehe auch: „Verlagerung der Akzente auf Kontrolle”)

Und auch die neuere deutsche – wie europäische – Geschichte beweist, dass es eine Nationalökonomie für einen dritten Weg nicht gibt. Die Industrialisierung der Landwirtschaft ist eine unumstößliche Tatsache. Und dies nicht nur vor dem Hintergrund des Strebens nach Maximalprofite eines Kapitals, also letztlich ob der Abhängigkeit auch der Landwirtschaft vom Finanzkapital (was wir gegenwärtig ganz deutlich in der Produktion von Energierohstoffen versus Nahrungsmitteln beobachten), sondern vor allem vor dem Hintergrund der sich längst gezeigt habenden Unmöglichkeit die wachsende Weltbevölkerung mit bäuerlichen Produkten, resp. aufgrund bäuerlicher Produktionsweisen, zu ernähren. Synthetisch hergestellte Nahrungsmittel sind nicht mehr aufzuhalten. Sowenig wie synthetisch gewonnene Wirkstoffe für die Gesundheitsmittelindustrie. Ja beides wird sich recht bald als identisch herausgestellt haben. Die Nahrungsmittelproduktion, so wie wir sie jetzt noch kennen, ja Nahrungsmittel überhaupt in der Form natürlicher Rohstoffe, wird bald Geschichte sein. – Und mit dieser der Bauer.

Der diesbezügliche Zynismus des Kapitalismus, liegt (wahrscheinlich „nur“) darin begründet, dass die durch ihn betriebene Rohstoffausplünderung, wenn vielleicht nicht Ursache, so doch Beschleuniger einer eben solchen Entwicklung ist. Das heißt, diese Entwicklung wäre (vermutlich) auch – wenn man sich das mal rein abstrakt vorstellen möchte – unabhängig vom kapitalistischen Weg einer Verwertung (des Werts) auf die eine oder andere Art notwendig geworden. Dennoch ist genau diese Art und Weise der kapitalistischen Ausplünderung des ganzen Erdballs nicht nur der einzig wirkliche bisherige Weg, sondern einer, der zunehmend zur existenziellen Gefahr für diesen Erdball und seine Bewohner wird. Es ist schon absehbar, dass nicht mehr nur Millionen, sondern Milliarden von Menschen einen jährlichen Hungertod erleiden. Und einen abstrakten Weg gibt es nicht, ebenso wenig wie den „dritten“. Das Kapital ist somit des Bauern natürlichster Feind. Die Beziehung des Kapitals zur Landwirtschaft ist die des Erbschleichers, nicht die des Mäzens. – Privateigentum hin, Privateigentum her. An der Seite des Kapitals gibt es für diesen Bauern nur den Untergang, wahlweise durch Hunger oder Krieg. An der Seite des sozialistischen Proletariats die Option hingegen auf Befreiung von solch grässlichem Schicksal, nicht aber die Garantie auf Privateigentum.

faz.net/blogs/antike/archive/2011/12/05/glaeubiger-zu-sein-ist-unanstaendig-streichung-aller-schulden-antikes-zur-anstehenden-revolution

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4 Trackbacks

  • Von Die Freiheit des Anderen am 10. Februar 2013 um 19:55 Uhr veröffentlicht

    […] Und die Auseinandersetzung damit, ist das eigentliche Thema. Religion ist für mich, um mal mit Marx zu reden, mit Feuerbach „dem Grunde nach erledigt“ (Thesen zu Feuerbach), aber offensichtlich wird zunehmend die Verfolgung der Gläubigen ein Anliegen für Marxisten. Die offiziellen Kirchen – und die sind die Bannerträger nicht nur der vormodernen Klassengesellschaften, sondern auch des modernen wie postmodernen Kapitalismus – machen seit einiger Zeit einen enormen Wind um gewisse „Sekten“, religiöse Gruppen, die sich der Macht und dem Dogma jener Institutionen des geheiligten Kapitals zu entziehen wissen. In einer älteren Veröffentlichung des “Universellen Lebens” wird da namentlich ein „Hus“ erwähnt, nachdem sich die mittelalterliche Glaubensgemeinschaft der Hussiten benannte, ein gläubiger Bauer und überzeugter Urchrist, auf den sich offenbar auch die Leute um das „Universelle Leben“ (und um die Verfolgung jener um das „Universelle Leben, d.h. um die Vernichtung ihrer wirtschaftlichen Existenz geht es hier) berufen, dessen Anhänger während der Bauernkriege so bestialisch dahin gemordet wurden, unter frenetischem Beifall eines gewissen Luther übrigens (vgl. auch Zimmermann/deb-Verlag: Der deutsche Bauernkrieg. Wer weiß, welche Entwicklung die Gesellschaft genommen hätte, wenn dieser Krieg der Bauern nicht verloren gegangen wäre. – Kapitalismus wäre vielleicht gar nicht erst entstanden! Nach Marx kann übrigens die soziale Revolution des Proletariats nur siegen, wenn sie zusammen mit einer „Neuauflage eines Krieges der Bauern“ einhergeht, Lenin: Marx-Engels-Marxismus.) […]

  • Von Dann aber auch ein „neues Subjekt“ am 19. September 2013 um 01:35 Uhr veröffentlicht

    […] unter tragischen Umständen verstorbene Robert Kurz sah. Sein Subjekt war ein prekäres oder ein „automatisches“. Dass eine solche Philosophie nicht richtig sein kann, war meine Hauptkritik an ihm. Daher auch […]

  • Von Der Doppelcharakter der kleinbürgerlichen Demokratie am 1. November 2013 um 13:42 Uhr veröffentlicht

    […] Der Doppelcharakter der kleinbürgerlichen Demokratie Als Marxist führe ich mir immer wieder vor Augen, was Marx in Bezug auf die Verbindung zwischen Demokratie und Sozialismus sagte. Zu seiner Zeit meinte er damit die Verbindung zwischen der sozialistischen proletarischen Bewegung und der bäuerlich-revolutionär-demokratischen. Den Sozialismus konnte er sich nicht besser vorstellen, als durch das Bündnis mit einer Neuauflage des Bauernkrieges. […]

  • Von Es platzt eine ideologische Blase am 24. Januar 2014 um 15:07 Uhr veröffentlicht

    […] der unausgesprochenen Vorstellung gelockt, dass „grüne Technologie“ so was wie das magische perpetuum mobile sei. Die Preisentwicklung auf dem Energiesektor, so sehr sie von Monopolprofiten herrührt, drückt […]

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