Die „kontemporäre Geschichte“ des Kapitals

Die „kontemporäre Geschichte“ des Kapitals
@ThorHa: „Demokratie und Marktwirtschaft leben von Voraussetzungen, die sie selber nicht herstellen können.“ Der Spruch ist gut. Von wem ist der? Im „Kapital“, bzw. in „Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie“ spricht Marx von einer „kontemporären Geschichte“ des Kapitals. Einer also nicht wirklich historischen Geschichte, sondern einer, die so aussieht, als würde sie sich ständig ihre eigenen Voraussetzungen schaffen. (vgl. „Grundrisse, MEW 42, S. 372)

Darin liegt vielleicht das Geheimnis der Marktwirtschaft (wie das der durch diese sich rechtfertigenden „Demokratie). In der Tat beutet hier das Kapital seine Vorgeschichte aus und erweckt infolge seiner (ideologischen) Macht, resp. mit Hilfe des von ihm selber in die Welt gesetzten „Phantasma“ (vgl. hierzu Marx zum „automatischen Subjekt“, MEW 23, S. 170) den Anschein, als wäre es genau das, was das Kapital erst geschaffen habe. Selbst also in Zeiten, wo es diese seine Voraussetzungen zu ruinieren scheint, bleibt dieser Eindruck bestehen.

Und genau darin liegt letztendlich der Grund für die Notwendigkeit des Marxismus als Theorie. Ohne diese ist es nicht möglich diesem Phantasma auf die Schliche zu kommen. Und es wird daher auch nicht möglich sein, eben ohne diese Theorie, die vom Kapital eben nicht geschaffene Demokratie – gegen dieses – zu retten, resp. weiter zu entwickeln.
Auf einer bestimmten Stufe der Entwicklung wird die Demokratie sich gegen die Marktwirtschaft richten. Allerdings wird dann die Marktwirtschaft selber nur noch ein Schatten ihrer selbst sein. Und die Demokratie wird eine Massenbewegung sein.

Der feudalistische Kapitalismus und das Pfahlbürgertum
@ThorHa: Wer mit mir nicht über den Klassenkampf und den Marxismus reden will, der hat es wohl verdient, mit Kalupner über den „evolutionären Selbstlauf“ zu schwafeln. Übrigens: Schon für Deutschland galt das nicht mehr, dass das Kapital die Demokratie gegen die Fürsten (mit)durchsetzte. schön wär’s gewesen. In Deutschland arrangierte sich das Kapital mit der Aristokratie. HansMeier555 mag den Feudalismus noch so überzeugt herbei zu reden versuchen. Er trägt Eulen nach Athen. Der Kapitalismus in Deutschland war von Anfang feudalistisch kontaminiert. Es gibt da vom Dietzverlag eine Sonderausgabe, bestehend aus 2 Bänden, Karl Marx/Friedrich Engels, „Über Deutschland und die deutsche Arbeiterbewegung“, von 1970. Zum Charakter des deutschen Bürgertums möchte ich nur einen Absatz zitieren:

Ward der „wahre“ Sozialismus dergestalt eine Waffe in der Hand der Regierungen gegen die deutsche Bourgeoisie, so vertrat er auch unmittelbar ein reaktionäres Interesse, das Interesse der deutschen Pfahlbürgerschaft. In Deutschland bildet das vom 16. Jahrhundert her überlieferte und seit der Zeit in verschiedener Form hier immer neu wieder auftauchende Kleinbürgertum die eigentliche gesellschaftliche Grundlage der bestehenden Zustände.“ (Bd. II, S. 183)

Und genau mit diesem „wahren“ Sozialismus, mit diesem Pfahlbürgertum (und damit mit den „reaktionären Regierungen“, sprich: den Regierungen der Feudalherren), hat sich die deutsche Bourgeoisie im Kampf gegen den revolutionären Sozialismus des Proletariats arrangiert. Und zwar u.a. dann mit Bismarck und Lassalles Arbeitervereinen. (Lassalle wurde aus Bismarcks Kriegskasse finanziert, während gegen das revolutionäre Proletariat die Sozialistengesetze wüteten, das ist mittlerweile bekannt.) Ideologie und Praxis eben dieser „Arbeitervereine“ wurden dann zur theoretischen, resp. politischen, Grundlage für genau die Sozialdemokratie, die im 1. Weltkrieg für die Kriegskredite stimmte.

Und genau diese Sozialdemokratie ist es, die den deutschen Kapitalismus bis heute am besten repräsentiert. Sogar als Sozialdemokratismus innerhalb der anderen bürgerlichen Parteien spürbar.

In Deutschland kam es, trotz massiver Unterstützungen seitens des revolutionären Proletariats (umgekehrt war es dann so, dass das Proletariat das Kapital gegen sich selbst zu unterstützen suchte), zu keiner bürgerlichen Revolution, zu keiner demokratischen Revolution. Die bürgerliche Revolution in Deutschland erschien von Anfang an im Gewande der „Sozialistengesetze“, als Klassenkampf gegen das Proletariat und eben nicht als Kampf gegen den Feudaladel. Selbst nach dem Ende des 1. Weltkrieges, als das Kaiserreich abdanken musste, konnte sich die bürgerliche Demokratie dank der Konspiration der deutschen Bourgeoisie eben gegen die Republik nicht wirklich entfalten. Der Faschismus war dann die logische Folge.

Mit ein Grund warum die Demokratie in Deutschland auf so schwachem Boden sitzt. Nach wie vor. Und mit ein Grund warum der sprichwörtliche Geldadel, das Finanzkapital sozusagen, in Deutschland sich wie ein Feudalherr benimmt.

Chauvinistische Verblendung
@ThorHa: Sie mögen Fakten und Zahlen? Nun ich auch. Zum Beispiel diese: „Auch für Deutschland weisen Analysen auf Basis des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) deutliche Einkommensunterschiede in der Lebenserwartung aus. So werden Männer durchschnittlich nur 70 und Frauen aus der Armutsrisikogruppe 77 Jahre alt, während Männer und Frauen mit sehr hohen Einkommen fast 10 Jahre länger leben (81 bzw. 85 Jahre). Die Ergebnisse verweisen zudem darauf, dass auch der Anteil der in Gesundheit verbrachten Lebensjahre deutlich variiert.“ (wikipedia.org)

Und genau dieser Hinweis auf die unterschiedliche Lebenserwartung in Abhängigkeit von der Klassenzugehörigkeit verdeutlicht den Skandal, dass das Kapital, trotz der Ausbeutung des ganzen Planeten, auch und gerade im Innern versagt hat.

Die Folgen für die Welt, sprich: für die Weltbevölkerung wie auch für den Planeten selber sind zudem unübersehbar. So ist die Lebenserwartung in der Postsowjetunion z.B. auf durchschnittlich 66 Jahre gefallen.

Die Verlierer des Kapitalismus, des kapitalistischen Patriarchats, sind allerdings genau die, von denen wir behaupten, dass sie eigentlich die Gewinner seien – die Frauen. Allerdings ist es nicht so leicht Zahlen zu finden, die das direkt belegen. Dass die meisten Frauen in den Armutsregionen dieser Welt im Kindbett sterben und dass die Kindersterblichkeit im Prinzip nicht abnimmt (vgl.: umweltschulen.de/agenda/nachhaltige_entwicklung_global) ist definitiv dem Kapitalismus anzulasten.

Denn unser Reichtum, und damit auch unsere durchschnittlich höhere Lebenserwartung, sind direkt auf diese Armut zurück zu führen. Und die Hauptverlierer hierbei sind eben die Frauen. Wenn zum Beispiel in Afrika aufgrund dieser Armut die Frauen gezwungen sind, mit primitivsten Mitteln und dies quasi im „Nebenerwerb“, das Überleben der ganzen Familie zu sichern haben und dabei nicht einmal die Achtung erfahren, die sie definitiv verdient hätten, sondern nur Hass und Verachtung (ich verweise auf das von mir wiederholt empfohlene Buch von Nicholas D. Kristof und Sheryl WuDunn „Die Hälfte des Himmels“), dann ist das mehr als nur ein indirekter Hinweis darauf, dass das Patriarchat, nunmehr zusammen mit dem Kapitalismus, auf der ganzen Linie gescheitert ist. Man könnte es auch so formulieren: Der Mann hasst die Frau dafür, dass sie trotz des Elends, das er ihr bereitet, nicht tot zu kriegen ist. Doch sie ist es, denn weltweit fehlen mehr als 100 Millionen Frauen (ebenda). Und das, obwohl sie im statistischen Durchschnitt eine höhere Geburtenrate aufweist.

Die Reduzierung unseres Blickwinkels auf „unsere“ Lebenserwartung, macht deutlich, dass dieses Versagen eben auch seine ideologische Entsprechung findet. Dank unserer chauvinistischen Verblendung, fassen wir das Verbrechen eben nicht mal, das wir anrichten.

„Von der kleinen zur großen Differenz“
Die direkte Rückführung unseres Wohlstandes auf die afrikanische Armut ist zwar wirtschaftshistorisch durch exakt überhaupt nichts zu belegen (zu Kolonialzeiten war Afrika ein Zuschussgeschäft, danach weitgehend uninteressant), aber behaupten kann man´s ja mal.“
In der Tat, behaupten kann man viel. Reden wir mal nicht von der Kolonialzeit, obwohl auch das ein leichtes wäre zu widerlegen. Denn die Ausplünderung Afrikas, mit der überhaupt die Ausplünderung der sog. 3. Welt begann, will heißen: deren Schaffung, begann mit der Sklaverei und endet noch lange nicht. Denn so sieht das heute aus:
youtube.com
Und was Sie da bezüglich Japans von mir hören wollen, verstehe ich nicht. Klar ist allerdings, dass die Eroberung des Fernen Ostens – die Eingliederung in den kapitalistischen Markt – mit der Zerstörung der Macht des chinesischen Reiches (Opiumkrieg u.a.) erst wirklich möglich wurde. Wobei der Westen sich da in Konkurrenz zu Japan setzte. Japan war bis zum Ende des 2. Weltkrieges allerdings ein halbfeudales Land und diesbezüglich zum Scheitern verurteilt. Erst durch die Quasi-Kolonisierung durch die USA wurde es kapitalistisch (siehe auch: was-bedeutet-japan-im-feudalismus), bzw. judoclub-bad-saeckingen.de/forum/beitraege/japan)

Beiden Beiträgen können Sie entnehmen, dass Japan zumindest ökonomisch den Weg zum Kapitalismus eingeschlagen hatte, und dies z.B. im Verhältnis zu China relativ früh.
Was Sie da über Pseudofeminismus schwafeln, entzieht sich meinem Verstand. Vermutlich glauben Sie, dass der Marxismus vereinbar ist mit männlichem Chauvinismus. Und diesbezüglich wäre das dann für Sie die einzig denkbare Beziehung zum Marxismus – aus Ihrer Sicht.

Ich kann an dieser Stelle nur wiederholen, was Engels im Vorwort zur ersten Auflage 1886 von „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates“ zu sagte:
Nach der materialistischen Auffassung (1) ist das (2) in letzter Instanz bestimmende Moment in der Geschichte: die Produktion und Reproduktion des unmittelbaren Lebens. Diese ist aber selbst wieder doppelter Art. Einerseits die Erzeugung von Lebensmitteln, von Gegenständen der Nahrung, Kleidung, Wohnung und den dazu erforderlichen Werkzeugen; andrerseits die Erzeugung von Menschen selbst, die Fortpflanzung der Gattung. Die gesellschaftlichen Einrichtungen, unter denen die Menschen einer bestimmten Geschichtsepoche und eines bestimmten Landes leben, werden bedingt durch beide Arten der Produktion: durch die Entwicklungsstufe einerseits der Arbeit, andrerseits der Familie. Je weniger die Arbeit noch entwickelt ist, je beschränkter die Menge ihrer Erzeugnisse, also auch der Reichtum der Gesellschaft, desto überwiegender erscheint die Gesellschaftsordnung beherrscht durch Geschlechtsbande. Unter dieser, auf Geschlechtsbande begründeten Gliederung der Gesellschaft entwickelt sich indes die Produktivität der Arbeit mehr und mehr; mit ihr Privateigentum und Austausch, Unterschiede des Reichtums, Verwertbarkeit fremder Arbeitskraft und damit die Grundlage von Klassengegensätzen: neue soziale Elemente, die im Lauf von Generationen sich abmühen, die alte Gesellschaftsverfassung den neuen Zuständen anzupassen, bis endlich die Unvereinbarkeit beider eine vollständige Umwälzung herbeiführt. Die alte, auf Geschlechtsverbänden beruhende Gesellschaft wird gesprengt im Zusammenstoß der neu entwickelten gesellschaftlichen Klassen; an ihre Stelle tritt eine neue Gesellschaft, zusammen gefaßt im Staat, dessen Untereinheiten nicht mehr Geschlechtsverbände sondern Ortsverbände sind, eine Gesellschaft, in der die Familienordnung ganz von der Eigentumsordnung beherrscht wird und in der sich nun jene Klassengegensätze und Klassenkämpfe frei entfalten, aus denen der Inhalt aller bisherigen geschriebnen Geschichte besteht.“ (S. 8, Einzelausgabe, Dietzverlag, 1977, siehe auch: mlwerke.de)
________
Anmerkungen (im Original):

1) (Die Neue Zeit, II) Geschichtsauffassung
2) (Die Neue Zeit, II) bestimmende

Genau daraus ergibt sich, dass der Kampf gegen Klassenunterdrückung zugleich einer gegen die geschlechtliche Unterdrückung, gegen die Ausbeutung der Frau, ist. Man kann kein Marxist sein ohne diesbezüglich „Feminist“ zu sein. Allerdings sind Marxisten nicht im bürgerlichen Sinne Feministen (Siehe hierzu meine Erläuterungen zu Bornemanns „Das Patriarchat“ in den Fußnoten 10/11 zu „Hafiz – die Homoerotik – der Nihilismus“, und meine Ausführungen – Von der kleinen zur großen Differenz – in „Philosophus Mansisses“, in Abgrenzung zu Roswitha Scholz).

faz.net/blogs/formfrei/archive/2011/09/08/wo-das-alles-hinfuehrt-das-ist-die-frage-aber-nicht-unsere

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  • Von Zwei Heroen des wissenschaftlichen Sozialismus am 13. Dezember 2012 um 15:20 Uhr veröffentlicht

    […] und „deutsche Pfahlbürger“, das waren wohl die von Marx und Engels häufigsten gebrauchten Attribute in Bezug auf das deutsche Bürgertum), als der Auffassung eines Friedrich Engels. Und solches […]

  • Von Herrschaftswissen zu erwerben ist leicht – für die Herrschenden am 21. Februar 2013 um 02:33 Uhr veröffentlicht

    […] ergibt sich daraus, dass das, was sich als historisch durchgesetzt präsentiert, nicht immer einer Geschichte folgt. Zwischen Erscheinung und Wesen gibt es neben dem historisch-dialektischen auch einen […]

  • […] Die sexuelle Ausbeutung und Unterdrückung ist von der Klassenunterdrückung nicht zu trennen Der größte Fehler der Grünen besteht nicht darin, dass sie sich nicht offensiv genug von solchen Fehlern distanzieren, sondern, dass sie diese Fehler nicht innerhalb eines erneuten Diskurses von Sexualität und Klassengesellschaft aufarbeiten. Die sexuelle Revolution der 68er-Bewegung wäre heute wieder angesagt. Nie wurde der Geschlechterkrieg so scharf geführt wie heute. Und man kann es auch so sehen: Die Unterdrückung des Klassenkampfes rächt sich im Geschlechterkrieg. Doch von den Grünen solches zu erwarten, wäre wohl eine Illusion. Denn gerade der Skandal um die Pädophilie zeigt den hedonistisch-bürgerlichen Charakter dieser Partei und deren Politik. Ob im Rahmen einer angeblichen oder wirklichen Reformpädagogik, wie in der Odenwaldschule oder einer Eliteschule wie Kloster Ettal, ob in Heimen oder Priesterseminaren, ob unter der Obhut der eigenen Eltern, die Kinder die da missbraucht werden, leiden unter der Gewalt derselben bürgerlich-patriarchalen Gesellschaft, wie die Frau in der bürgerlichen Ehe. […]

  • […] als gewöhnlich vielleicht untersuche. Geleitet von der Erkenntnis Friedrich Engels, dass die erste Klassenteilung in der Geschichte mit der Unterdrückung der Frau zusammenfällt […]

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