Von agnostischem Begriff

Von agnostischem Begriff
@Slothro: Sie sagen es. Schau ich mir nur meine Katzen an, dann sehe ich, wie sie mich beobachten. Meine Katzen bemerken sofort, wenn ich im Garten mal kurz einnicke. Sie also nicht mehr beobachte. Sofort sind sie über den Zaun (sie sind keine Straßenkatzen, sie dürfen sich nur unter Aufsicht draußen aufhalten; und wenn ich sie beaufsichtige, d.h. wenn sie das wahrnehmen, halten sie sich auch daran).

Ich formuliere es mal so: Die Welt teilt sich so oder so eh in die wahrgenommene und in die nicht wahrgenommene. Die nicht wahrgenommene, oder besser: die nicht wahrnehmbare, ist genau genommen nicht unsere Welt. Wahrnehmen tut sie allerdings jedes organische Wesen. Mit seinen Möglichkeiten. Also auf verschiedene Weise. So nimmt sie der Delfin per Ultraschall wahr. Die Fledermaus auch. (Grundsätzlich nimmt sie jede Kreatur so wahr, wie es ihr der individuelle Stoffwechsel ermöglicht, und so besehen ist die Welt in Abermilliarden Welten aufgeteilt).

Dennoch ist nur der Mensch das einzige Subjekt hierbei. Das heißt, dass das, was für den Menschen als die Welt „erscheint“, das einzige ist, was Bedeutung hat. Und das somit wäre wohl auch einzig bedeutend für diese Welt. Würde sie jemand fragen. Bzw. könnte sie darauf antworten. (Einzig was zählt, ist Bedeutung erlangen, und wie das zählt, das lernen wir täglich neu, selbst in den bedeutungslosesten Momenten.)

Wir lernen wie der Delfin zu sehen, machen uns also diese „Abermilliarden Welten“ untertan, Stück für Stück. Durch dieses Subjekt hindurch geht alles. Es ist das Nadelöhr, durch das sich der ganze Kosmos zu drängen hat. Und es ist somit vermutlich die einzige Singularität, die es wirklich gibt. Und dass es dieses Subjekt gibt, das hat was damit zu tun, dass dieses Subjekt sich in dem Moment konstituiert, wo es sich diese Welt erscheinen lässt. Also mitnichten „Nichts“ sein kann, denn auch unwiderlegbarer Beleg dafür, dass die Welt „ist“. Denn das Subjekt ist. So geben sich Welt (Objekt) wie Subjekt gegenseitig Bedeutung. Belegen sich gegenseitig in ihrem „Sein“. Und so wird die Welt/das Objekt gewissermaßen „beseelt“, wie das Subjekt durchgeistigt. Sich nämlich bewusst seiend. Und sich derart bewusst, dass es sich eines Tages womöglich doch noch selber transzendiert.

Ohne Bedeutung bleibt Alles nur Geschehen. Wir lernen aus den Skeletten und Zähnen der Kreaturen vor unserer Zeit selbst diese Zeit uns zueigen zu machen. Wir machen damit nicht nur aus vergangenem Geschehen eine (aktuelle, quasi gegenwärtige) Erscheinung, wir gestalten das Vergangene (Geschehen) damit um – „retroaktiv“ (den Begriff habe ich von Zizek). Denn nur so wird es neue Gegenwart, Teil unserer Gegenwart. Teil unserer Geschichte, obwohl nie wirklich in unserer wirklichen Geschichte.

So wie wir diese Welt sehen, war sie also nie. Wird sie nie sein. Denn nicht nur, dass sie ohne uns eine andere wäre, sie ist gleich nichts ohne uns, ohne eben von uns gesehen zu sein. Aber wen interessiert das? Es wird nie jemanden geben, der das kritisch reklamieren könnte. Selbst wenn wir den Dinosaurier mit Bewusstsein zum Leben erwecken würden, oder den Delfin sprechend machten, wären beide zum Einspruch nicht geeignet. Wären sie doch unsere Kreaturen. Teil unseres Kosmos. Teil unserer Gegenwart. Nicht identisch mit der vergangenen Kreatur.

Was uns aber nicht zugänglich ist, nie zugänglich sein wird, ist die Welt des „Wesens“. Denn das wäre die Welt des Hegelschen „reinen Geistes“, oder die Welt des Kantischen „Noumenon“. Von dieser Welt können wir uns nicht mal ansatzweise einen Begriff machen. Für Kant war es das unerkennbare „Ding an sich“. Deswegen bleibt sie für viele die Welt des Glaubens (auch Kant war noch ein sehr gläubiger Mensch). Die Welt körperloser Seelen. Ein beseelter Himmel gar. Nicht geistige Welt, sondern eine von Geistern beherrschte.

Und vielleicht klopfen wir mit der Entdeckung der Quantenmechanik genau an diese Welt an. Versuchen die Geister in unsere Welt zu bringen. Quasimaterialistisch, quasipositivistisch und solchermaßen naiv, versuchen wir sie zu messen. Denn wenn es uns gelänge sie zu messen, wären sie keine Geister mehr (offenbar ist man immer noch nicht von Nietzsches kecker Behauptung überzeugt, nämlich dass Gott tot sei). Doch diese Welt, von der wir uns ja recht eigentlich keinen Begriff machen können, will uns nicht erscheinen, will sich nicht messen lassen. Und wenn uns etwas nicht erscheint, dann können wir es nur glauben oder sein lassen zu glauben. Glauben oder sein lassen zu glauben, was wir glauben zu sehen. Das ist alles, was uns bleibt. Ein agnostischer Begriff. Wahrlich nicht weit über Nietzsche hinweg.

Natürlich stellt sich jetzt die Frage nach der Richtigkeit unserer ganzen begrifflichen Welt. Nach unseren Instrumenten des Sehens, des Messens, des Wahrnehmens. Nur wie können wir das wiederum überprüfen, denn auch davon müssen wir uns einen Begriff machen. Es eröffnet sich hier ein Horizont für unsere Erkenntniskritik, den wir vermutlich so leicht nicht überschreiten.

Nichts als Lücken, dennoch gebundene Energie
@Lützenich: Ihre Erklärung ist im Prinzip nicht so verkehrt, bis auf den Umstand, dass da nicht nur Wellen im Spiel sind, sondern eben auch Teilchen. – Wir sind Teilchen. Nur wo sich Teilchen bilden, bildet sich Materie. In der Tat: Ansonsten gäbe es nur Energie. Das Welle-Teilchen-Verhältnis betrachte ich daher auch nicht als Dualismus, sondern als dialektische Beziehung. Durch die parallaktische Verschiebungen der Wellenformationen – und infolge deren Überlagerungen – entstehen Lücken und aus diesen wiederum „Etwas“. (So zumindest versuche ich es mit Zizek zu erklären.) Das „Etwas“ quält sich aus dem „Nichts“. Das Nichts ist nicht wirklich nichts, so wenig wie ein Vakuum absolut leer, doch ist die „Füllung“ eines solchen „Nichts“ mitnichten identisch mit dem ansonsten mit Materie gefüllten „Etwas“. (Man könnte sich die Lücke/das Nichts auch als eine Luftblase in einem ansonsten geschlossen Wasserraum vorstellen, wobei im Kosmos diese „Luftblasen“ vermutlich aber einen größeren Raum einnehmen als das „Wasser“. Hier bilden die „Wasser“ sozusagen die Luftblasen.)

Ob die Higgs-Teilchen existieren, wage ich zu bezweifeln. Ich glaube nicht, dass sie nötig sind. Sie wären der letzte pseudomaterialistische Versuch vor die Energie die Materie zu setzen (vor die Wellen die Teilchen). Substanz zu verorten, wo vermutlich nur „Lücken“ sind, Löcher, Energiepotentiale. Die Bewegung allein, die parallaktische Verschiebung, wird es wohl machen, was da einem Higgs angedichtet wird.

Wodurch die Bewegung zustande kommt, kann ich nur vermuten: durch die Teilung. Eins teilt sich in zwei. Das will mir das einzige universale Gesetz sein. Und wahrscheinlich ist die Triebkraft für diese Teilung die nur relative Beziehung zwischen allem. Teilchen, die durch Wellenüberlagerungen entstehen, sind im hohen Maße instabil. Sie zerfallen, sie teilen sich, sie bilden sich neu. Hier und jetzt und andernorts, zu anderer Zeit. So besehen hätten sie gar recht: es gibt nur Wellen. Nur wäre das ein unerträglicher Relativismus. Das was ist – hier und jetzt – vergeht in der Zeit, füllt den Raum. Und solange ist es Etwas. Und dieses Etwas zeigt sich als (relativ) stabil. Für ein Menschenleben können das 100 Jahre bedeuten, für eine Eintagsfliege ein Tag, für einen Kosmos hunderte von Milliarden Jahre. Die Veränderung ist dennoch beständig. Der Mensch altert, eben so der Kosmos. Dazwischen wird gelebt und gestorben und wieder gelebt und gestorben. Und die Summe aus all dessen wäre das Leben, wären die Teilchen, bilden die Substanz, wäre also mitnichten nur Energie. Gebundene Energie, damit kann ich leben.

Ein Energiebündel, sozusagen. Und ich denke, damit können auch Sie leben, Frau Sophia Amalie Antoinette Infinitesimalia. Denn das sind Sie doch auch.

Ohne Philosophie wird die Physik scheitern
Wer Brian Greene „Das elegante Universum“ (bzw. „Der Stoff, aus dem der Kosmos ist“) oder Lisa Randall „Verborgene Universen“ gelesen hat, ich sprach schon davon, dem wird nicht entgangen sein, dass der Versuch physikalische Vorgänge rein physikalisch, sprich: mathematisch zu erklären, ganz offensichtlich auch schon den Physiker überfordern. Jede Deutung – und deuten müssen wir – beinhaltet per se „Bilder“, sprich: philosophische, erkenntnistheoretische oder gar religiöse Elemente. Einstein redet von „Gott, der nicht würfele“, Lisa Randall bemüht Texte von den Beatles, wie diesen hier: „Got to be good looking `Cause he’s so hard zu see.“ (Er muss gut aussehen Weil er so schwer zu sehen ist), oder von anderen Rockmusikern, um physikalische Vorgänge zu begreifen und Brian Greene stellt den Kosmos in seinem „Stoff“ dar, wobei er ein metaphorisches Bild verwendet – auch auf dem Klappentext als quasi verwobene Seide so vorgestellt – welches sich eben nach Bekleidungsstoff, nämlich von feinster Webart, anfühlt.
Also was nützt uns die Vorstellung des Universums rein in Formeln, wenn es uns nicht gelingt, das in Bildern umzusetzen, den Kosmos also sinnlich zu erfahren.

Ich bleibe dabei: Ohne die Philosophie wird die Physik scheitern. Wenn sie nicht schon gescheitert ist.

faz.net/blogs/deus/archive/2011/09/15/tot-und-lebendig-schroedingers-katze

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