Nur dem Fetischisten will das möglich erscheinen

Nur dem Fetischisten will das möglich erscheinen
Oder auch: die Suche nach der reinen Form – Hafiz-Tolstoi-Gorki
– und die Schönheit als Allegorie

Gorki erinnert sich an ein Gespräch mit Tolstoi, wo dieser den Gorki vom Glauben zu überzeugen suchte:

Ein jeder liebt – die Allerbeste, aber das ist dann schon Glaube!“ Und weiter: „Sie sprechen von Schönheit! Aber was heißt Schönheit? Die höchste und vollkommenste ist – Gott!

Und Gorki, der „nie an Gott“ glaubte, dachte bei sich: „Dieser Mann ist gottähnlich!“ (Maxim Gorki, Wie ich schreibe, Literarische Portraits, Aufsätze, Reden und Briefe, Winkler Dünndruck-Ausgabe, S. 93/94).

Für Gorki ist der Glaube eine Kunstrichtung, als solche reine Form. Schon in eines Hafiz’ („Hafiz – die Homoerotik – der Nihilismus“) Welt will uns wahre Liebe als reine Form erscheinen – als das sich wechselseitig zur Allegorie Erhebende. Auch bei Hafiz ist es nicht möglich zu erkennen, wovon/von wem/von was er gerade spricht: dem Geliebten Wesen, dem Wein aus der Hand des Geliebten – dem Weinschenken, dem Gotte, dem er sich gerade als solcher anbietet, bzw. dessen Kelch er sich würdig zu erweisen hätte (wenn wir das ins christliche übersetzen wollten).

Nicht das Versmaß, nicht der Stil als Form, sondern die Strenge des zu Sagenden ist alles entscheidend. Tolstois Suche nach dem einzig richtigen Sprachgebrauch, ja sein „krankhaft“ erscheinen wollendes „Sprachgefühl“ (Gorki) gleicht eines van Goghs wahnhaften Kampfes mit der Kraft der Farbe. David gegen Goliath – will es scheinen. Und wo der eine die Farbe voll des Zornes wie Siegellack aufdrückt, spricht der andere, der Tolstoi, wie ein Bauer, wenn er nach dem einzig möglichen Sprachgebrauch zwecks Erfassung der Wahrheit fiebert. Ungeniert, doch rätselhaft.

Wo zu seiner Transzendenz dem Menschen die Allegorie als einzige Möglichkeit aufscheint, da wird die Liebe, im Moment ihres Erblickens, in die Allegorie gekleidet, in ihr Gott geschaut. Nur der der Gott schaut, vermag zu lieben. Ist doch Gott die Schönheit schlechthin.

„Gottähnlich“, vielleicht hätte Gorki auch schreiben sollen „Gott ähnlich“. Denn so sieht e r , der „Ungläubige“, der Agnostiker, seinen Tolstoi. Einem Gotte ähnlich, den er sonst nämlich nicht zu schauen vermag. Nur wenn er Tolstoi sieht, ihn hört, glaubt er den Gott zu sehen. Bekommt er eine Vorstellung erst von ihm. Er benutzt Tolstoi – als Medium, so wie dieser ihn – als Botschafter.

Eine derartige Sinnlichkeit hat nur der, der seine Sinne überanstrengt, diese dehnt, bis sie so transparent wirken, dass sie ins Übersinnliche reichen – über-sinnlich wirken. Ein Gefühl hindurch lassen, das dem dichten Geist normal nicht eignet.

Tolstoi und Gorki waren sich in diesem Punkt nahe. Tolstoi, der Aristokrat, wurde bei Gorki zum Bauer und Gorki, der Intellektuelle, war der Aristokrat. Das Medium, das Tolstoi gebrauchte, denn seine Botschaft war eine aristokratische. Der Bauer in Russland war zuletzt der Fetisch des Aristokraten. So sehr ausgebeutet, ja ausgelaugt, gestreckt gewissermaßen, dass er am Ende dem Ausbeuter als Messias erschien. Ihm als das Objekt seiner Liebe vorkam. Als der speziell für ihn Geopferte. Die Offenbarung Gottes. Die Terroristen aus den Reihen der „Volkstümler“ waren gewendete Aristokraten. Sich selbst geißelnde Terroristen. Fetischistisch Entrückte. Wahre Schönheit schauen wollend, die Derbheit des Gequälten solchermaßen süchtig vergötternd. Tolstoi als das entrückte Medium der Aristokratie, das durch die Stimme des Agnostikers, dem Intellektuellen, den Bauern zu bannen sucht.

Ans Kreuz geschlagen, ein zweites Mal, der Bauer. Denn bangt doch der Aristokrat ob dessen Wiedergeburt.
Aber so wenig, wie der Bauer auf ewig ans Kreuz geschlagen sein kann, kann man Liebe bannen, indem man sie „löscht“. Nur dem Fetischisten will das möglich erscheinen.

faz.net/blogs/deus/archive/2011/01/16/loesch-die-liebe

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2 Trackbacks

  • Von Erworbene Göttlichkeit am 20. Januar 2011 um 15:11 Uhr veröffentlicht

    […] gerne auf der griechischen Bühne. Spürte er doch die Bedingungslosigkeit der Bewunderung dort. Gottgleich als Künstler und erst als beides ein Kaiser. Das Volk liebte Nero, auch das römische, eben wegen […]

  • Von Spiegelverkehrtes Denken am 21. Januar 2011 um 22:18 Uhr veröffentlicht

    […] nämlich woher diese Erkenntnis? – dabei verborgen. Wir bilden uns daher ein, so etwas wie einen göttlichen Impuls zu haben. Von einer unsichtbaren Hand gesteuert zu sein. Also auch ein Zizek kommt nicht an […]

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