Werden wir das Subjekt oder das Objekt der Entwicklung?
Das Internet zeigt sich somit nicht nur als eine technische Antwort auf die unvermeidbare weitere Vergesellschaftung – welche ja in Gesellschaften, die noch Privateigentum, daher Privatsphäre kennen, seinen antagonistischen Gegensatz hervorruft -, sondern eben die typisch bürgerliche Antwort. Wenn schon Freiheit, dann totale. Denn nur diese sichert dem Bürgertum die Werte, die Mehrwerte aus dieser Freiheit, den Marktwert, den Profit. Daten sind Produkte, Warenprodukte. Auch die Daten des Menschen werden das recht bald sein.
Das Internet folgt damit ebenso blind wie all die anderen Produktivkräfte, die da in der kapitalistischen Welt ständig freigesetzt werden, einer Tendenz, welche völlig unverstanden bleibt. Daher sie sich immer in ihrer ganzen Katastrophenhaftigkeit ausbreitet. Einer Tendenz, die Vergesellschaftung sagt, aber im Wesen eine in Richtung Sozialismus meint. Doch darin dem Alltagsbewusstsein völlig verschlossen bleibt. Somit sich als Sozialismus präsentiert, der die Quasi-Naturgesetzlichkeit nicht aufzuheben versteht. Sich selber somit nicht in Szene setzt, nicht als freier Akt, als Moment der Freiheit innerhalb eben dieser Tendenz, sondern als objektiver, quasi unvermeidlicher Prozess. Doch, obwohl unhintergehbar, bleibt diese Tendenz, solange sie nicht sich selber erfüllt, in der Erscheinung Sozialismus, unvollständig, nur wesenhaft, lückenhaft, gespenstisch.
Solange dieser Akt der Freiheit nicht begangen wird, solange setzt sich diese Tendenz weiter fort, als quasi Naturgesetz, wie gehabt, als fortgesetzte Akte der Unfreiheit.
Da sich darin aber immer auch die Freiheit zu orientieren sucht, ihre Wirkmöglichkeiten neu auslotet (die Freiheit kommt mir sehr bekannt vor!), wird das Internet selber somit auch zum Werkzeug der Freiheit.
Innerhalb der Spannweite dieses Widerspruchs – dieses „Klassenkampfes“ – vollzieht sich das, was wir auch das Ende der Geschichte nennen (vgl. meinen Beitrag „Phantasma und Albtraum“).
Daher auch die Ambivalenz dem Medium Internet gegenüber. Es gibt aber nicht den Weg es abzulehnen (jede Maschinenstürmerei erwies sich als sinnlos), nicht innerhalb des bereits vollzogenen Prozesses. Sonst bliebe die weitere Entwicklung so lückenhaft, wie sie sich in ihrem Wesen eben zeigt. Was aber hieße, dass die Erscheinung nicht erschiene. Immer nur als das, was da den „Stachel löckt“. Der Kampf um die Beherrschung der Gesellschaft wird sich somit als Kampf um das Internet darstellen. Als vielleicht gar Endkampf zwischen Mensch und Maschine. Es wird der ultimative Kampf um die Frage werden: bleibt die Notwendigkeit oder setzt sich die Freiheit durch? Wird der Mensch endlich die Maschine beherrschen, die Geister also, die er selbst ständig in die Welt entlässt, oder von diesen Geistern unterjocht, in deren Dunkelheit eingeschrieben. Oder anders gefragt: Werden wir zum Planeten der Affen oder werden die Delfine uns zur nächsten Stufe der Menschheit führen.
Werden wir wieder zu sprachlosen Kreaturen? Verharren wir in der Epoche des Autismus, die ich schon als begonnen sehen möchte? Oder werden wir telepathische Mutanten?)
Und/oder, und das wäre die wichtigste Frage: Werden wir das Subjekt oder das Objekt dieser Entwicklung sein?
Die Katastrophe ist dem Ereignis längst voraus gegangen
@Colorcraze: Ich sehe es noch nicht ganz so negativ. Ich denke, und da muss ich Zizek zustimmen, obwohl mir da Bauchschmerzen bleiben, dass im Moment das Internet, also die ganze Informationstechnologie, welche ja definitiv nicht nur die Wissenschaft umkrempelt, sondern mit dieser die ganze Gesellschaft, das zu Ende führt, was eigentlich erst im Sozialismus anstünde. Und nicht nur das. Erstmals taucht am Horizont eine sog. posthumane Epoche auf. Und diese könnte zusammenfallen mit der postbürgerlichen. Dahingehend untergräbt jede neue Technologie die Bedingungen ihrer eigenen Existenz. Will heißen: könnte sich gegen die Erfinder selber richten. Aber da der Sozialismus vorerst auf sich warten lässt, erledigt das Kapital zurzeit gewisse revolutionäre Aufgaben. Durchaus widerwillig, wie wir sehen, aber diesbezüglich alternativlos. Der ganze konservative Zirkus steht jetzt schon Kopf, fühlt sich verraten durch die eigene herrschende Oligarchie. Das dürfte auch der Hauptgrund für eines Schirrmachers Wirken sein. Ihm obliegt es vielleicht dem Bürgertum diesbezüglich Beine zu machen. Diesem die Alternativlosigkeit einsichtig zu machen.
Doch dürfen wir diesen Prozess auch nicht überschätzen, und da spüre ich einen Widerspruch zu Zizek in mir, denn der Klassenkampf könnte so auch im Konservativen weiterlaufen. Als innerer Klassenkampf der Bourgeoisie selber. Und das Proletariat spielte Zuschauer. Dann fände es allerdings selber nicht mehr den Weg raus, aus diesem Zirkus. Und die Entwicklung bliebe in der Unvollständigkeit stecken. Zombiehaft, halbfertig.
Die andere (negative) Option wäre, dass das Proletariat sich blind diesem Prozess anhängt (seine eigene Sache verrät) und dann eben als das Objekt behandelt wird, als das es schon am Horizont erscheint. Und dann wird es keine Freiheit geben. Vielleicht nicht einmal mehr Marktfreiheit.
Die Sache ist sehr komplex. Alles hängt davon ab, wie bewusst das Subjekt innerhalb dieses Prozesses wird. Rechtzeitig, bevor es zu spät ist. Das Revolutionäre Proletariat (nicht gleich „Arbeiterklasse“, sondern das politisch bewusste Subjekt) muss diesem Prozess gegenüber wachsam bleiben. Dennoch gibt es bereits jetzt schon keine Alternative. Die „Katastrophe“ ist dem Ereignis längst voraus gegangen. Die ganze bürgerliche Gesellschaft ist doch die Katastrophe.
@Marco Settembrini di Novetre: Die sog. teilregulierten Märkte sind ein sog. Kompromiss innerhalb der bürgerlichen Klasse. Und sie sind dahingehend auch Ausdruck des realen Standes im Klassenkampf. Man könnte auch so sagen: Wo das Proletariat seine Sache nicht konsequent vorträgt, handelt auch die Bourgeoisie halbherzig. Denn sie fühlt sich sicher, also eben nicht bedroht. Lässt sich Zeit. Erarbeitet in dieser Zeit allerdings Strategien für eine mögliche schärfere Gangart.
Es macht Hoffnung
@Colorcraze: Das gilt doch nur für die historische, sprich: reflektierende Perspektive. Die ich hier mal skizziere. Wohl wissend, dass das nur ein Modell sein kann. Unser Alltagsbewusstsein wird davon kaum tangiert. Unser notwendig falsches Bewusstsein reicht für diesen Alltag nicht einfach nur aus, nein: es ist quasi die Voraussetzung für unsere Überlebensstrategie. In der Tat: Wüssten wir, was uns „am Ende“ erwartet, also an dem Ende, an dem wir vermutlich nie ankommen, wäre nach der bisherigen Lesart der Geschichte tatsächlich ein kollektiver Selbstmord wahrscheinlich. Zizek formuliert das, unter Bezugnahme auf Kant, so (jetzt mal aus dem Kurzzeitgedächtnis zitiert): Hätten wir direkten Zugang zum Noumenalen (noúmenon, griech.: „das Gedachte“) wären wir Maschinen. Unfertige Wesen. Keine Menschen. Da wir aber eben „nur“ zur phänomenalen Ebene (bis auf Hegel vielleicht, der dazu aber das Konstrukt „Weltgeist“ benötigte) Zugang haben, sind wir veranlasst, uns die Entwicklung schön zu schreiben. Bis dahin stirbt die Hoffnung bekanntlich zuletzt.
Das Subjekt fühlt sich bedroht, oder: notwendig frei
„Da wir aber eben „nur“ zur phänomenalen Ebene (bis auf Hegel vielleicht, der dazu aber das Konstrukt „Weltgeist“ benötigte) Zugang haben, sind wir veranlasst, uns die Entwicklung schön zu schreiben.“ Dieses von mir vorgebrachte Argument möchte ich selber noch einmal relativieren (unter Bezugnahme auch auf das von Filou zuletzt Gesagte). Meine Bezugnahme zu Zizek ist hierin nicht ganz korrekt. Zizek betreibt das dialektische Spiel, die parallaktische Verschiebung, bekanntlich bis zum Exzess und dabei kommen Einsichten zu Tage, die man zunächst nicht erwartet. So schreibt er selber, wieder in kritischer Auseinandersetzung mit dem wie hier Vorgebrachten: „In dieser vorübergehenden Schwebe der positiven Wirklichkeitsordnung begegnen wir der ontologischen Lücke, aufgrund deren die Wirklichkeit niemals eine vollständige, in sich geschlossene, positive Seinsordnung ist. Allein diese Erfahrung der psychotischen Realitätsflucht, des absoluten Selbstwiderspruchs, ist in der Lage, die mysteriöse „Tatsache“ der transzendentalen Freiheit, D.h. ein (Selbst-)Bewusstsein, welches wirklich „spontan“, dessen Spontaneität nicht das Ergebnis einer Verkennung irgendeines „objektiven“ Prozesses ist, zu erklären.“ (Die Parallaxe, S. 226)
Dieser Satz hat es in sich. Freiheit ist hiermit wieder auf die „Einsicht in die Notwendigkeit“ (Hegel/Marx) zurückgeführt, dennoch, dabei auf sehr elegante Weise. Denn, da diese Notwendigkeit, die wohl da ist, sich nicht eindeutig zeigt, sondern sich dem denkenden Wesen lückenhaft präsentiert (gleich aus welchem Grunde), ist dieses Wesen veranlasst, eine freie Entscheidung zu treffen. Selbst wenn diese Entscheidung dann „notwendig“ vorausgebildet wäre, spielte das in Bezug auf die Freiheit keine Rolle. Denn diese Vorausbildung ist dem Subjekt nicht bewusst. Und so scheint gerade dieses „falsche Bewusstsein“ die Grundbedingung für das „richtige“ Bewusstsein zu sein. Und zwar im doppelten Sinne: Einerseits ist das „falsche“ die Voraussetzung, andererseits, da es ein solch quasi gespaltenes Bewusstsein nicht gibt, ist es die Kehrseite. Nur indem das „richtige Bewusstsein“ sich des falschen nicht bewusst ist, ist es Ausdruck von Freiheit.
Um es ganz deutlich zu sagen, und das sage ich bewusst in Richtung der aktuellen Forschungen in der Neurobiologie: Selbst wenn sämtliche unserer Entscheidungen neuronal vorgebildet sind, haben wir einen kleinen, aber dennoch entscheidenden Freiraum. Also selbst die Illusion der Freiheit widerspricht dieser Freiheit nicht. Oder um es wieder mit Kant zu wiederholen: Wir haben keinen Zugang zum Noumenalen. Wir wissen nicht vom („letzten“) Ergebnis unserer Handlungen. Und genau aus diesem Grund sind wir keine Maschinen oder „denkende“ Tiere, denn freie Wesen.
Im Bezug auf die hier besprochene Thematik ergibt sich daraus die Konsequenz, dass das digitale Zeitalter den alten Widerspruch „Freiheit ist Einsicht in die Notwendigkeit“ gnadenlos zuspitzt. Es geht nicht mehr nur um die Frage, inwieweit die Gefahr besteht, dass der Mensch selber dabei sein könnte, das Moment der Freiheit aufzuheben, sich als Mensch aufzuheben, sondern inwieweit diese Freiheit überhaupt noch notwendig ist. Denn, wenn es ihm gelingt, die Entscheidungsprozesse derart zu beschleunigen (Stichwort: Menschencomputer), dass dem Einzelnen die Freiheit gar nicht mehr zum Bewusstsein gelangen kann, da es diesem als „natürlich“ vorkommen muss, kein Individuum zu sein, erübrigte sich die ganze Debatte. Doch genau diese Debatte führen wir, gerade und immer wieder. Und immer heftiger. Nicht nur hier.
Daraus ergibt sich für mich, als den Marxisten, eine selbstkritische Konsequenz. Wenn das Kollektiv, für die die Marxisten ja eintreten, derartige Optionen enthält, dann erklärt das vielleicht die instinktive (also nicht mehr nur ideologisch begründete) Ablehnung der Massen. Sie fürchten sich – ob solcher Optionen. Und sie identifizieren sie ausschließlich mit der sozialistischen Option. Verkennen also (hier ist wieder das „falsche Bewusstsein“ am Werk) die gewissermaßen „Notwendigkeit“ anhand des Grades der Vergesellschaftung des Menschen selber (wie den Sozialismus nur als politischer Teil dieser Entwicklung).
Die Frage lautet daher nunmehr nicht mehr nur auf der politischen Ebene (wir reden somit nicht nur vom sozialistischen Kollektiv): Wie garantiert das Kollektiv weiterhin die Freiheit des Individuums? Denn sie muss jetzt lauten: Wie garantiert der „Menschencomputer“ den Menschen? Bzw., muss sie dann auch lauten: Soll er das überhaupt?
Denn dass das eine konservative Fragestellung ist, darüber bin ich mir bewusst. Zizek hat sich damit auch kritisch auseinandergesetzt. Man könnte nämlich mit ihm darauf antworten, dass solche Fragen nur von Menschen gestellt werden, die so etwas wie ein Individuum überhaupt noch wünschen. Wo sie das von ihm so benannte „hysterische Subjekt“ doch seien.
Innerhalb der Spannweite – verteidige ich mein Subjektsein/brauche ich das überhaupt – vollzieht sich die ganze gegenwärtige Auseinandersetzung. Und genau darin ist sie ein ideales Abbild/Spiegelbild/die ideale Form des aktuellen „Klassenkampfgeschehens“. Der Kampf Bourgeoisie – Proletariat ist längst übergetreten in den Kampf um das Subjekt ganz generell. Das Subjekt fühlt sich bedroht!
faz.net/blogs/deus/archive/2011/08/15/abschaltreflexe-aus-der-analogen-aera
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[…] Wenn ein Kapital „paranoid“ ist, dann nicht, da in Greenwich Village zuhause, sondern am Ende seiner Laufzeit […]
[…] dahinter nicht größeres, oder sagen wir: banaleres verberge. Ich bloggte es an anderer Stelle. („Werden wir das Subjekt oder das Objekt der Entwicklung?“) „Das hysterische Subjekt“ (vgl. meinen gleichnamigen Leserkommentar, man kann es auch mit […]