Wie naiv sind wir eigentlich

Wie naiv sind wir eigentlich
@Don Alphonso: „409 Euro im Monat. Pflegefamilien unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge bekommen diese Summe in rund drei Tagen.“ Ich weiß, was Sie damit sagen wollen, doch das kommt nicht rüber. Rüber kommt ein fauler Vergleich. Denn diese Summe bekommt ja nicht der Flüchtling, sondern dies kostet der Flüchtling. Darin inbegriffen das Gehalt für eine sozialpädagogisch ausgebildete Kraft. Die Ungerechtigkeit hingegen liegt viel tiefer, beginnt viel früher (mal abgesehen davon, dass man darüber natürlich diskutieren kann, woraus sich diese sozialpädagogische Kraft begründet). Die Verachtung der Armen – der Armut -, und glauben Sie, ich arbeite im sozialen Bereich, ich weiß wovon ich rede, ist das Thema. Und hier sind wieder alle „Armen“ gleich. Auch die Flüchtlinge gelten hier nicht mehr, eher weniger. Und diesen Armen wird nicht geholfen, sie erhalten nicht mehr Beachtung und Respekt, wenn wir sie gegeneinander ausspielen.

Auf einem völlig anderen Tablett steht der Umgang mit dem Thema Flüchtlinge und die Gefahren durch sie. Das ich selbst – als Linker, und sozusagen, gegen den linken Strom gebürstet – mehrfach thematisiert habe. So wie hier.

Dazu brauchen wir aber kein Verständnis für Scharfmacher aus den Reihen der CSU oder AfD. Die „Naivität“ ist dort ebenso wie anderswo recht eigentlich Staatsräson, wenn nicht Mittel die Massen zu missbrauchen. Beides gleichzeitig. Zu missbrauchen für ein System, das sie im Prinzip verachtet, wenn es sie nicht (miss)braucht, ja gerade verachtet, ob des Missbrauchs. An dieser Front haben Journalisten, wenn sie fortschrittlich sind, nicht zu versagen, bei Strafe des eigenen Untergangs. Ich denke, es ist nicht übertrieben, wenn ich sage, dass die Angst vor diesem Missbrauch größer sein sollte, als die Angst vor übergriffigen Migranten. Allerdings kann und soll man sich gegen beide schützen. Das ist so berechtigt wie notwendig. Und in beiden Fällen schützt man sich vor allem durch Aufklärung. Und die Frage darf in dem einen wie dem anderen Fall gestellt werden: Wie naiv sind wir eigentlich?

Zwei Botschaften
@ Don Alphonso: Ich sende permanent solche „Botschaften“. Dahin wo ich herkomme – vom flachen Land -, und dahin, wo ich hingegangen bin. Wo ich aktuell wohne und arbeite. Und die wichtigste dieser Botschaften ist wirklich nicht so kompliziert, wie manche glauben: Die Verachtung der Armen – der Armut – ist allgegenwärtig. So allgegenwärtig, dass wir gerade dieser Tage sehen, wie das konkret aussieht, in dem aktuellen wieder mal geschönten Armut- und Reichtumsbericht.

Doch immer wenn ich solche Botschaften sende, habe ich den Eindruck, dass die Leute das nicht hören wollen. Womöglich fühlen sie sich dadurch abgewertet. Also suchen sie sich Botschaften, die ihnen das Gefühl geben, sie wären was Besonderes. Kleben an Begriffen, die ihnen Aufwertung verschafft. Auch der „Steuerzahler“ ist so ein Begriff. Genauer: die darin enthaltene Stigmatisierung all derer, die keine Steuern zahlen, bzw. gar von den Steuern unterhalten werden müssen. Wir tun den Leuten keinen Gefallen, wenn wir sie dahingehend bestätigen. Denn es zählt nicht, wer die Steuern zahlt, sondern nur der, der die Macht hat, über sie zu verfügen. Und im Angesicht dieser Leute sind wir alle „Pöbel“.

Doch handeln wir solidarisch, wenn wir uns einfach zum Multiplikator ihrer Selbsterniedrigungen machen – ihrer Ohnmachtsgefühle?
Da machten wir uns schuldig, mindestens so schuldig, wie die, die sie verachten, die uns verachten. Uns für dumm verkaufen.
Apropos „dumm verkaufen“. Den untenstehenden verlinkten Beitrag wollte ich heute als Leserbrief an die FAZ gesendet haben. Wurde natürlich umgehend entfernt. Schade. Doch macht dies auch deutlich, worum es wirklich geht, bei der Verachtung der Armen, bei unser aller Selbstverachtung – und das wäre jetzt die zweite Botschaft -, nämlich um unser aller (Selbst-)Verdummung: zurueckgehaltene-informationen-verdoppeln-ihre-wirkung.

So emotional wie schädlich wie unsinnig
@Michael Richartz: Jeder diesbezügliche seriöse Vergleich würde exakt das Gegenteil von dem hervorbringen, was hier quasi zu unterstellen gesucht wird. Zunächst einmal gibt es nur die Unterscheidung zwischen Sozialhilfe und Hilfe für Asylbewerber. Die Asylbewerber erhalten weniger. Aus definitiv nicht nachvollziehbaren Gründen. Ansonsten könnte man nur noch überprüfen, welche Leistungen den jeweiligen Personengruppen vorenthalten werden. Illegalerweise, selbstredend. Und aus meiner persönlichen Erfahrung, wie gesagt, ich arbeite in dieser Branche seit mehr als 20 Jahren, ist die Hemmschwelle, Nichtdeutsche um ihre Ansprüche zu bringen, erheblich niedriger. Und das hat noch zugenommen, seit das Bundessozialhilfegesetz durch die Sozialleistungsgesetze II und XII ersetzt wurde. In diesem Bereich berate ich auch immer wieder Leute; und ich bin entsetzt über den rechtlichen Notstand dort – und dies vor allem Ausländern gegenüber. Was unabhängig davon im Rahmen der Jugendhilfe, und dahin gehören nun mal die sog. unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge (und eben nicht in den Bereich der Sozialhilfe, also „Hartzer), ausgegeben wird, steht wiederum auf einem ganz anderen Tablett. Hier profitieren vor allem die Träger gewisser Hilfsmaßnahmen. Man könnte das natürlich auch als eine Subventionierung dieser Träger betrachten und diskutieren. Doch wie auch immer: Was können die Flüchtlinge dafür?
In diesem besonderen Fall ist das Versagen ganz woanders. Dass ein vorbestrafter Schwerstkrimineller aus dem Gefängnis entlassen wurde und dann nicht einmal mehr zur internationalen Fahndung ausgeschrieben, ist ein himmelschreiendes Versagen. Dass er dabei noch so ganz nebenbei als „minderjährig“ durchging, ist da eigentlich nur noch eine Anekdote zu. Das Versagen der Justiz, gleich ob der griechischen oder deutschen ist eine andere Baustelle, und wie ich finde, ein viel größere. Insofern ist auch diese ganze Debatte um die „Kosten“ so emotional wie schädlich wie unsinnig.

Die „Bedarfsgemeinschaft“ bringt das Unrecht
@Tamarisque u. A.:
Die Regelsätze der Sozialhilfe (und analog dazu des Asylbewerberleistungsgesetzes) unterscheiden sich nach drei Kriterien:

• Es gibt den Regelsatz für den Haushaltsvorstand/Alleinstehenden
• Und die Regelsätze für Haushaltsangehörige
• Und diese unterschieden nach Alter

Zusätzlich muss man unterscheiden nach der gesetzlichen Grundlage Sozialhilfe nach dem SGB II/XII, oder dem Asylbewerberleistungsgesetz.
Die Regelsätze bei „unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen“ unterliegen der Besonderheit (und diese Besonderheit gilt analog auch bei minderjährigen Nichtflüchtlingen), dass sie keiner „Bedarfsgemeinschaft“ angehören. Die Pflegefamilie ist nicht Teil einer Bedarfsgemeinschaft. Der unbegleitete Flüchtling wird in dieser Hinsicht daher faktisch dem Haushaltsvorstand gleichgestellt. Das heißt, er erhält Regelsatzanteile, die normalerweise dem Regelsatz für den Haushaltsvorstand vorbehalten sind.

Darüber kann man sehr wohl streiten, zumal den betreffenden Bedarfsgemeinschaften viel mehr zugemutet wird, als Alleinstehenden. Denn es ist in aller Regel mitnichten so, dass in solchen größeren Bedarfsgemeinschaften, die sog. Haushaltskosten, die ja mit dem höheren Regelsatz eines Haushaltsvorstandes nur einmalig, anhand einer Person, abgegolten werden, gleich denen eines kleineren wären.

Also anstatt sich darüber aufzuregen, dass ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling gegenüber einem begleiteten minderjährigen Flüchtling bessergestellt wird, sollte man die Ungerechtigkeit der Regelsatzverordnung im Hinblick auf die sog. Bedarfsgemeinschaft skandalisieren!

blogs.faz.net/stuetzen/2016/12/14/auch-nach-freiburg-keine-stimme-fuer-die-afd

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