Spiegelverkehrtes Denken

Spiegelverkehrtes Denken
Wo das ethische Prinzip zum Grundprinzip menschlichen Handelns erhoben, hingegen die außerethische Realität als dann nur vor dem Hintergrund eben eines solch ethischen Apriori zur Empirie verniedlicht wird, dort landet man nicht nur bei Kant, sondern auch beim Idealismus, beim Empiriokritizismus eines Mach zum Beispiel (vgl. Lenins „Materialismus und Empiriokritizismus, LW, Bd. 14). Die Kritik der politischen Ökonomie eines Marx richtete sich daher nicht nur gegen die „unsichtbare Hand“ eines Adam Smith, sondern eben auch gegen jenen Kritizismus eines Kant.

Der Fetisch Markt wird erst durch Kant, und zwar durch dessen ethisches Apriori zu einem „Ding“ amalgiert, welches nicht mehr begreifbar/erkennbar wäre. Durch das von Kant unterstellte Apriori der Ethik wird das Handeln der Menschen als eines verstanden, welches sich in erster Linie von seiner Innenansicht leiten ließe, so als wäre der Mensch nicht auf die äußere Welt fixiert, sondern eben göttlich motiviert. Hier treffen sich alle idealistischen Denkschulen.

Doch wo die Praxis des Menschen das Kantsche „Ding an sich“, in ein „Ding für sich“ wandelt, da liegen die Triebkräfte so offen, wie die Möglichkeit eben diese zu erkennen – nach Marx jedenfalls. So ist Adam Smiths „unsichtbare Hand“ nichts anderes als die Bewegung des Kapitals selber, welches da Lohnarbeit – abstrakte Arbeit – ausbeutet, und sich dadurch in unlösbare Widersprüche verwickelt. Soweit in diese Bewegung der Klassenkampf mit einfließt, lässt sie sich auch nicht mehr als rein objektive Bewegung darstellen, also letztlich gar quantifizieren. Wir sprachen schon davon. Nach Sohn-Rethel benennen wir diese Bewegung auch „Realabstraktion“:

Das Wesen der Warenabstraktion aber ist, daß sie nicht denkerzeugt ist, ihren Ursprung nicht im Denken der Menschen hat, sondern in ihrem Tun. Und dennoch gibt das ihrem Begriff keine bloße metaphorische Bedeutung. Sie ist Abstraktion im scharfen wörtlichen Sinne. Der ökonomische Wertbegriff, der aus ihr resultiert, ist gekennzeichnet durch vollkommene Qualitätslosigkeit und rein quantitative Differenzierbarkeit und durch Anwendbarkeit auf jedwede Art von Waren und von Dienstleistungen, welche auf einem Markt auftreten mögen. Mit diesen Eigenschaften hat die ökonomische Wertabstraktion in der Tat frappante äußere Ähnlichkeit mit tragenden Kategorien der quantifizierenden Naturerkenntnis (…). Während die Begriffe der Naturerkenntnis Denkabstraktionen sind, ist der ökonomische Wertbegriff eine Realabstraktion. Er existiert zwar nirgends anders als im menschlichen Denken, er entspringt aber nicht aus dem Denken. Er ist unmittelbar gesellschaftlicher Natur, hat seinen Ursprung in der raumzeitlichen Sphäre zwischenmenschlichen Verkehrs. Nicht die Personen erzeugen diese Abstraktion, sondern ihre Handlungen tun das, ihre Handlungen miteinander.“ (Quelle: Alfred Sohn-Rethel: Geistige und körperliche Arbeit. Zur Theorie der gesellschaftlichen Synthesis. Frankfurt am Main 1970, S. 41f, zit. nach: http://formkritik.blogsport.eu/2010/09/10/sohn-rethel-zur-realabstraktion, letzter Zugriff 21.01.2011)

Wenn man der Ethik an dieser Stelle einen besonderen Stellenwert einräumen möchte, dann wäre dieser nur als ein abgeleiteter zu verstehen. „Ethik“ in dieser Geschichte wäre somit nur Ergebnis des Klassenkampfes. Man könnte das ganze Kantsche „Ding an sich“ auch als den blinden Fleck, nach Zizek, bezeichnen, insofern nämlich dem Menschen die sog. Innenansicht nur vermittelst der nach außen Gerichteten möglich ist (und das „Erkennen“ desselben, wird auch als Bewusstsein verstanden, und das, obwohl wir uns noch gar nicht voll bewusst darüber zu sein scheinen, wie verkehrt wir trotzdem diese Beziehung deuten, siehe bei Kant). Wir schauen auf die Dinge, die uns umgeben und erfahren dabei etwas über uns selber. Nur letzteres wissen wir halt nicht. Wir denken es uns als ein Apriori, als etwas, was wir also voraussetzen, statt abzuleiten. Verkehrte Welt.

Es gibt heute Versuche, gar seriöse, wie ich meine, Kants erkenntniskritische Methode retten zu wollen. Zizek wäre da kein schlechter Kandidat für, soweit er den Kantschen Idealismus nicht zu retten versucht. Der „blinde Fleck“ ist ja nur deshalb einer, weil wir eben nicht begreifen, dass unser Blick immer erst nach außen gerichtet ist. Der indirekte Blick nach innen kann uns für uns nicht vollständig abbilden. Ein Teil bleibt uns – das wesentliche gar, nämlich woher diese Erkenntnis? – dabei verborgen. Wir bilden uns daher ein, so etwas wie einen göttlichen Impuls zu haben. Von einer unsichtbaren Hand gesteuert zu sein. Also auch ein Zizek kommt nicht an einer Kritik an Kant vorbei, will er Marxist bleiben.

Was ist ein gerechter Lohn?
@Sophia Amalie Antoinette Infinitesimalia: Das ist wahr. Die ganze offizielle Wissenschaft, die bürgerliche, ist letztlich kantianisch. Ich bezog das „retten“ allerdings auf die wage Möglichkeit ihn, oder wenigstens Teile von ihm, für die revolutionäre Theorie zu „retten“. Eine, die seit Marx eine sozialistische ist, keine bürgerliche. Kant wurde immer als der Gegenpol zu Marx gebraucht und damit für die revolutionäre Theorie entwertet. – Was maximal herauskam, war Sozialreformismus.

Aber da auch einen Kant kein „höheres Wesen, kein Gott, kein Kaiser und keinen Tribun“ zu retten vermag, auch nicht die sozialistische Arbeiterbewegung, so bleibt er in der Gefangenschaft der bürgerlichen Klasse, solange es nicht möglich ist, wenigstens einen materialistischen Kern, einen dialektisch-materialistischen, aus seiner Erkenntniskritik heraus zu lösen. Da wo Kant allerdings erkenntniskritisch fruchtbar gemacht werden könnte, muss man sich erst durch den ganzen Idealismus durchwurschteln. Nicht viele haben Lust dazu, zumal es besseres auf dem „Markt“ gibt.

Die hegelsche Dialektik bot sich dazu an. Nicht nur weil Marx Hegelianer war, sondern weil Hegel vom Ganzen ausging, und weil dieser letztlich erkannte, dass der „absolute Geist“ ein wahrheitssuchender ist, und kein agnostischer.
Dieser Geist – auf dessen materialen Ursprung zurückgeführt – vermochte dann wahre Wunder zu leisten. Nicht zuletzt vollbrachte er das Wunder – über Marx und Engels – eines dialektischen und eben auch historischen Materialismus. Mit Kant war das schwieriger. Sein Idealismus war von anderer Natur. Er versperrte den Blick aufs Ganze, und damit auch auf die Möglichkeit dieses Ganze überhaupt zu erfassen. Er verlor sich in philosophische Spitzfindigkeiten, wie in jenes „Ding an sich“.

Man merkt den Einfluss des protestantischen Pfarrers, den preußischen Pedanten, der sich da in seine Sache verbissen hat, ein fleißiger „Arbeiter“ wohl ist, doch ein Sektierer. Einer, der die Studierstube in eine Isolierstube verwandelt hat.
Aber wie hätte er auch anders gekonnt. So wie das damalige Preußen sich anschickte, den Kapitalismus nicht von unten nach oben herauszubilden, also aus einer bürgerlichen Revolution heraus, sondern eben von oben nach unten, mithilfe einer aristokratischen Bürokratie, quasi von Anfang an als Staatskapitalismus, also als das, was es heute noch ist, so musste auch diesem Kapitalismus von Anfang an, keine richtig bürgerliche, sondern eine „falsche“ proletarische, eben eine typisch deutsche Ideologie aufgepfropft werden. Das Kapital ist von Natur aus nicht schlecht, es hat halt nur die falsche Umgebung, nicht wahr?

Dabei sind wir geblieben – wir Deutschen. Irgendwann war dann zwischen dem schaffenden und dem raffenden Kapital zu unterscheiden. Dem deutschen und dem internationalen – vorwiegend jüdischen -, nicht wahr?

Und das ist auch der Grund, warum ein Kant, zumindest in Deutschland, nicht tot zu kriegen ist.

Und so verhält es sich auch mit der Lohnarbeit. Dem braven deutschen Arbeitsmann gehört ein „ehrlicher Lohn“ für ein „gerechtes Tageswerk“, trompetete schon Lassalle, jener Archetypus eines reformistischen Arbeiterführers. Einem, von dem wir mittlerweise wissen, dass er von Bismarck ein finanzielles Zubrot erhielt – aus dessen Kriegskasse – gegen den Sozialismus – dem revolutionären. Hier trifft sie sich, die preußisch-deutsche Ideologie mit dem preußischen Arbeiteraristokraten – und mit Kant natürlich, dem fleißigsten Arbeiter überhaupt – aus dem deutschen Ideologiebetrieb der damaligen Zeit.
Doch Lohnarbeit ist auch dort „Ausbeutung“, wo sie dem Lohnarbeiter selber als gerecht erscheinen mag. Denn der K l a s s e wird der Mehrwert vorenthalten. Nur die Kosten der Herstellung der Arbeitskraft werden überhaupt ersetzt – bestenfalls.

Die kapitalistische Produktion ist nicht nur Produktion von Ware, sie ist wesentlich Produktion von Mehrwert“, schlussfolgert Marx. Und weiter: „Der Arbeiter produziert nicht für sich, sondern für das Kapital. Es genügt daher nicht länger, dass er überhaupt produziert. Er muss Mehrwert produzieren.“ (Das Kapital Band I, MEW 23, „Absoluter und relativen Mehrwerts“, S. 532). Dass die bürgerliche Klasse, und gut bezahlte Lohnarbeiter, muss man hinzu fügen, Ausbeutung erst dort sehen wollen, wo dem Proletarier eben „keinen gerechten Lohn für ein gerechtes Tageswerk“ gezahlt werde, schafft das Problem, erklären zu müssen, was ein gerechter Lohn sei.
Mir ist keine wirklich schlüssige Erklärung diesbezüglich bekannt.

Wege zum Kommunismus
@Sophia Amalie Antoinette Infinitesimalia: Wir finden keine bessere Beschreibung des Weges zum Kommunismus und damit auch der allgemeinen Grundzüge eben desselbigen als in „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft“ von Friedrich Engels. Bevor ich hieraus zitiere, möchte ich einiges vorweg schicken, und dies sehr wohl auch aus aktuellem Anlass. Dass die Diskussion über das, was Kommunismus im Einzelnen heißen könnte, auch abhängig davon ist, was der Klassenkampf dazu beiträgt, oder eben auch nicht, ist auch ein Grund dafür, wieso das im folgende Zitierte eben nicht einfach auf die reale Bewegung umzusetzen ist, sondern eben kritisch zu hinterfragen.

Allerdings können wir jetzt schon schlussfolgern, und dies gilt umso mehr, als das Kapital sich noch weiter über die Zeit zu retten vermag, dass selbst die ausgereiftesten ökonomischen Verhältnisse, von denen auch hier bei Engels immer wieder ausgegangen wird, nicht gleich bedeuten können, dass der Sozialismus am Ende wie ein reifer Apfel vom Baum fiele. Denn während die Ökonomie in Richtung Sozialismus tendiert, und in jeder Krise wird das manifester, so barbarisiert zugleich eine jene Gesellschaft, die sich eben diesem Fortschritt zu widersetzen sucht. Auf eine halbe Revolution folgt immer eine ganze Konterrevolution, wurden Marx und Engels nie müde zu predigen. Und das wiederum bleibt auch nicht ohne Auswirkungen sowohl auf den Klassenkampf, der notwendig sein wird, um dem Ziel überhaupt näher zu kommen, als auch auf die solchermaßen möglich werdende zukünftige sozialistische Gesellschaft: Wie oft hat die Konterrevolution gesiegt, und wie stark überhaupt ist der Freiheitswille der proletarischen Klasse? Dass die Geschichte von den Menschen letztlich selbst gemacht wird, allerdings immer wieder auf der Grundlage des jeweils Vorgefundenen, ist die Quintessenz der marxschen Dialektik. Und wenn diese Menschen partout nicht wollen, gibt es auch keinen Kommunismus.

Der dadurch geschaffene Antagonismus zwischen Ökonomie und Politik beeinflusst somit auch – in Form der Rückwirkung nämlich – die ökonomische Bewegung selbst. Doch dies „ist Wechselwirkung zweier ungleicher Kräfte, der ökonomischen Bewegung auf der einen, der nach möglichster Selbständigkeit strebenden und, weil einmal eingesetzten, auch mit einer Eigenbewegung begabten neuen politischen Macht; die ökonomische Bewegung setzt sich im ganzen und großen durch, aber sie muss auch Rückwirkung erleiden von der durch sie selbst eingesetzten und mit relativer Selbständigkeit begabten politischen Bewegung,…“ (Engels an Schmidt, Marx-Engels, Briefe über „Das Kapital“, S. 319).

Nach Engels könnte man schlussfolgern: die klassenlose Gesellschaft könnte sich auf die eine oder andere Weise realisieren, doch auf welche, das hängt wesentlich von der Kraft und dem Willen des revolutionären Subjekts ab – und von den Schwächen des Kapitals (was man nicht vergessen sollte!). Und im weiteren Ergebnis bedingt eben dieser konkret verlaufende Klassenkampf nicht nur die konkrete Ausformung dessen, was wir klassenlose Gesellschaft nennen, sondern damit auch den tatsächlichen Inhalt. Theoretisch denkbar wäre auch eine barbarisierte Klassengesellschaft, die der Klassenlosigkeit wohl immer näher kommt, diese aber nie erreicht, bis sie vielleicht in sich kollabiert, und dabei einen historischen Rückschritt vollzieht, der seinesgleichen in der Geschichte zu suchen hätte. Eine Vorstellung in etwa gäben uns davon die „dunklen Jahrhunderte“ vor der klassischen Zeit im antiken Griechenland.

Doch ist die Frage, nach dem, was da womöglich nach diesem Kommunismus kommt, wenn er denn kommt, in etwa so schwer zu beantworten, wie die Frage: was war vor dem Urkommunismus? Denn da finden wir bestenfalls nur noch Knochensplitter, aber kaum Hinweise auf eine gesellschaftliche Formation, die es vermutlich auch gar nicht gab.

Auf jeden Fall wird der Kommunismus nicht das Ende der Geschichte sein, wie die bürgerlichen Apologeten dem historischen Materialismus immer zu unterstellen wünschen, doch aber das Ende der Geschichte der Klassenkämpfe. Weiteres allerdings ist aus heutiger Perspektive nicht beschreibbar. Jedenfalls nicht so, wie Engels hier die reale Bewegung des Kommunismus selbst, wir würden heute sagen, die Bewegung zum Kommunismus, beschreibt:

Der moderne Sozialismus ist seinem Inhalte nach zunächst das Erzeugnis der Anschauung, einerseits der in der heutigen Gesellschaft herrschenden Klassengegensätze von Besitzenden und Besitzlosen, Kapitalisten und Lohnarbeitern, andrerseits der in der Produktion herrschenden Anarchie. Aber seiner theoretischen Form nach erscheint er anfänglich als eine weitergetriebne, angeblich konsequentere Fortführung der von den großen französischen Aufklärern des 18. Jahrhunderts aufgestellten Grundsätze. Wie jede neue Theorie, mußte er zunächst anknüpfen an das vorgefundne Gedankenmaterial, sosehr auch seine Wurzel in den materiellen ökonomischen Tatsachen lag.“ (S. 189)

Wir wissen jetzt, daß dies Reich der Vernunft weiter nichts war als das idealisierte Reich der Bourgeoisie; daß die ewige Gerechtigkeit ihre Verwirklichung fand in der Bourgeoisjustiz; daß die Gleichheit hinauslief auf die bürgerliche Gleichheit vor dem Gesetz; daß als eines der wesentlichsten Menschenrechte proklamiert wurde – das bürgerliche Eigentum; und daß der Vernunftstaat, der Rousseausche Gesellschaftsvertrag ins Leben trat und nur ins Leben treten konnte als bürgerliche, demokratische Republik. So wenig wie alle ihre Vorgänger konnten die großen Denker des 18. Jahrhunderts hinaus über die Schranken, die ihnen ihre eigne Epoche gesetzt hatte.“ (S. 190)

Indem die kapitalistische Produktionsweise mehr und mehr die große Mehrzahl der Bevölkerung in Proletarier verwandelt, schafft sie die Macht, die diese Umwälzung, bei Strafe des Untergangs, zu vollziehn genötigt ist. Indem sie mehr und mehr auf Verwandlung der großen vergesellschafteten Produktionsmittel in Staatseigentum drängt, zeigt sie selbst den Weg an zur Vollziehung der Umwälzung. Das Proletariat ergreift die Staatsgewalt und verwandelt die Produktionsmittel zunächst in Staatseigentum. Aber damit hebt es sich selbst als Proletariat, damit hebt es alle Klassenunterschiede und Klassengegensätze auf und damit auch den Staat als Staat. Die bisherige, sich in Klassengegensätzen bewegende Gesellschaft hatte den Staat nötig, d.h. eine Organisation der jedesmaligen ausbeutenden Klasse zur Aufrechterhaltung ihrer äußern Produktionsbedingungen, also namentlich zur gewaltsamen Niederhaltung der ausgebeuteten Klasse in den durch die bestehende Produktionsweise gegebnen Bedingungen der Unterdrückung (Sklaverei, Leibeigenschaft oder Hörigkeit, Lohnarbeit). Der Staat war der offizielle Repräsentant der ganzen Gesellschaft, ihre Zusammenfassung in einer sichtbaren Körperschaft, aber er war dies nur, insofern er der Staat derjenigen Klasse war, welche selbst für ihre Zeit die ganze Gesellschaft vertrat: im Altertum Staat der sklavenhaltenden Staatsbürger, im Mittelalter des Feudaladels, in unsrer Zeit der Bourgeoisie. Indem er endlich tatsächlich Repräsentant der ganzen Gesellschaft wird, macht er sich selbst überflüssig. Sobald es keine Gesellschaftsklasse mehr in der Unterdrückung zu halten gibt, sobald mit der Klassenherrschaft und dem in der bisherigen Anarchie der Produktion begründeten Kampf ums Einzeldasein auch die daraus entspringenden Kollisionen und Exzesse beseitigt sind, gibt es nichts mehr zu reprimieren, das eine besondre Repressionsgewalt, einen Staat, nötig machte. Der erste Akt, worin der Staat wirklich als Repräsentant der ganzen Gesellschaft auftritt – die Besitzergreifung der Produktionsmittel im Namen der Gesellschaft, ist zugleich sein letzter selbständiger Akt als Staat. Das Eingreifen einer Staatsgewalt in gesellschaftliche Verhältnisse wird auf einem Gebiete nach dem andern überflüssig und schläft dann von selbst ein. An die Stelle der Regierung über Personen tritt die Verwaltung von Sachen und die Leitung von Produktionsprozessen. Der Staat wird nicht „abgeschafft“, er stirbt ab.“ (S. 223/224, MEW, Bd. 19, oder: mlwerke.de/me/me19, letzter Zugriff: 21.01.2011)

Wenn die letzte Maschine in Gang gesetzt ist
@MStrittmatter: Sorry, dass ich mich jetzt erst melde, aber wo alle Welt über den „Kommunismus“ diskutiert, habe ich natürlich gewisse Prioritäten. Aber Ihre Äußerung passt mir fast so gut ins Konzept, wie einer Frau Lötzschens überraschendes Bekenntnis zum Kommunismus. Ich zitiere Sie:
Ich finde die ganze Idee der materiellen oder wirtschaftlichen Unterdrückung des Proletariates als Begründung für marxistisches Denken reichlich überholt. Zunächst einmal die Theorie, dass einzig Arbeit ‚Wert‘ schafft, wird zu dem Zeitpunkt widerlegt sein, da wir es geschafft haben, dass Maschinen sich selbst bauen können um Arbeit zu verrichten…“

Das Kapital haben Sie definitiv nie gelesen, auch wenn Sie hier mal kurz den Eindruck zu hinterlassen suchen. „Abstrakte Arbeit“, menschliche Arbeit, eine solche, die letztlich nichts anderes ist als eine gesellschaftliche Konvention, schafft „Werte“. Und na klar, auch einen Schimpansen können wir darauf hin zurichten, etwas zu schaffen, was irgendjemanden dann von Wert sein könnte. Da gibt es gewisse „Kunstwerke“ auf deren Versteigerung bei Sotheby‘s ich gespannt bin. Ich bezweifle nur, dass es diesbezüglich je eine gesamtgesellschaftliche Übereinkunft geben wird.

Und so ist es auch mit Robotern, die wohl keine Schimpansen sind, aber eben Maschinen, Arbeitsmittel, auf jeden Fall aber kein variables Kapital, fixes nämlich. Fixes Kapital fließt gemäß Marxens Theorie wohl in den Wert ein, doch nur insofern sich dieses Kapital darin zu reinvestieren sucht. Es wird sozusagen dort aufgezehrt, solange nämlich, bis die Maschine entweder abgeschrieben oder untauglich geworden ist – nach so und so vielen Reparaturen. Und selbst wenn Maschinen Maschinen bauen, so verwertet sich hierbei nur der allererste Geist, und der allererste Arm, der diese Maschine mal erschuf. Alles was Maschinen schaffen ist Maschinen-Sein. Sind sie doch der verlängerte Arm und das verlängerte Hirn des letzten Arbeiters. Und auch dies belegt die Tatsache, dass der Mensch, und nur der Mensch in der Lage ist, etwas zu schaffen, was seinen eigenen Wert womöglich sogar um ein Vielfaches übersteigt.

Der Mehrwert (eben nicht der reine Reproduktionswert – der Eigenwert) kommt ausschließlich aus menschlicher Arbeitskraft. Aber hier zeigt sich die typisch bürgerliche Sicht auf ein Thema, wo der Mehrwert entweder geleugnet wird, bzw. mit dem Lohn als abgegolten dargestellt sein möchte. Es glauben offenbar immer noch die Leute an einen Mehrwert, der sich da erst in der Zirkulation ergibt. Nur woher nehmen, wenn nicht stehlen. Die Aneignung des Mehrwerts ist sozusagen das gestohlene Gut. Und nur dieses kann in der Zirkulation hervor gezaubert werden. Wie von einer unsichtbaren Hand. Deus ex machina, nicht wahr? Und wer da an den Gott aus der Maschine glaubt, den kann man wohl kaum daran hindern, an die Maschine zu glauben, die da Mehrwert schüfe.

Allerdings haben Sie recht, insofern Sie da auf eine mögliche Krise des Kapitals rekurrieren, dessen ultimative Verwertungskrise gar. Die Wertabspaltungskritik eines Robert Kurz kommt da sogar zu dem Kurzschluss, dass sich hier die absolute innere Schranke für das Kapital offenbaren würde. Ich habe da so meine Zweifel. Wir nähern uns wohl dieser Schranke, aber wir werden sie nie erreichen, wenn das Proletariat, der Lohnarbeiter, der Mehrwertproduzierer, diese Schranke nicht selbst errichtet. Und wie krass wäre da wohl eine Differenz zwischen der Entlohnung jenes Arbeiters/Geistesarbeiters und dem Wert einer Maschine, die seine zukünftige Verwertung obsolet werden ließe. Wenn eine solche Maschine je geschaffen würde, würde sie den Einsatz eines ganzen Heeres von menschlichen Arbeitskräften erfordern, die Vernetzung quasi einer globalen industriellen hochintellektuellen menschlichen Arbeitskraftmaschine. Den menschlichen Computer sozusagen. Mehr jedenfalls als die, die da gerade in CERN wieder mal experimentieren, und doch zeigt uns CERN deutlich die Richtung. Solche Projekte bringen die gesellschaftliche Produktion in einen nie zuvor da gewesenen Widerspruch zu den Eigentumsverhältnissen nämlich. Und genau genommen sind sie auch der Grund dafür, warum das Kapital daran scheitern muss. Aber nicht automatisch, nicht von alleine, denn es muss gestürzt werden.

So wird es Aufgabe des Klassenkampfes sein, das Kapital hier in seine Schranken zu verweisen, das System zu überwinden. Ein System, das sich wohl bis an den Rand seiner Selbstvernichtung begibt, doch die finale Selbsttötung leider nicht zuwege bringt. – Und der Lohnarbeiter muss diesen Kampf führen, bei Strafe des eigenen Untergangs, denn was bliebe an Perspektive für einen Lohnarbeiter, wenn dessen letztes Werk eine Maschine in Gang setzt, die ihn als Lohnarbeiter dann irreversibel obsolet gemacht haben wird? Eine solche Maschine kann auch das System, das System der Ausbeutung von Lohnarbeit, irreversibel obsolet werden lassen.

Wofür das Schicksal das Kapital geschaffen hat
@Muscat: Danke für den Hinweis. Aber so einfach werden Sie mich nicht los. Im Übrigen komme ich von dort, wie Sie vielleicht schon bemerkt haben. Bedauerlicherweise ist das Niveau so entsetzlich niedrig – bis auf wenige erstaunliche Ausnahmen, ich bekomme dort endlich etwas Beistand in Sachen Theorie (Meyer, Mathias, Maltensen) -, dass mir fast die Lust vergangen wäre, dort überhaupt zu intervenieren. Dumme Kontrahenten zermürben einen. Vielleicht liegt darin gar die ganze Überlegenheit des Kapitals begründet: in dessen Fähigkeit die Dummheit zu mobilisieren.
Damit sind allerdings FAZ-Beiträge dieser Qualitätsstufe („Kommunismus wolle die Gleichheit, und da die Leute das nicht wollten, werde mit Gewalt gleich gemacht“) wohl eher kluge Strategie, denn die zielt eben auf die Mobilisierung der Dummheit.
Umgekehrt kann der Kommunismus ohne die Mobilisierung gerade der Intelligenz nichts bewegen, und darin liegt seine taktische Schwäche. Und um zu lernen, wie man aus Schwäche Stärke macht, dafür hat das Schicksal wohl das Kapital geschaffen.

An Marx gekitzelt
@Sophia Amalie Antoinette Infinitesimalia: Sie haben sicherlich recht. Doch war das nur eine Erwiderung auf Muscat und die war eigentlich auch deshalb recht kurz gehalten, glaube ich zumindest. Doch kann man Kant nicht mit Smith verbinden, ohne an Marx zu kitzeln.

Die subjektive Sicht ist Teil der Wahrheit, wenn nicht gar eine ganz neue
@Stultus: So wie Sie Schopenhauer und auch Kant rezipieren/interpretieren könnte ich mich beinahe anschließen, mit nur einer Anmerkung: In dem Moment, wo Schopenhauer das „Ding an sich“ auf diese Weise zu antizipieren sucht, wandelt er es in ein Ding für sich, für ihn, für uns. Die subjektive Sicht der Dinge ist Teil der Wahrheit, Teil des Ganzen. Weniger ist es nur in quantitativer Hinsicht, insofern wir nie die Einsicht in die „volle Wahrheit“ erlangen. Doch dadurch, dass wir eine neue Qualität herstellen, im denkenden Geist, ist das Ganze immer mehr als die Summe ihrer Teile. Und das entspricht in etwa auch den Naturvorgängen, die wir aber nie vollständig verstehen werden, ohne sie dabei verändert zu haben, ihren natürlichen Bedingungen entfremdet. Daher ist die Praxis so wichtig, denn diese ist es, die den Wandel der Dinge von einem Naturereignis in eine soziale Aktion überleitet. Die Entfremdung im Geist überwindet. Berührung herstellt, wo ansonsten keine besteht. Doch: diese soziale Aktion verändert das Naturereignis so sehr, dass die Berührung sich uns als das Erkennen einer Lücke offenbart. Also nicht Berührung herstellt, sondern das Erkennen des Fehlens, des notwendig Fehlens einer solchen uns offenbart. Das „Ding an sich“ übt eine ähnliche Faszination auf uns aus, wie der Dinosaurier, den wir nie erlebt haben und dessen Existenz uns daher so wichtig erscheint, so sehr, dass wir ihn am liebsten wieder zum Leben erwecken würden.
Ich denke da mit Zizek. Er nennt „Parallaxe“ das, was sich gerne als Kreuzung darstellen würde, doch sich nur als ein Kreisen um die Lücke offenbart. Das „Ding an sich“ und das „Ding für sich“ berühren sich nur in dieser abstrakten Welt, in der denkenden, die sich allerdings nur durch die Praxis als reale darstellen lässt. Sonst wäre jedes Denken gleich dem Nichts, würde sich in der Lücke verlieren, anstatt diese zu enträtseln. Diese Art von Abstraktion nennen wir daher auch „Realabstraktion“ (s.o.: Sohn-Rethel zur Realabstraktion in der Warenproduktion). Die Logik hat da ihre Schwierigkeiten mit, aber die hat sie auch schon mit der Negation von „Kausalität in Raum und Zeit“. Nicht aber, wenn wir davon ausgehen, dass diese Kausalität ebenso wie der Wechsel des „Dings an sich“ in ein „Ding für sich“ durch den schaffenden Geist des Menschen erst hergestellt wird. Möglicherweise ist Zeit überhaupt nur eine Kategorie dieses Geistes. Und was den Raum angeht, nun ja: die Quantenmechanik bereitet uns da noch gewisse Schwierigkeiten.

Apropos Ackermann, @Gabriele: Kluger Gedanke. Sie kommen der kommunistischen Diktion diesbezüglich sehr nahe. Nur dass das sich nicht auf einen Ackermann reduzieren lässt, ja nicht einmal auf das Subjekt der ganzen bürgerlichen Klasse.

faz.net/blogs/deus/archive/2011/01/21/wuerden-immanuel-kant-und-adam-smith-sich-verstehen

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