Die Masse, der Berg und das Beben –
Warum die Einsicht nicht der Erkenntnis folgt
Gedanken zum Anfang und Ende unserer „imperialen Lebensweise“
Folgenden Beitrag habe ich zunächst via Facebook gepostet. Er bezieht sich auf einen Blog-Eintrag der Nachdenkseiten. Die Nachdenkseiten sind für gewöhnlich, ob ihrer instinktlosen Putinaffinität, wie sozialdemokratisch konnotierten und solchermaßen flachen Kapitalismuskritik, nicht meine bevorzugte Referenz. Aber der Beitrag, auf den ich mich hier beziehe, ist es wirklich wert gelesen zu werden, auch kritisch, wie das die Redaktion der Nachdenkseiten hier mal auch tut. Doch gerade dieser Punkt, nämlich die in den Raum gestellte Kritik an der fehlenden Antwort auf die Frage – Was tun? – hat mich nun angeregt, über meine eigenen unten dargelegten Gedanken noch mal etwas hinauszugehen, und die Frage zu stellen: Also warum finden wir keine einsichtige Antwort auf die Frage, was wir denn tun können, wo es uns doch nicht an Erkenntnis fehlt?
Mit Marxens Kritik an der Politischen Ökonomie (des Kapitals) wissen wir Bescheid über die „Fetischkonstitution“ dieser Ökonomie. Manche glauben gar, es wäre das Hauptziel diese zu überwinden. Und angesichts der Tatsache, dass das Proletariat ebenso wie das Kapital innerhalb dieser Fetischkonstitution verhangen sei, sei es in Wirklichkeit auch kein revolutionäres Subjekt, und der Klassenkampf somit marxistische Folklore. Diese Sicht der Dinge ist so bürgerlich wie bequem, und treibt die linke Kritik in die Fallstricke bürgerlicher Antinomien und Aporien. Denn wie die Fetischkonstitution überwinden ohne ein revolutionäres Subjekt? An dieser Stelle folgt dann meist nur die „Krise des Subjekts“ und dergleichen. Ich verweise an dieser Stelle auf meine Polemik gegen Robert Kurz, stellvertretend für die gesamte sog. „Wertkritik“, bzw. „Wertabspaltung“.
Letztere scheinen das Weib als das eigentlich revolutionäre, wenn auch Nicht-Subjekt ausgemacht zu haben.
Wie auch immer, hätten diese Fetischkritiker ihren Lenin nicht so schmählich entsorgt, wüssten sie, dass die Lösung direkt neben dem Problem liegt, wenn auch ein wenig verwickelt – dialektisch. Wer Marx und Engels eben im Stile ihrer revolutionären Dialektik zu lesen versteht, der weiß, dass das Proletariat nur insofern eine Kategorie des revolutionären Klassenkampfes ist, als es eine internationale Klasse ist und sich als solche auch selbst begreift. Marx und Engels mussten diese Erkenntnis noch vor allem gegen die diversen bürgerlichen wie kleinbürgerlichen „Sozialismen“ durchsetzen, nämlich wo es galt das Proletariat zu einer Klasse „für sich“ zu formen. Es auch herauszulösen aus dem anschauenden Materialismus eines Feuerbach. Eine Klasse, die ohne den dialektischen und historischen Materialismus sich anzueignen, ohnmächtig in der Fetischkonstitution des bürgerlichen Subjekt-seins verhangen bleibt, und damit zugleich in den diversen kleinbürgerlichen Verschwörerzirkeln. Und das Proletariat in diesem Sinne zu bilden, das war den Begründern des Wissenschaftlichen Sozialismus das Hauptanliegen. So formulierten sie diesen diese Aufgabe der Kommunisten wie folgt: „Die Kommunisten unterscheiden sich von den übrigen proletarischen Parteien nur dadurch, daß sie einerseits in den verschiedenen nationalen Kämpfen der Proletarier die gemeinsamen, von der Nationalität unabhängigen Interessen des gesamten Proletariats hervorheben und zur Geltung bringen, andrerseits dadurch, daß sie in den verschiedenen Entwicklungsstufen, welche der Kampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie durchläuft, stets das Interesse der Gesamtbewegung vertreten.“ (marxists.org/deutsch/archiv/marx-engels/1848/manifest/2-prolkomm)
Doch was so ein wenig der marxschen Kritik die darin sich darstellende Leichtigkeit verdarb, war die Entwicklung des Kapitalismus hin zum Imperialismus, Ende des 19. Jahrhunderts, und die damit einhergehende Spaltung des internationalen Proletariats in ein national-unterdrücktes und national-unterdrückendes. Diese Spaltung zog sich auch mitten durch das Proletariat der imperialistischen Unterdrückernation. Denn plötzlich waren die „Gesamtinteressen des Proletariats“, bzw. die Interessen der „Gesamtbewegung“ in keinster Weise mehr identisch mit den nationalen Klasseninteressen, sondern ausschließlich nur noch mit den internationalen. Die Oberschicht des Proletariats verbürgerlichte. Doch auch die Lebenslage der breiten Massen verbesserte sich, dank der erfolgreichen Klassenkämpfe, aber zunehmend auch ob der Extraprofite aus den unterdrückten Nationen. Erst der Weltkrieg offenbarte, dass die „imperiale Lebensweise“ teuer erkauft ist. Die Schleier der Fetischkonstitution bekamen erste Risse.
Dennoch, selbst den am Klassenkampf teilhabenden Proletariern kommt es nur schwer in den Sinn, sich sowohl als ausbeutend wie ausgebeutet zu verstehen, wo es doch, wie es scheint, einfach darum geht, für ein „gerechtes Tageswerk“ einen „gerechten Lohn“ zu ergattern, wie Marx den Lassalleschen Trade-Unionismus bespöttelte. Ob der ökonomischen Gesetze der kapitalistischen Wirtschaftsweise, insbesondere, ob des tendenziellen Falls der Profitrate, dem eigentlichen Grundgesetz dieser Wirtschaftsweise, wie Marx immer betont, bleibt auch das ausbeutende Proletariat von der Ausbeutung selbst nicht verschont; aber es nimmt diese Ausbeutung als auch das Ausbeuten nicht wahr. Es fällt gewissermaßen zurück in die Zeit, in der es vom Marxismus noch unbeleckt war und damit in seine quasi (kleinbürgerliche) „Traumzeit“, wie die Aborigines die vorgeschichtliche Zeit des Menschen nennen.
Das erhöht noch einmal die Aufgaben der Theorie und damit die Rolle der Vorhut der Arbeiterklasse. Und exakt daraus entsprang der Leninismus. Es ist kein Zufall, dass das am meisten zitierte Werk Lenins „Was Tun?“ ist. Denn die Verteidigung und Weiterentwicklung der revolutionären Theorie führen schnurgerade zu der Partei, die sich um diese Theorie aufzubauen hat. Kurz: es geht um die gewachsene Bedeutung des revolutionären Subjekts, in einer Epoche, in der objektiv die Verhältnisse reif sind für den Umsturz, aber subjektiv eine Quasi-Rückentwicklung stattfindet. Während diese Aufgabenstellung bleibt, lautet die Botschaft aller technischen Revolution im Kapitalismus, und diese Entwicklung ist unhintergehbar, dass es nicht mehr genügt den Kader der Partei zu schulen. Die gesamte Klasse muss mehr denn je in diese Bildungsarbeit einbezogen werden. Was Lenin über das Verhältnis von Führung und Masse – Partei und Klasse -, sagte, gilt grundsätzlich weiter, nur Führung als auch Masse sind wir alle, so wie wir Objekt wie Subjekt in diesem Prozess sind. Was wir beobachten, ist eine Verwissenschaftlichung der Lohnarbeit wie Proletarisierung der Wissenschaft und darin eine wahrhaftige Internationalisierung. Im Wortsinne schlechthin. Denn dieser Prozess macht alle Köpfe auf diesem Planet kollektiv zur Quelle der Wertschöpfung, zum Wert selbst.
Wenn wir das begreifen, wird das Kapital daran scheitern. Denn dem Kapital sind seine „historische Mission“, wie sein internationales Wesen eher ein Fluch als eine Vision, denn beides bleibt ihm unerreichbar; dem Proletariat hingegen weist es den Weg. Das Kapital steckt hier in seinem tiefsten Dilemma: objektiv betrachtet, getrieben von seiner Wirtschaftsweise und der Technologie, die diese hervorgebracht hat, kann es auf keinen einzigen Kopf verzichten, subjektiv ist es immer weniger in der Lage die Menschen unter diesen Köpfen zu ernähren. Das hochorganische Kapital ist zutiefst unproduktiv. Profite erwirtschaftet es nur ob seiner wirtschaftlichen und politischen Macht. In dem Maße, wie es die Gesellschaft beherrscht, verliert es die Kontrolle über die Ökonomie, und umgekehrt: will es die Ökonomie beherrschen, verliert es die Kontrolle über die Gesellschaft. Alternativlos in seinem Getrieben-sein, in seinen Aporien verhangen. Und den Menschen wächst die diesbezügliche Erkenntnis mit jeder neuen technischen Revolution (wenn auch die Selbsterkenntnis noch nicht im gleichen Rhythmus). Und das verschärft die allgemeine Krise des Kapitals, wie den Klassenkonflikt.
Für das revolutionäre Proletariat ergeben sich daraus Chancen wie Aufgaben. Die Verschärfung der allgemeinen Krise wird dem Proletariat auch die intellektuellen Köpfe zuführen, die es für diesen Kampf braucht. Das verbreitert wie vertieft den Klassenkonflikt. Das „Reich der Freiheit“ reicht immer näher an das „Reich der Notwendigkeit“, wie Marx das ausdrückt. Die „Freiheit“, bis dato „Einsicht in die Notwendigkeit“ wächst sich aus zum ersten Lebensbedürfnis. Emanzipiert sich. Nicht nur die Klasse wächst, es wächst ihre Bedeutung und die Erkenntnis derselbigen.
Bildung stand am Anfang der Klassenbewegung und wird am Ende die Klassengesellschaft überwinden helfen. Doch was damals noch als Luxusgut erschien, dem Kapital sozusagen abgetrotzt, war in Wahrheit längst die Grundbedingung für die Lostrennung der kapitalistischen Wirtschaftsweise von der feudalen, ja die Bedingung für die kapitalistische Produktionsweise von da an überhaupt. Schmiere in der industriellen Maschinerie, Nebenprodukt der bürgerlichen „Menschwerdung“. Heute ist diese Bildung nicht mehr nur „Schmiere“, sondern das eigentliche Produkt. Erkenntnisgewinn ist zum Synonym für „Mehrwert“ geworden und damit selbst dem Alltagsverstand kein Fremdwort mehr. Doch in dem Maße, in dem dieser Verstand erkennt, dass die Wirtschaftsweise, die den Mehrwert ausbeutet, seinem Erkenntnisgewinn im Weg steht, wird die Wirtschaftsweise weichen.
Die Forderung nach Brot und Frieden war die Parole, die die erste sozialistische Revolution aus dem imperialistischen Krieg herauslöste und zum Sieg führte. Doch Brot wird zukünftig diesem Proletarier nicht mehr genügen, sowenig wie ein Frieden in einem Meer von Blut und Elend. Und auch und gerade das geistige Elend wird ihn da am meisten bedrücken, wie die Blutleere eines Kapitals, das zum Zombie geworden ist, erzürnen. Hier wird das „internationale Proletariat“, einst wissenschaftliche Kategorie, bzw. Surrogat einer Avantgarde, zu einem handelnden, dann wirklich revolutionären Subjekt, zur „Volksmasse“. Die „imperiale Lebensweise“ wird dann der Ausdruck nicht für die „Gewinner“, sondern für die „Verlierer“ geworden sein. Das virtuelle Habitat besonders Zurückgebliebener.
Einen Vorgeschmack davon liefert uns der Wahlkampf eines Trump, resp. die Unterstützung desselbigen seitens der vom Kapital überflüssig Gemachten. Natürlich begründet darin, dass das Kapital alle Register der Täuschung und Manipulation zieht, doch ein absurdes Theater, ob der gewachsenen Möglichkeiten es auch anders zu begreifen. Und für letzteres steht der Widerstand der gebildeten Jugend und der Frauen. Und es wäre völlig falsch, wie das dennoch nicht wenige sog. Linke tun, nämlich diesen Menschen das Recht auf Teilhabe an der „imperialen Lebensweise“ erstreiten zu wollen. Der Bürgerkrieg der Zukunft geht wie alle Volksrevolutionen in der Vergangenheit schon durch alle Klassen hindurch. Zunächst noch wird dieser Kampf mit den Mitteln der Kritik geführt, der Rede und der Kunst. Wir dürfen und wir müssen mit den Mitteln der Ironie und Satire solange kämpfen, wie es das taktische Kalkül erfordert die Gegner der Revolution der Lächerlichkeit preiszugeben, gleich welcher Klasse sie angehören. Es zählt nicht die Klasse „an sich“, sondern nur die Klasse „für sich“. Zutreibend dann auf die Zeiten, wo es heißt: „hic Rhodus, hic salta“, wie Karl Marx das am Beispiel des Bürgerkriegs in Frankreich so unvergleichlich beschreibt:
„Proletarische Revolutionen […] schrecken stets von neuem zurück vor der unbestimmten Ungeheuerlichkeit ihrer eigenen Zwecke, bis die Situation geschaffen ist, die jede Umkehr unmöglich macht, und die Verhältnisse selbst rufen
Hic Rhodus, hic salta!
Hier ist die Rose, hier tanze!“ (Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, Kapitel I)
Also meine Antwort auf die oben gestellte Frage wäre somit: Die Einsicht folgt eben nicht linear der Erkenntnis, sondern einer Notwendigkeit, die wiederum selber erst als Erkenntnis vermittelt worden sein muss. Die Teilhabe am revolutionären Kampf der Klasse ist einerseits die unmittelbare Voraussetzung für eine solche Erkenntnis, andererseits erst Ergebnis derselbigen. Und das wirft uns zurück auf die „Ungeheuerlichkeit“ jeglichen revolutionären Ansinnens, des Sozialismus im Besonderen. Denn in diesem Kampf schaffen sich die Kämpfer selber erst in dem Maße wie der Kampf voranschreitet. Anfang und Ende des Kampfes, Ziel und Weg, Objekt wie Subjekt, scheinen gleich. Der Berg wird in Bewegung geraten, doch dann müssen auch wir das damit einhergehende Beben ertragen und meistern. Wir werden dann staunen, wie schnell die Massen die Dinge verändern, die wir bis dato nur zu verstehen suchten. Bis dahin hilft vielleicht die konfuzianische Weisheit (frei interpretiert), dass wer seine Feinde besiegen will, nur den Fluss finden muss, wo sie an ihm als Leichen vorbeitreiben.
„Der Gedanke der imperialen Lebensweise ist mir gerade dieser Tage selber gekommen, ohne jetzt diese Begrifflichkeit. Er kam mir, als ich durch eine in der Nachbarschaft zu meinem Arbeitsplatz liegenden Wohnsiedlung der letzten US-Army-Angehörigen spazierte, und mir plötzlich die Autos auffielen, die da rumstanden. 2/3 SUVs und andere großmotorige wie LKW-gleiche Boliden. Und das waren nur die, die da parkten. Spontan kam mir der Gedanke: Was für Herrenmenschentum sich hier doch als Blechmasse, Reifenumfang und Motorkraft präsentiert. Und man stelle sich vor, eine solche Masse wird von der Geschichte genötigt abzutreten, oder wenigstens eine Reihe zurück! Und das ist es, warum dieser Trump gewählt werden musste (!) Er ist Ausdruck wie Katalysator zugleich für das damit einhergehende Beben.“