Die Suche nach der kapitalistischen Weltformel
Mir scheint hier eine Aporie vorzuliegen, ganz allgemein der bürgerlichen Wissenschaften, speziell der Wirtschaftswissenschaften. Die Aporie beginnt vermutlich schon damit, dass die Wirtschaftswissenschaften recht eigentlich keine Wissenschaft im strengen Sinne des Wortes sind, sondern ähnlich darin der Philosophie oder auch der Soziologie bestenfalls Metawissenschaften, schlimmstenfalls Esoterik/Metaphysik. Auch der Umstand, dass hier viel mit mathematischen Gleichungen gearbeitet wird, macht die Sache nicht besser. Zumal, und da wären wir vermutlich beim Thema, diese Gleichungen das reale wirtschaftliche Geschehen nicht wirklich abbilden (können). Was schon bei den allgemeinen (positiven) Wissenschaften das Problem ist, nämlich die in aller Regel ignorierte Subjekt-Objekt-Dichotomie, zeigt sich in den „Wissenschaften“, wo es nämlich explizit um das Handeln von Menschen geht, als nicht mehr hinnehmbar. Die letzte Finanzkrise hats ja wohl gezeigt. Keine einzige jener Berechnungen konnte das menschliche Handeln (und Versagen) mitberechnen, bzw. wollte es erst gar nicht. Was uns hier präsentiert wurde, war letztlich eine Art Hütchenspiel. Doch obwohl die Folgen dieser Handlungen gigantische Schäden verursacht haben, ist das nur die Anekdote zum eigentlichen Thema. Denn es geht selbstredend in der Ökonomie einer Gesellschaft um das Handeln von sozialen Akteuren, „Klassen“, wie das die marxistische Kritik formuliert, nicht um kriminelle Hütchenspieler.
Ganz konkret in der letzten Finanzkrise ging es auch um ein Versprechen. Nämlich der Herrschenden Klasse an die subalternen Klassen: jeder Amerikaner soll sein Häuschen haben, koste es was es wolle. Das hat viel von dem was jetzt gerade Trump verspricht: jeder soll seinen Arbeitsplatz haben – koste es was es wolle.
Dieses „koste es was es wolle“ enthält eine Art doppelte Buchführung und widerspricht hierin im Prinzip dem ökonomischen Grundgedanken des Kapitals – der Sparsamkeit. Denn alles was ausgegeben wird wechselwirkt in dem magischen Dreieck von „Lohn-Preis-Profit“ (ich verweise auf die Ausführungen in der gleichnamigen Schrift von Marx und Engels). Doch „scheiß auf die Prinzipien“. Abgesehen davon, dass die Wenigstens sich deren bewusst sind, kann und darf man ihnen eh nicht folgen – bei Strafe des „eigenen“ Untergangs. So in etwa denkt wohl jeder einzelne Kapitalist. Eigentlich kennt der Kapitalist keine „Nationalökonomie“ (ich verwende jetzt mal bewusst den überalterten Begriff, die Dramatik darin erkennbar lassend); ja wirtschaftstheoretisch darf er es auch gar nicht, sondern nur den eigenen Profit.
Die Wahrheit wird darin also jedenfalls nicht enthalten sein. Aber auch das Gegenteil von der Wahrheit – die glatte Lüge – wohl auch nicht. Eine Menge guter Vorsätze, Ideologie – falsche -, letztlich nur eine Aporie. Doch dieser Aporie geht man aus dem Weg, indem man die Frage erst nicht stellt, bzw. sie in Richtung Zukunft verweist: Wer bezahlt die Rechnung? Das Kapital? Die Arbeit! Wir wissen mittlerweile, dass nicht wenige „Kapitalisten“ bezahlt haben. Die jeweilige Konkurrenz halt. Doch wir wissen auch, dass letztlich, und das ist das Wesen der kapitalistischen Produktionsweise, Kosten des Kapitals umgelegt werden. Über die unterlegene Konkurrenz zum Konsumenten und natürlich immer auf die Lohnarbeit. Allein darin liegt so viel Unberechenbarkeit wie im Innern eines Schwarzen Lochs.
Die Antwort darauf wird zunächst eine politische sein, keine ökonomische. Die Massen werden in Bewegung gesetzt. Was die Unberechenbarkeit noch mal vergrößert. Wir erhalten hier Gravitationskräfte die weit über die uns bekannte rein ökonomische Materie hinausgeht. (Die Analogie zum Kosmos ist beabsichtigt!) Diese wählen einen Trump und damit den nächsten, der sie zum Verlierer macht, wie manche unter ihnen zum Gewinner. Sie sehen schon, das ähnelt dem Flöhe hüten!
Schließlich wird es eine ökonomische Antwort sein, die wir nicht erwartet haben, doch deren konkrete Ausgestaltung vom (politischen) Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit (wie auch innerhalb des Kapitals) abhängt, und das wir nur ganz bedingt manipulieren können. Ganz zuletzt droht vielleicht gar eine Revolution, der man eine Konterrevolution entgegensetzt! Wo bleibt da der Ökonom? Wieder zerrissen – in die Lager, in seine Aporien?!
Die Problemstellung für die sog. Wirtschaftswissenschaften ist somit wiederum eine aporetische! Und wären sie Sokrates, wüssten sie spätestens jetzt, dass sie eigentlich nichts wissen. Doch sie halten sich für klüger und suchen weiter nach der Formel, das dem Kapital die ganze Welt – ihre Ökonomien, ihre Energien – zu Füssen legt, möglichst ohne Reibungsverluste, also bei maximalem Wirkungsgrad – und für alle Zeiten. Elegant wie eine Formel. Die kapitalistische Weltformel! Welche den Antagonismus zwischen Lohnarbeit und Kapital aufhebt, ohne den Kapitalismus aufzuheben.
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