Die „einfache Wahrheit“

Die „einfache Wahrheit“
@Don Alphonso: „Wenn die Besitzverhältnisse aber dazu führen, dass für mein Leben 10 andere 2 Jahre früher ins Gras beißen, ist es Statistik.“ Das ist gut. Oder anders ausgedrückt: Man sollte schon unterscheiden zwischen – Rentner und Rentier!

@Savall: „Devin08 hat für so etwas eine glasklare Antwort, Entfremdung, Ausbeutung, Mehrwert, Kap. 24 und der ganze Kram.“ So glasklar ist die Antwort leider nicht, und auch der Don hat hier nur bedingt recht, wo er meint: „Marx war ein Kind seiner Zeit, und dass alles so komplex werden würde, konnte man nicht ahnen. Das hilft nicht weiter.“

Man schaue nur mal in die „Grundrisse“:
Wenn freie Arbeit und Austausch dieser freien Arbeit gegen Geld, um das Geld zu reproduzieren und verwerten, um von dem Geld als Gebrauchswert nicht für den Genuß, sondern als Gebrauchswert für Geld verzehrt zu werden, Voraussetzung der Lohnarbeit und eine der historischen Bedingungen des Kapitals ist, so ist die Trennung der freien Arbeit von den objektiven Bedingungen ihrer Verwirklichung – von dem Arbeitsmittel und dem Arbeitsmaterial – eine andre Voraussetzung. Also vor allem Loslösung des Arbeiters von der Erde als seinem natürlichen Laboratorium – daher Auflösung des kleinen freien Grundeigentums sowohl wie des gemeinschaftlichen, auf der orientalischen Kommune beruhenden Grundeigentums. In beiden Formen verhält sich der Arbeiter zu den objektiven Bedingungen seiner Arbeit als seinem Eigentum; es ist dies die natürliche Einheit der Arbeit mit ihren sachlichen Voraussetzungen. Der Arbeiter hat daher unabhängig von der Arbeit eine gegenständliche Existenz. Das Individuum verhält sich zu sich selbst als Eigentümer, als Herr der Bedingungen seiner Wirklichkeit. Es verhält sich ebenso zu den andren – und je nachdem diese Voraussetzung gesetzt ist als von dem Gemeinwesen ausgehend oder als von den Einzelnen Familien, die die Gemeinde konstituieren, – verhält es sich zu den andren als Miteigentümern, ebensoviel Inkarnationen des Gemeineigentums, oder als selbständigen Eigentümern neben ihm, selbständigen Privateigentümern – neben denen das früher alles absorbierende und über alle übergreifende Gemeineigentum selbst als besondrer ager publicus neben den vielen Privatgrundeigentümern gesetzt ist.“ (Karl Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie, Das Kapitel vom Kapital, Epochen ökonomischer Gesellschaftsformation, letzter Zugriff: 26.11.2012)
Und damit hätten wir auch eine der Antworten auf den sich selbst ausbeutenden, denn eben so wenig freien, Kapitalisten. Niemand mehr ist Herr seiner selbst. Und genau das ist die „historische Mission“ des Kapitals, über dessen Phase der Herrschaft hinaus. – Die Abschaffung der Herrschaft des Menschen über den Menschen, scheint notwendig über die Abschaffung der Herrschaft über sich selbst zu verlaufen. Und es gibt kein Zurück. Je länger wir aber bei dieser historisch eben nur bedingten (kurzzeitig notwendigen) – Formation – des Kapitals – verweilen, desto scheinbar „komplexer“ wird es. In Wahrheit sind es nur die dialektisch wirkenden Widersprüche, in die wir uns so komplex verstricken, und was uns imaginieren lässt, dass die gegenwärtige Formation – „alternativlos“ – sei. Die Rolle des Staates, die Wirkung des Marktes, die Schwierigkeiten mit der Mehrwertproduktion beim Wegfall der Arbeit…Die ökonomische Grundrichtung bleibt dennoch unverändert. Unaufhörlich ausgerichtet auf das Ende der Klassengesellschaften, auf das Obsolet-werden „ökonomischer Gesellschaften“. Und genau das wird uns in den Krisen des Kapitals immer wieder vor Augen geführt. Gewinn und Verlust wird da gnadenlos ausgeglichen. Indem der Konsum auf die Produktion runter gedrosselt wird. Das ist die einzige „einfache Wahrheit“.

@Hermes: „…Subsidien von allen Seiten, vor allem von den Staaten, in ihren unergründlichen Arsch geschoben. Sie ernährt sich praktisch rektal.“ Wo in einer „ökonomischen Gesellschaft“ nicht mehr in der Hauptsache Produktionsgüter, sondern Konsumtionsgüter produziert werden, rechnet sich das eben nur, wenn der Produzent sich dabei so allmählich selber verkonsumiert (vgl. Robert Kurzens „Autokannibalismus“). Und genau das erscheint uns als umgekehrter Verdauungsorganismus. Dass sich dahinter das Obsolet-werden ökonomischer Gesellschaften verbirgt, das scheinen nur die Marxisten wissen zu wollen.

Quasi verschränkt
@Dreamtimer: „Der einzig Trost, der ihnen bleibt ist der, dass es nun die Konservativen sind, die die doppelte Negation vollziehen, d.h. sich entweder mit den Reaktionären ins politische Aus schießen ( wie die Reps in den USA ) oder nach und nach linke und grüne Themen besetzen.“ Gefällt mir gut. Wenn auch ein wenig zu pessimistisch. Ich denke nicht, dass der Prozess abgeschlossen ist, sondern nur mal wieder eine Kapriole durchläuft.
Mal abgesehen davon, dass der „Niedergang der Linken“ auch ein Symptom der Krise des Kapitalismus ist, in Form Krise der bürgerlichen Wissenschaft im Allgemeinen und der Krise der Kritik im Besonderen.

Der Marxismus ist eine Wissenschaft. Und der sog. Horizont innerhalb der bürgerlichen Wissenschaft bildet gewissermaßen auch den Horizont für die das Kapital bekämpfende Wissenschaft.
Diese Krise begann genau genommen just in dem Moment, wo die bürgerliche Wissenschaft ihre letzte wirklich große Entdeckung machen konnte, mit Einstein. Und es ist nicht von ungefähr, dass Lenin seine wichtigste philosophische Schrift wohl nicht direkt aber indirekt diesem Ereignis gewidmet hat.

Es handelte sich um die Kritik an Mach. An dessen Relativismus. Einstein selber war einige Zeit ein Anhänger Machs. Zuletzt allerdings hat er sich von ihm distanziert. Lenin hat sich in „Materialismus oder Empiriokritizismus“ ausgiebig mit Machs Agnostizismus und Empiriokritizismus beschäftigt. Und damit indirekt auch Einstein kritisch begleitet.

Unabhängig von der Frage, wie man zu einzelnen Positionen Lenins hierbei stehen möchte, Lenin war kein Physiker, so bleibt diese Schrift geradezu apodiktisch. Und es will mir kein Zufall sein, dass in der Online-Ausgabe der „ML-Werke“, dieses Werk genauso behandelt wird, wie schon zu Zeiten der Printausgabe dieser Werke unter Federführung der sowjetischen Revisionisten. – Mit Ignoranz! Und genau diese Ignoranz bezahlte die Linke mit ihrem Niedergang.

Sie lieben dieses Werk nicht, die Opportunisten in den Reihen der Marxisten, die Agnostiker innerhalb und außerhalb der bürgerlichen Intelligenz. Wahrlich nicht. Fühlen sie sich doch mit der Kritik an Mach selber durchschaut.

Die Verteidigung der revolutionären Dialektik und des historischen und dialektischen Materialismus ist sicherlich in Zeiten der Mythen, z.B. um die der Quantenmechanik, kein leichtes Unterfangen. Die „Weltformel“ verbirgt sich dem Suchenden – dem Subjekt – solange die Dichotomie von Objekt und Subjekt den unüberwindbaren Horizont ausmacht: Mal Objekt – mal Subjekt, mal Welle -mal Punkt, mal Energie -mal Materie, mal gekrümmter Raum – mal Verschränkung, mal Kapital -mal Lohnarbeit… Unter hinter all diesem und jenem der nicht enden wollende Wunsch nach unendlicher Ausdehnung der Mehrwertproduktion, der Aufhebung der – „Entropie“.

Aber ohne die Verteidigung der Dialektik und des Materialismus wird sich der Marxismus selber nicht weiter entwickeln. Und ohne diese Weiterentwicklung gibt es keine Überwindung der Krise der Linken. Keinen Sieg über das Kapital. Trotz dessen Krise. Oder gerade wegen. Denn solange bleiben Kapital und Arbeit quasi verschränkt.

Doch wie gesagt, ist das auch und gerade eine Krise des Kapitals. Und diese gibt uns nicht nur Anlass zur Sorge, sondern eben auch Grund zur Hoffnung. Hoffnung dahingehend, dass der Marxismus in dieser Krise seine Chance ergreift.
Die Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Wissenschaft betrachte ich daher als ein vorrangiges Kampffeld auf dem Gebiet des Klassenkampfes.

Von eines Sokrates‘ Vorliebe zum freien und klugen Gespräch bis zur Wissenschaft
@Hermes: Sie als „Götterbote“ sollten doch wissen, dass Dionysos auf „dialektische Weise“ quasi den Fruchtbarkeitsgöttinnen entwunden wurde, vom griechischen Patriarchat in grauer Vorzeit. Deutlich erkennbar am „mänadischen Kult“. Nicht unähnlich darin der Palastrevolte unter Federführung Apollons im Orakel von Delphi, welches ursprünglich der Muttergöttin Gaja gewidmet war (vgl.: mein Was dem Manne sein Orakel). Denn selbst die Phythia ist eine Abwandlung der „Schlange“, welche ursprünglich die Muttergöttin Gaja zu beschützen hatte. Wir kennen diese Schlange auch als „Evas“ Verführerin. Schon in den animistischen Kulten galt die Schlange als Symbol für die Wiedergeburt, wie auch für Weisheit. Weisheit galt gleich dem Wissen von der Fruchtbarkeit.

Womöglich 10000 Jahre alt und älter ist ein Mythos (vgl. Etanamythos), welcher die Schlange als Gegenpart zum Adler sah. Hier das quasi „geerdete“ (und vom Mondzyklus abhängige) Wesen, das das Wissen über die Fruchtbarkeit jedes Jahr neu unter Beweis stellt, dort der Vogel, der die Freiheit hat zur Sonne aufzusteigen. Noch in zoroastrischen (oder auch keltischen) Kulten versuchte man beide zu versöhnen, so dass sie sich nicht gegenseitig verschlingen (vgl.: thomas-linsner.de/gathas). Auch in der chinesischen Mythologie gilt die Schlange als weise und verführerisch, als quasi mit weiblichen Attributen versehen. Diese „Weisheit“ ging aber jeder Philosophie, also der „Liebe zur Weisheit“, welche ja bekanntlich mit dem (männlichen) „Eros“ verbunden ist, voraus, damit auch der Dialektik. Diesem männlichen Mythos nach ist die weibliche Weisheit mit dem Chaos verbunden, welches Eros zu bändigen hätte.

So stellte die naive Dialektik von Beginn an eine „männliche Philosophie“ dar. Welche sich mit dem ersten Klassengegensatz herausbilden konnte, wenn nicht gar musste. Und wenn Sie nicht völlig eingenebelt sind, von eines Morpheus‘ Schlafmohn, dürften Sie somit wissen, dass Marx sich schon als Schüler mit den „ersten griechischen Philosophen“, beschäftigt hatte, mit deren Dialektikern und Materialisten im Besonderen: Heraklit, Demokrit, Epikur…

Dennoch ist die moderne Dialektik seit und mit Hegel nicht mehr vergleichbar mit der antiken Dialektik, mit der „Liebe zur männlichen Weisheit“. Mit Heraklit teilt sie sich bestenfalls noch den Aphorismus, nämlich „dass alles fließt“. Obwohl der naive atomistische Materialismus eines Demokrit, welcher ohne diese Dialektik gar nicht denkbar gewesen wäre, uns immer noch in Erstaunen versetzt. Nach Feuerbachs Materialismus, resp. eines Marxens Verbindung der Hegelschen Dialektik mit dem Materialismus der Moderne, und nach der Herausarbeitung des dialektischen und historischen Materialismus durch Engels und Marx, ist die antike Dialektik selber in den Rang eines Mythos abgestiegen, zu eines Sokrates‘ Vorliebe zum freien und klugen Gespräch. Stellvertretend für viele andere gute Ausarbeitungen verweise ich hier auf die hochinteressante Darstellung unter: thur.de/philo/hegel, letzter Zugriff 27.11.2012.

faz.net/blogs/stuetzen/archive/2012/11/22/es-ist-sommer-und-die-rente-ist-sicher

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  • Von Für die Einen die Fortsetzung des Alten, für die Anderen dessen Ende am 8. September 2013 um 16:10 Uhr veröffentlicht

    […] dessen Rändern quasi „biologisch“, sich fremde Organe einverleibend. Von eines Robert Kurzens „Autokannibalismus“ hin zum sprichwörtlichen Kannibalismus. Doch die Transformation hin zu dieser postkapitalistischen […]

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