Die schon immer verheuchelt gewesenen elendigen gesellschaftlichen Zustände
@ThorHa
Nach der Anti-Schah-Demonstration 1978 in Frankfurt (etwa 10000 Teilnehmer, darunter wohl die Hälfte Iraner), auf der ich übrigens selber auch schwer verletzt worden bin (von einer sehr motivierten Hundertschaft aus Bayern, die mich, obwohl erkennbar war, dass ich an keiner Gewaltaktivität beteiligt war, mich dennoch gnadenlos und solchermaßen professionell fast zu Matsch schlugen), sollen noch Wochen danach gewisse Polizeikräfte – aus Frankfurt – Selbstjustiz geübt haben, indem sie von Schahgegnern frequentierte Lokalitäten in Bockenheim aufgesucht hätten um dort angebliche, bzw. vorgebliche Demonstranten einer gewissen Nachbehandlung zu unterziehen, will heißen: diese zu verprügeln.
Das war sicherlich nicht offiziell abgedeckt, dennoch Teil eben jener offiziell auch nicht geahndeten Realität. Sowenig geahndet wie das übergriffige Verhalten von solchen Ärzten, wie z.B. in der Uniklinik Frankfurt, welche schwere Verletzungen am Kopf von Demonstranten ohne Betäubung behandelten, und z.B. meine diesbezügliche Beschwerde wie folgt beantworteten: „Wer an solchen Demonstrationen teilnehme, habe immer mit schweren Verletzungen zu rechnen, also mit Schmerzen; ich solle also nicht jammern.“
An diesem Tag wurden wenigstens 400 schwer- bis schwerstverletzte Demonstranten gezählt, also die, welche sich einer ärztlichen Behandlung unterzogen. Allein mein Fall zeigt, dass es wohl mehr als einen Grund gegeben haben muss, sich eben einer solchen ärztlichen Behandlung nicht zu unterziehen. (Etwa 100 Polizisten sollen verletzt gewesen sein, wobei ich selber bezeugen kann, wie da jeder Kratzer mitgezählt wurde. Ich habe diese „Verletzten“ in der Klinik nämlich gesehen.)
Die brutale Vorgehensweise gegen Demonstranten aus der linken Szene hat sich in den letzten Jahren kaum verändert. Als ich hörte z.B., wie vor wenigen Jahren, anlässlich einer Demonstration von Studenten gegen die unter dem damaligen Ministerpräsident Koch auch in Hessen eingeführten Studiengebühren, etwa 400 Leute verhaftet worden sein sollen, beschlich mich eine unheimliche Ahnung. Wie viel schwerverletzte Demonstranten muss es dabei wohl gegeben haben?
Für mich sind das nicht nur nicht Relikte aus einer Vergangenheit, die den Faschismus nicht in die Geschichte entlassen will, sondern Ausdruck eines mehr oder weniger in Deutschland schon immer verheuchelt gewesenen elendigen Zustandes. Auch z.B. daran zu ermessen, wie man vor einigen Jahren dem jüdischen Journalisten Michel Friedman einen für seine rechtsradikalen Ansichten bekannten hessischen Staatsschützer als Personenschutz zugeordnet haben soll (so nachzulesen bei Jürgen Roth). Nämlich gewissermaßen als Rache dafür, weil dieser Friedman es gewagt haben soll, die instinktlose Umbenennung des sog. „Feldschutzes“ in „Ordnungspolizei“ zu brandmarken. Jener „Ordnungspolizei“, die sich besonders in Frankfurt während der Nazidiktatur einen entsprechenden Ruf eingehandelt hatte. Bouffier benannte dann diese „Ordnungspolizei“ in Frankfurt – nachträglich – Stadtpolizei. (Im Kreis Bad Homburg zum Beispiel heißen diese „Quasipolizisten“ immer noch Ordnungspolizei.) Dem Parteifreund Friedman aus Frankfurt aber scheint man das nicht verziehen zu haben.
Rebellion ist gerechtfertigt!
@ThorHa: Sie glauben nicht, dass die Menschen „so mutig“ sind?, nun ja, ich eigentlich auch nicht. Denn ich ganz persönlich, und ich war nicht ganz unerfahren bzgl. des Verhältnisses der Polizei zu den Linken (mitnichten hatte ich mich allerdings in irgendeinem „Schwarzen Block“, o. ä. befunden), habe mich danach wochenlang versteckt. Ich hatte einfach Angst. Zu groß war auch der Schock darüber, dass diese Polizisten meinen Tod wohl bewusst in Kauf genommen hätten. Weder für diese Angst, noch für jene zerstörte „Illusion“, ob eines Gegners „Moral“, schäme ich mich. (Das Gefühl der Dankbarkeit jenem Fremden gegenüber, einem jungen Anwalt, der das Geschehen beobachtet hatte und der im Übrigen dann meine Verhaftung verhinderte und mich ins Krankenhaus brachte, bleibt sowieso mein wichtigstes Gefühl.) Wer ohne Angst ist, der kann auch einfach nur dumm sein. Und wer immer nur glauben will, dass der „(Klassen-)Gegner“ per se ohne Ethik und Moral ist, der wird nur all zu leicht zum Zyniker. Und Zynismus ist nicht die Philosophie des Marxismus. Wie auch immer. Wir Menschen neigen dazu, schlimme Erfahrungen dann doch irgendwann zu „vergessen“, bzw. auf eine bestimmte Art zu verdrängen…Die Angst schwindet. Und solange es Grund für solche Aktionen gibt, richtet selbst die brutalste Unterdrückung offenbar nichts aus. Nicht selten riskieren die Menschen ihr Leben, wissend, dass es vielleicht gar „sinnlos“ gewesen war. Denn, wie heißt es so schön? Lieber erhobenen Hauptes sterben, als kriechend leben. Denn das scheint die andere Seite eines Menschen Qualität zu sein: Der nicht tot zu kriegende Wunsch nämlich auf ein Leben in Freiheit und Würde. Und dies schon seit es Unfreiheit gibt, durch die ganze Geschichte des Klassenkampfes hindurch. Das immer noch beste, wenn auch längst in den Mythos eingegangene, Beispiel hierfür ist der Spartakusaufstand. Und die Brutalität der Römer kannte wirklich keine Grenzen. Als ans Kreuz Genagelte, demonstrieren diese Spartakisten seither den verzweifelten Ruf aller unterdrückten Klassen: Rebellion ist gerechtfertigt!
Der Pfeil der Zeit
@ThorHa: Zu Ihrer Replik zu Tyler DV:
Wenn die Rechte sich über die Linke beschwert (wobei für mich „linke Sozialdemokraten“ ein Mythos sind; Sie sehen: nicht jeder Mythos bedeutet mir was), dass dieser der Mut gefehlt hätte, ihnen „die Wahrheit“ zu sagen, dann wird’s komisch, oder eben nur mal wieder demagogisch. Tatsache ist und bleibt nämlich, dass die Sozialdemokratie insgesamt – in all ihren Flügeln – schon vor langer Zeit zum härtesten Verteidiger imperialistischer Interessen abgestiegen ist. Und daher ist es auch mehr oder weniger konsequent, das Euroabenteuer des transnationalen Kapitals, incl. der damit notwendig gewordenen Lügen, von dort aus anstandslos zu unterstützen. Dass es innerhalb alter konservativer Parteien eben noch Kräfte gibt, die dagegen vorzugehen wünschen, liegt halt daran, dass es darunter gewissermaßen potente Verlierer gibt. Das Transnationale Kapital zerstört eben auch die alte Klassenbindung innerhalb der Bourgeoisie selber. Macht sozusagen alle Klassen „prekär“. Es bildet aus sich heraus eine quasi kosmopolitische Aristokratie. Der Widerstand der Konservativen gegen die „Krise des Euro“, welche da als Systemkrise des Bürgertums wirkt, ist daher weniger der „Wahrheit“ geschuldet als eben deren Klassendünkel.
In der Ära des Niedergangs des Kommunismus hat ein Transnationales Kapital die Ehre gegen sich selber gewissermaßen „revolutionär“ zu wirken. Die Dialektik lässt sich offensichtlich nicht hintergehen. Der Lauf der Geschichte sich nicht aufhalten. Die kapitalistische Konterrevolution in Permanenz frisst also ihre Kinder. Aber das bestätigt nur, dass der Niedergang des Kapitals unaufhaltsam ist. Dennoch: Ohne revolutionäre Perspektive wird dieser Niedergang der Tendenz zur Barbarei folgen (und eben nicht zum Sozialismus, gegen alle konservativen „Befürchtungen“, denn dieser muss gegen diese Tendenz selber durchgesetzt werden!), welche dem Kapitalismus, eben als letzte Klassengesellschaft, von Beginn an anhaftete. (Das wäre auch meine Antwort auf Ihre Nichterwiderung zum Thema „Spartakus“, stand doch dieser Aufstand am Anfang einer „Geschichte“, welche der „Lohnarbeiter“ nun vielleicht/hoffentlich beschließt. Mir will es scheinen, dass Sie immer noch in eines Zenons Zeitparadox gefangen sind, dass der „Pfeil der Zeit“ also stillsteht.) Dennoch: Wenn ich den Vergleich Spartakus – Lohnarbeiter mal im metaphorischen Licht dieses Mythos‘ betrachte, dann sieht es schon so aus, als ob die Zeit in der Geschichte gefangen ist. Die Zeit selber wäre somit nur eine relative Größe innerhalb der „Geschichte“. Die Geschwindigkeit der Schildkröte hält somit auch einen Achilles gefangen. Solange der Arbeiter Lohnsklave ist, ist und bleibt er „Sklave“. Einem Zenon mag es daher nicht ganz zu Unrecht so erschienen sein, als dass die Zeit stillsteht.
Sozialismus oder Barbarei, das haben die Verfasser des wissenschaftlichen Sozialismus – Marx und Engels – schon im Kommunistischen Manifest angekündigt.
faz.net/blogs/deus/archive/2012/09/30/unter-permanenter-beobachtung
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[…] auch gefoltert. Nicht in Gefängnissen vielleicht, aber auf offener Straße. Ich selbst war ein Opfer einer solchen Folter. Denn es ist Folter, wenn man von einer Kohorte Polizisten solange geprügelt […]
[…] Leonhard von der „Revolution“, die „ihre Kinder frisst“. Und auch bei mir finden Sie die „kapitalistische Konterrevolution in Permanenz“, die „ihre Kinder frisst“. Doch schön das Original mal wieder vorzufinden. […]
[…] die wichtigste Lehre aus der Geschichte, welche eine Geschichte von Klassenkämpfen ist, nicht: Rebellion ist gerechtfertigt. Und wo eine Gesellschaft sich nur ob des puren Machterhalts “korrigiert”, wird die […]
[…] zumindest so zwischen Istanbul und Tunceli, hinter dies einmal erreichte Maß zurückfällt. Der Pfeil der Zeit hat wieder einmal die Erde umrundet. Ja, er scheint sich gerade anzuschicken, Richtung Himmel […]