Im Angesicht der schier unerfüllbaren Aufgaben

Im Angesicht der schier unerfüllbaren Aufgaben
@HansMeier555: Wenn man die Dialektik Hegels zum Anfang nimmt, dann ist das System wohl ein „geschlossenes“. Aber schon bei seinem Hauptwerk – Das Kapital -, wie zuvor schon in den „Grundrissen“ wurde ihm ziemlich schwindlig ob der vielen Widersprüche, die da eine hegelsche Dialektik zu meistern hätte. Bei dieser Gelegenzeit durfte er sie also erst einmal auf den Kopf stellen, bzw. vom „Kopf auf die Füße“. Was dieser Dialektik dann aber die Geschlossenheit nahm. Denn „geschlossen“ (im Sinne auch von „eingeschlossen“) war sie nur in eines Hegels Geist. Doch war es wohl seine ständige Unzufriedenheit bzgl. seines eigenen Wissenstandes, was ihn dazu veranlasste, die Herausgabe seines Hauptwerkes immer wieder zu verschieben. So durfte Engels schließlich diese Titanenarbeit erledigen und Marxens unvollständige Gedanken (nach dessen Tod, in dessen Sinne aber) der gespannten Öffentlichkeit präsentieren. Und auch der Gegensatz zwischen Marx und Engels (methodisch vor allem) wurde somit Teil der Theorie selber. Ohne des Engelsschen’ didaktischen Gespürs (gerade auch in Bezug auf Marxens Gedankengänge) wäre ein Marxismus nie entstanden. Marx wäre ein Hegel geblieben, wenn auch ein wesentlich kritischerer. Und Engels wäre vielleicht ein Kapitalist geworden, wenn auch ein (utopisch) sozialistischer. Erst die Einheit dieses Gegensatzes schuf dies (vollkommne) Werk. Auch dies in dem Herausgebildetsein jenes Tandems, genannt Marx-Engels. Die „Widerspruchsfreiheit“ zwischen Marx und Engels schafft erst der Leser, der Interpret, der Jünger beider. Also der, der erkennt, wo sie identisch und wo sie unbedingt verschieden sein mussten.
Auch Hilbert und Gödel mögen ein solch Gespann gewesen sein (oder auch Einstein und Gödel…). So betrachtet war vielleicht Hilbert der Philosoph, der Theoretiker, wie Gödel der Empirist, der Praktiker. Doch in ihrer wenn auch kritischen Beziehung verkörperten sie doch erst beide zusammen den unerledigten Widerspruch, besonders den, den jeder mit sich selbst hatte, die ganze Bewegung als Einheit von Theorie und Praxis, welche zugleich deren Widerspruch ist, bzw. den Widerspruch offenbart.

Denn dass die „Widerspruchsfreiheit“ nicht beweisbar ist, heißt eben nicht, dass sie nicht existiert. Die Frage bleibt eben, auf welcher Ebene sie womöglich existiert, oder eben nicht. Sowenig wie die Logik alleine die Dinge erklärt, so sind auch die Dinge nicht rein mathematisch erklärbar. Es gibt da einen nicht „erklärbaren“ (berechenbaren, logisch nachweisbaren) Rest. Eine Lücke, wie Zizek sagen würde. Dass diese Lücke mal in den Dingen, mal außer diesen liegt, denn bei uns selbst (in Betrachtung dieser), macht die Sache nicht einfacher. Denn von welcher Natur ist die Erscheinung der Dinge, wenn sie bei uns als eine solche erst ankommen muss, um eine solche zu sein?

Mir als Anhänger der marxschen Dialektik kommt nur diese Antwort in den Sinn:
Es ist die Bewegung der Dinge, die Bewegung in den Erscheinungen, die die Lücken öffnet und auch wieder (kurz) schließt. Doch die Formen dieser Bewegung scheinen so vielfältig, dass exakte Vorausberechnungen (und damit die Vorhersage dessen wo Wahrscheinlichkeit in Wirklichkeit umschlägt) mit all unseren bisherigen geistigen wie technischen Mitteln nicht möglich waren. Die Gegenwart eines Seins erschließt sich uns aber nicht ohne dies als ein Gewordensein (wie als ein Seinwerden) zu begreifen, also als das Moment, wo es als Sein nicht wirklich ist.

Aus der Tatsache, dass die Erscheinungen uns niemals vollständig (außer im hegelschen quasi im Geist vorweggenommenen, ergo abgeschlossenen Sinne) vorliegen und auch aus der, dass deren Wesen keine eigene Substanz hat, folgert nur der Agnostiker/der Kantianer, dass die Erscheinungen im Grundsatze schon dem Menschen nicht wirklich zugänglich sind. Der unerklärbare Rest, der Widerspruch (im zulässigen, nämlich dialektischen, wie auch im unzulässigen, nämlich logischen Sinne) sind wir aber selbst. Das Wesen ist kein fremdes, sondern nur ein verfremdetes (um mal mit Hegel zu reden). Das sollten wir nie außer Betracht lassen. Nur bedeutet das eben nicht, dass der Mensch das Unerklärbare ist, sondern nur eben, dass er sich selbst als solches verklärt. Auch vielleicht um sich so erst Bedeutung zu verschaffen, im Angesicht der schier unerfüllbaren Aufgaben.

faz.net/blogs/deus/archive/2011/10/24/unvollendete-mathematik

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  • Von Tiefe Entfremdung am 5. Januar 2012 um 19:29 Uhr veröffentlicht

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