Grund zur Revolte

Grund zur Revolte
Ich tu gern, was meine Freunde von mir erwarten.
Da ich nicht alles tun kann, kann ich nur befreundet sein
mit solchen, die von mir erwarten, was ich tun kann
.“

Ich habe ein bürgerliches Einkommen. Ich will aber mit den Leuten, die so viel verdienen wie ich oder mehr, nichts zu tun haben. Ich halte sie für Feinde.“

Also diese beiden Zitate sind wohl die „Besten“. Oder sagen wir: die Lächerlichsten. Da gefiel sich jemand sehr lange als Linker, ja als Sozialist, als Ikone eines „Realen Sozialismus“, mitten im Westen. Und heute genießt er den Applaus auf Veranstaltungen in Pullach. Dort, wo sich die alten Leute treffen, die, die schon vor 50 Jahren alt gewesen sind. Nicht die vom BND, von diesen Zombies rede ich gar nicht, nein, von denen um die Ecke, jener CSU nahen Seidel-Stiftung. Ein bürgerlicher Karrierist, der sich dafür zu schämen scheint, dass er so viel verdient. Unter all denen, die ähnlicher unverdientermaßen, so viel verdienen, wie er, oder eben mehr.

Befreundet sein, nur mit Leuten, die nur das von einem erwarten, was man kann! Für einen „Literaturgott“ schon eine jämmerliche Referenz. Götter müssen unerreichbar bleiben. Für jeden Sterblichen. Der Walser jedenfalls scheint erreichbar. Besonders für die, die er seine Freunde nennt.

Auch der Schirrmacher hat ihm verziehen, was man eben nur unter Freunden sein darf – Antisemit sein. Auch ich habe ein Buch von ihm verrissen. Ich bin nicht Reich-Ranicki, aber ich achte diesen Mann. Ich bewundere seine Intelligenz. Sein dialektisches Genie. Seinen aristokratischen Geist. Wer so den Holocaust überlebt, der muss ein Gott sein. Nun gut, er ist kein Marxist, nicht mehr. Aber er stand ihnen gegenüber. Und er bewies sich als Marxist unter Schlangen, er war die Schlange unter den Marxisten. Der Kluge unter den Dumpfbacken. Wahrlich, einem Nathan ebenbürtig.

Mag sein, dass er die Erinnerung daran, nunmehr scheut. Dennoch: er war einer. Und er ist kein sog. „liebender Mann“. Er hat Selbstachtung. Im Alter zu genießen, das Alter genießen, das geht nur über ein hohes Maß an Selbstachtung. Nur mit der Fähigkeit, sich der Vergangenheit zu vergewissern. Nicht sich des Vergangenen. Alt Gewordene, die was erlebt haben, genießen die Erinnerung. Nicht die Versuchung der Wiederholung.

Walser hingegen, in Goethes Haut, das ist die gedoppelte Groteske. Da begegnen sich zwei Lustmolche. Zwei Missbraucher, zuletzt die der Literatur, welcher da von ihnen gar geschaffen.

Oh ja, alles, was ich über Walser schrieb, das wurde von der FAZ gesendet. Es wurde diskutiert gar auch das, was ich über den verdorbenen Goethe so schrieb . Über jenen, der da glaubte, er dürfte einem jungen Mädchen den Hof machen. Dieser schamlose Narr. Und der seine verdiente Abfuhr erhielt. Die Marienbader Elegien waren dann aber immerhin wieder Kunst. Wenn auch eine aus der Not geborene. Literatur doch für die Ewigkeit, im Moment des sich Vergewissern der eigenen Zeitlichkeit. Was die FAZ aber dann gnadenlos wegretuschierte, das war meine Kritik an Walsers Antisemitismus, meine Erwähnung auch eines Antisemitismus bei Goethe. Das waren verbotene Themen.

Der Schirrmacher hat ihm verziehen. Ja! Ich nicht. Diesem Geck.

Aber Walser steht für mehr. Und da steht er für „wahre Literatur“. Nicht wie er sie schreibt, da treibt nur jemand seine semantischen Zirkelschlüsse auf die Spitze. Auch das, nur Belege für dessen Lächerlichkeit. Dessen Selbstbezüglichkeit. Dessen Selbstverliebtheit.

Nein, es ist das, worüber er schreibt. Es ist die Wahl seiner Themen. Darin ist er ein „Genie“. Aber er ist ein Genie, das sich diesen Themen unterwirft, sie nicht gestaltet. Sie nicht überhöht. Sie nicht transzendiert in eine andere Sphäre. Als Literatur kann man es nur bezeichnen, weil es eine bezeichnende Realität so herrlich abbildet. Gäbe es den Walser nicht, man müsste ihn erfinden.

Die alternde Gesellschaft – und jetzt Schirrmacher, hören Sie bitte genau hin -,
d i e ist es, die da der Walser vorführt. Wider Willen vielleicht. Ohne bessere Absicht auf jeden Fall. Nicht nur den alten Mann, den liebenden, den selbstverliebten, den Gockel wie den Geck, führt er da vor – gleich ob als Goethe oder als Walser. Nein, wer da an allem klammert, was ihm nicht gehört, wer da nur Besitzstände sichert, der verhökert nicht nur seine Würde, der vergreift sich an der Gesellschaft, die ihm längst nicht mehr gehört. Mag sein, dass da die Profiterwartungen einer Deutschen Bank die wirtschaftliche Zukunft plündern, ein Alter, das da glaubt, unsterblich zu sein, bestiehlt die Jugend um ihre Vorrechte. Ein Alter, das nach allem verlangt, was dem Alter nicht entspricht, ist so gierig, dass Ekel dagegen, kein angemessenes Gefühl mehr ist. Und es bietet der Jugend die volle Breitseite. Doch diese ist morsch.

Die Jugendrebellion in Arabien, die führt vielleicht das zu Ende, was da 68 begann. Auch Walser war ein Mann der 68er, wenn auch damals schon einer ihrer Greise. Nun ist er ihr Verräter, ihr Verderber, ihr Renegat.

Ein selbstverliebter, ängstlicher, um seinen Wohlstand sich sorgender alter Antisemit. Ein zänkischer alter Narr.

Und auch das gehört wohl zusammen: ängstlich wie antisemitisch. Walser ist auch darin ein ideelles Vorbild. Ein deutscher Prototyp. Die egoistischen Sorgen alter Leute sind kein Stoff für Literatur, sondern Grund zur Revolte.

faz.net/blogs/formfrei/archive/2011/03/24/im-kaffeehaus-mit-martin-walser

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