Ein Staat von Räubern und Banditen
Es genügt nicht, das Massaker (die Massaker, muss es eigentlich heißen!), als Völkermord zu bezeichnen. Denn vor dem Hintergrund des Genozids an den Armeniern muss die Gründung des Staates der Türkei überhaupt kritisch betrachtet werden. Den Vielvölkerstatus’ des osmanischen Reiches grob missachtend, erklärten die Kemalisten, und diesbezüglich den Jungtürken, die das letzte Massaker zu verantworten hatten, auf den Fuß folgend, die Türken zum einzigen Staatsvolk. Das armenische Volk war nicht nur das älteste Volk auf dem Territorium der heutigen Türkei (neben den Kurden), sondern vor allem das fortgeschrittenste (und darin sich von den Kurden, wie von den Türken, eben unterscheidend). Zynisch kalkulierten die Jungtürken, dass diese „Konkurrenz“ ausgelöscht gehört. Nicht wenige Armenier waren revolutionäre Intellektuelle, die sowohl der nationalistischen Bewegung der Jungtürken als auch der sozialistischen Bewegung der Bolschewiki nahe standen. Die Massen der Bauern und der wenigen Arbeiter sympathisierten mit der bolschewistischen Bewegung. Und es dürfte nicht falsch sein, zu schlussfolgern, dass die nationalistische Bewegung sich nur durchgesetzt hat, weil sie die Köpfe der Sozialisten ebenso abschlugen, wie die der Armenier. Im Blut des gemeuchelten Volkes konnte sich so ein Staat von Räubern und Banditen durchsetzen.
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