Zwei Heroen des wissenschaftlichen Sozialismus

Vorwort:
Für die von mir weiter unten per Link zur Mediathek verwiesene Veranstaltung der Goetheuniversität unter dem Titel „Die Demokratie im Würgegriff der Finanzmärkte“, möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich die Werbetrommel rühren. Nicht hauptsächlich deswegen, wie man mir vielleicht unterstellen könnte, weil es mir da gelungen war, Redebeiträge unterzubringen, sondern weil ich eine solchermaßen geradezu „Massenveranstaltung“ lange nicht mehr erlebt habe. Die Redebeiträge des Publikums zeichneten sich durch Sachlichkeit wie eben diesem Publikum nicht zugestandene „Fachlichkeit“ aus. Die Veranstalter waren über den Massenansturm schon zur Auftaktveranstaltung im Schauspielhaus Frankfurt derart überrascht, dass sie die kommenden Veranstaltungsorte von der Akademie der Evangelischen Kirche am Domplatz zur Uni-Bockenheim verlegten. In den Hörsaal H5. Der „Bürger“ findet dort nicht nur einen ihm angemessenen Raum, sondern er zeigt sich auch dort weiterhin von seiner besten Seite.

Nicht nur, dass sich ihm, ob der von der gesamten Fach- wie Medienwelt verschlafenen Finanzkrise, sich diese ihm auch im Händling der darauf folgenden Schuldenkrise als so blamiert wie überfordert vorstellt, sondern auch, dass er, als der einfache Bürger, als der „Un-Gelehrte“, ergo: „technisch“ nicht ausreichend „Versierte“ (wie zuletzt wieder mal von einem Gelehrten dort entsprechend belehrt, vgl. 3. Veranstaltung – Falsche Anreize) nun genau diesen Gelehrten dahin belehrt, wie wenig dieser doch mit dem – von ihm reklamierten – „Fachwissen“ eigentlich anzufangen weiß.

Es bewahrheitet sich – und dies auf besonders anschauliche Weise – wie sehr doch die Kritik eines Ortega y Gasset an dem „Spezialistentum“ der Moderne nach wie vor, ja mehr denn je, trifft. Wo doch diese Spezialisten selber nur den Masseninstinkten folgen. Ihren eigenen. Von ihrer Herde Getriebene sind sie, nicht die Zukunft Antizipierende.

Ich freue mich jetzt schon auf die Auseinandersetzung mit Sahra Wagenknecht, am kommenden Montag, dem 17. Dezember 2012, dort. Man darf darüber gespannt sein, ob sie es versteht einer Massenbewegung Ziel und Form zu geben, dieser also Hoffnung wie Orientierung, oder ob sie hinter jener nur her trabt, wie die übliche rechte, linke oder gar „ultralinke“ Sozialdemokratie, für die sie letztlich agiert. Wir werden sehen, ob sie Hegel, die Dialektik eines Hegel, für die sie als „Fachfrau“ (mit einer vorgeblichen Doktorarbeit, die allerdings nirgendwo aufzutreiben ist; wie auf der Veranstaltung am 17. Dezember 2012 aber nun zu hören war, macht sie jetzt erst ihren Doktor – auf ganz bürgerliche Weise -, von der vorgeblichen Doktorarbeit in der ehemaligen DDR war nichts mehr zu hören) zu stehen behauptet, angemessen ins Schlachtfeld zu führen vermag. Wir werden sehen, ob sie den „Kommunismus“, für dessen „Plattform“ sie innerhalb ihrer Partei steht, als Wissenschaft anzubieten hat, und damit als Alternative zum pseudowissenschaftlichen Betrieb der Bourgeoisie, oder als Plattform quasisozialistischer Plattitüden.

Mit der Kritik an der Finanz- und Schuldenkrise zeigt sich somit nicht nur die gewissermaßen noch nett daherkommende Arroganz unserer Wissenschaftler im eigentlichen Fokus der Kritik, sondern auch und gerade die zynisch-freche Arroganz einer dazu passenden Medienindustrie. Dort wie hier, will man die Massen, die politisch allmählich wieder bewusst werdenden, nämlich für blöde verkaufen.

Zwei Heroen des wissenschaftlichen Sozialismus
Diesem Lobgesang auf den „Kapitalisten Engels“ möchte ich folgendes etwas längere Zitat von Friedrich Engels selber über die Bourgeoisie, insbesondere die deutsche, nachschieben:

Von allen nationalen Bourgeoisien hat unleugbar die englische bis jetzt den meisten Klassenverstand – d.h. politischen Verstand – sich bewahrt. Unsere deutsche Bourgeoisie ist dumm und feig; sie hat nicht einmal verstanden, die ihr 1848 durch die Arbeiterklasse erkämpfte politische Herrschaft zu ergreifen und festzuhalten; die Arbeiterklasse muß in Deutschland erst die Reste des Feudalismus und des patriarchalischen Absolutismus wegfegen, die unsere Bourgeoisie längst aus der Welt zu schaffen verpflichtet war. Die französische Bourgeoisie, die geldgierigste und genußsüchtigste von allen, wird durch ihre eigene Geldgier geblendet über ihre eigenen Zukunftsinteressen; sie sieht nur von heute auf morgen, sie stürzt sich profitwütig in die skandalöseste Korruption, erklärt eine Einkommensteuer für sozialistischen Hochverrat, kann keinem Streik anders begegnen als mit Infanteriesalven und bringt es damit fertig, daß in einer Republik mit allgemeinem Stimmrecht den Arbeitern kaum ein anderes Siegesmittel bleibt als die gewaltsame Revolution. Die englische Bourgeoisie ist weder so gierig-dumm wie die französische, noch so feig-dumm wie die deutsche. Sie hat während der Zeit ihrer größten Triumphe den Arbeitern fortwährend Konzessionen gemacht; selbst ihr borniertester Teil, die konservative Grund- und Finanzaristokratie, scheute sich nicht, den städtischen Arbeitern das Stimmrecht in einem Maß zu übertragen, daß es nur die Schuld dieser Arbeiter selbst war, wenn sie nicht seit 1868 40-50 der ihrigen im Parlament hatten. Und seitdem hat die gesamte Bourgeoisie – Konservative und Liberale vereinigt – das erweiterte Stimmrecht auch auf die Landbezirke ausgedehnt, die Größe der Wahlkreise annähernd ausgeglichen und damit der Arbeiterklasse mindestens dreißig weitere Wahlkreise zur Verfügung gestellt. Während die deutsche Bourgeoisie die Fähigkeit, als herrschende Klasse die Nation zu führen und zu vertreten, nie gehabt hat, während die französische tagtäglich – und eben jetzt wieder in den Wahlen – beweist, daß sie diese Fähigkeit – und sie besaß sie einst in höherem Grad als irgendeine andere Mittelklasse – total verloren hat, bewies die englische Bourgeoisie (worin die sog. Aristokratie aufgegangen und einbegriffen ist) bis zuletzt noch eine gewisse Gabe, ihre Stellung als leitende Klasse wenigstens einigermaßen auszufüllen.“ (Friedrich Engels, Die Abdankung der Bourgeoisie, geschrieben Ende September bis Anfang Oktober 1889, aus: MEW, Bd. 21, 5. Auflage 1975, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 383-387, entnommen zuletzt am 13.12.2012, mlwerke.de/me/me21/me21_383.htm)
Möglich, dass es solche Erkenntnisse eines deutschen Unternehmers waren, die diesen zum Kommunisten hat werden lassen. Bekannt ist auch, dass Karl Marx bei der Verfassung seiner ökonomischen Schriften, auf den Rat seines Freundes und Genossen Engels angewiesen war. (Vgl. hierzu besonders Marx-Engels Briefe über „Das Kapital“, Dietzverlag 1954, 1. Auflage 1954.)

Doch dass die von Engels solchermaßen positiv hervor gehobene (ja wohl nur englische) Bourgeoisie bis „heute“ so zu beschreiben sei, das entspringt wohl eher dem Wunschdenken eines damals schon satten deutschen „Philisters“ („Philister“ und „deutsche Pfahlbürger“, das waren wohl die von Marx und Engels häufigsten gebrauchten Attribute in Bezug auf das deutsche Bürgertum), als der Auffassung eines Friedrich Engels. Und solches lässt uns auch die Erfahrungen „am Beginn des 21. Jahrhunderts“ wahrlich nicht bestätigen. Ich zitiere daher Engels noch einmal:

Da bricht der Streik der Dockarbeiter aus. Nicht die von den Dockgesellschaften geplünderte Bourgeoisie rebelliert; es sind die von ihnen ausgebeuteten Arbeiter, die Ärmsten der Armen, die unterste Schicht der Proletarier des Ostends, die den Dockmagnaten den Fehdehandschuh hinwerfen. Und da endlich besinnt sich die Bourgeoisie, daß auch sie in den Dockmagnaten einen Feind hat, daß die streikenden Arbeiter nicht nur in ihrem eigenen Interesse, sondern indirekt auch im Interesse der Bourgeoisklasse den Kampf aufgenommen haben. Das ist das Geheimnis der Sympathie des Publikums mit dem Streik und der bisher unerhört freigebigen Geldbeiträge aus bürgerlichen Kreisen. Aber dabei blieb’s auch. Die Arbeiter gingen ins Feuer unter dem Beifallsruf und Händeklatschen der Bourgeoisie: die Arbeiter fochten den Kampf aus und bewiesen nicht nur, daß die stolzen Dockmagnaten besiegbar waren, sondern wühlten auch durch ihren Kampf und Sieg die gesamte öffentliche Meinung derartig auf, daß Dockmonopol und feudale Hafenverfassung jetzt nicht länger zu halten sind und demnächst wohl ins Britische Museum wandern werden.
Dies Stück Arbeit hätte die Bourgeoisie längst besorgen sollen. Sie hat es nicht gekonnt oder nicht gewollt. Jetzt haben die Arbeiter es in die Hand genommen und jetzt wird es erledigt. Mit andern Worten, hier hat die Bourgeoisie von ihrer eignen Rolle abgedankt zugunsten der Arbeiter
.“ (ebenda)

Was wir über die Bourgeoisie, namentlich auch über die deutsche, heute zu sagen hätten, das liest sich mit dem heutigen Tage in etwa so:

Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Deutsche-Bank-Chef
12.12.2012 • 500 Beamte haben Büros der Deutschen Bank und zahlreiche Wohnungen durchsucht. Es geht um den Verdacht der Geldwäsche und der versuchten Strafvereitelung. Ermittelt wird auch gegen Co-Vorstandschef Jürgen Fitschen.“ (zitiert nach faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/fuenf-mitarbeiter-nach-razzia-verhaftet-staatsanwaltschaft-ermittelt-gegen-deutsche-bank-chef)
Und was das Volk hierzu zu sagen hätte, das entnehme man bitteschön hieraus

Und was die Behauptung angeht, dass Engels eines Marxens „bourgeoisen Lebensstil“ zu finanzieren gehabt hätte, ist an Geschmacklosigkeit kaum noch zu überbieten. Aber es widerspricht auch der Wahrheit. Den oben von mir genannten Briefen über „Das Kapital“, lässt sich entnehmen, nicht nur wie groß die Not von Marx gewesen war, sondern auch wie wichtig es Engels nahm, seinem Freund (und dessen Familie) nicht nur das Elend im Exil zu mildern, sondern auch diesem Heroen des wissenschaftlichen Sozialismus sein Werk zu ermöglichen.

Der proletarische Klassenstandpunkt ist kein Doktortitel
@rum: Es kommt nicht darauf an, welcher Klasse man entstammt, sondern für welche man sich engagiert. Marx und Engels entstammten bürgerlichen, gar großbürgerlichen Familien. Doch Marx hat auf eine bürgerliche Laufbahn verzichtet. Was ihm übrigens die Bourgeoisie nie verzeiht. Engels verkaufte seinen Anteil am Geschäft der Familie. Mit dem Geld, was ihm blieb, bzw., was er erwarb, finanzierte er sich weniger einen luxuriösen Lebensstandard – dazu hatte er gar nicht die Zeit – als vielmehr die Herausarbeitung des Wissenschaftlichen Sozialismus, und u.a. unterhielt Marx und dessen Familie daraus.

Woher ich stamme, ist eigentlich gar nicht von Bedeutung. Aber wenn es Sie interessiert: Mein Vater war Arbeiter, doch Mutter wie Vater entstammten bäuerlichen Familien. Ich selber bin Angestellter im Öffentlichen Dienst. Mitnichten Proletarier, dennoch Lohnabhängiger, denn weder Vermögen besitzend, noch dort zum Führungskader gehörend.

Doch spielt das alles keine Rolle. Denn darin begründet sich nicht meine „Rebellion“ .
Abgesehen von gewissen Details in meiner ganz persönlichen Biografie, vermittelte mir erst die Beschäftigung mit dem Wissenschaftlichen Sozialismus – vor etwa 40 Jahren damit beginnend – den „Proletarischen Klassenstandpunkt“. Einen Standpunkt, den man sich aber immer wieder neu erkämpfen muss. Denn er ist weder Doktortitel (siehe obiges Vorwort), noch basiert er auf einem Geburtsrecht, sondern er ist ein lebenslanges Ideal, eine Zielorientierung, an welcher sich der Weg bewähren muss.
Und genau darauf kam es mir an, in meinem Beitrag. Es bedeutet Engels gründlich misszuverstehen, wie nämlich geschehen, wenn man ihn als Bohème darzustellen versucht.
Ich hoffe doch, dass das klar geworden ist – in meinen „langen Ausführungen“.

faz.net/blogs/fazit/archive/2012/12/12/alte-meister-3-friedrich-engels-der-kapitalist

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  • Von Das zu lösende Rätsel am 30. Dezember 2012 um 21:54 Uhr veröffentlicht

    […] auf der letzten Veranstaltung zu „Demokratie im Würgegriff der Finanzmärkte“, am 17. Dezember 2012 in der Uni-Bockenheim, Frankfurt, welche Sie freundlicherweise, doch im Ergebnis nicht so ganz zu meiner Freude, zu moderieren […]

  • Von Doch wir wissen es! am 16. Februar 2013 um 19:29 Uhr veröffentlicht

    […] Doch wir wissen es! Ich als Linker frage jetzt mal ganz naiv: was ist denn ein Linker? Ein linker Ökonom gar? Sie sagen doch selber: „Es gibt nur noch wenige von uns, die sich ernsthaft mit der Geschichte des ökonomischen Denkens beschäftigen…“ Diese und Marx studiert zu haben, gründlich studiert zu haben, ihn anwenden können, ja weiter entwickeln, das wäre für mich die Mindestanforderung an einen „linken Ökonomen“. Doch Keynes statt Friedman, soll ich lachen? Wenn nicht gar Hayek mit drin. In einem haben Sie unbedingt recht: Die Ökonomen sind Teil des Finanzsektors. Keine Frage. Doch wo Sie annehmen, dass „da draußen keiner Bescheid wüsste“, da irren Sie sich. Jeder weiß Bescheid. Nur diese Ökonomen sind derart ignorant, dass Sie das nicht interessiert. Sie fühlen sich wohl als Eingebettete im Finanzkapital. Doch das macht sie so überflüssig wie das Finanzkapital schwach. Denn auch da haben Sie recht: Die Finanzkrise ist eine intellektuelle Krise. Und glauben Sie mir, auch das wissen die Leute. […]

  • Von Herrschaftswissen zu erwerben ist leicht – für die Herrschenden am 19. Februar 2013 um 21:22 Uhr veröffentlicht

    […] Ich schätze mal, weil es ein Interesse daran gibt. Leute wie Hegel, Kant oder Marx waren Heroen des […]

  • Von Ohne Marx ist Murks am 10. März 2013 um 21:00 Uhr veröffentlicht

    […] abnehmen. Und wie gerade wieder mal die aktuelle Finanzkrise und Schuldenkrise zeigt, ist die ganze Debatte ohne Marx eben […]

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