Wenn die Revolte dem literarischen Narzissmus schmeichelt
Wo man auch sagen könnte: Die Verlage machen die Geschichte, begegnet man der wirklichen Macht. Gleich ob Lektoren übers Ziel hinaus schießen – der Sozialismus lässt sich wirklich so nicht machen, so ganz ohne proletarische Revolution, ohne revolutionäre Gewalt -, oder ob Autoren machtgeile bürgerliche Individuen sind, hätte dieser Aufstand gefruchtet, sähe womöglich die Geschichte auch der 68er ganz anders aus. Und zwar nicht nur, da sie dann anders beschrieben worden wäre, denn es ist mehr als nur eine semantische Entgleisung Lektoren als Zuhälter zu sehen, zeigt dies doch, wie dogmatisch und wie demagogisch da Marx antizipiert wird. Erstens sind sie mindestens mal so produktiv wie Autoren, und sie sind es weniger im bürgerlich-individualistischen Sinne, denn eher im proletarischen. – Ihre Arbeit kann als kollektive Geistesarbeit verstanden werden. Ergo, sind zweitens Geisterarbeiter eher selten Zuhälter. Und im Schatten eben einer solchen Deutungsmacht konnten so zweifelhafte Gestalten wie Walser eine linke Prosa okkupieren und ein Enzensberger den revolutionären Poeten mimen. Die ganze Tragik der Studentenrevolte beginnt dort, wo sie Nabelschau derselbigen bleibt, und endet, wenn sie den Narzissmus gewisser Hof-Literaten zu schmeicheln hat.
Ein antiker Streit und die verspielte Chance
@Bremen: Schon Platon thematisierte das „Generationsproblem“ (Politeia). Ein alter Hut, diese Schelte der „Besser-Wisser“-Generation. Und: Auch die „68er-Generation“ teilte sich in Klassen und verschiedene politische und weltanschauliche Richtungen. Das einzige was sie vielleicht einte, links von der CDU, war der Widerwille gegen die muffigen Talare ihrer Profs an den Unis, deren „Besser-Wissen“ allzu oft nur den Vorurteilen ihrer Klasse geschuldet war, zumal durch den intellektuellen Bankrott im Angesicht des deutschen Faschismus restlos blamiert. Nicht wenige deutsche Verlage machten ihr Vermögen während dieser Zeit durch die Kriegsverherrlichung und sonstigen literarischen Schund mit dem man die Kriegerfrauen bei Laune hielt. Auch vor diesem Hintergrund wäre gerade die „Sozialisierung“ eben des Verlagswesens nicht so falsch gewesen. Nur war der Zug diesbezüglich eigentlich schon abgefahren. Nach dem Krieg, wo gar auch die CDU sich sozialistisch tarnte – wer hätte gedacht, dass das deutsche Kapital je rehabilitiert werden würde -, wäre vielleicht die Zeit für gewesen. 68 war nur die kulturelle Resonanz auf die diesbezüglich verspielte Chance, denn dass eine soziale Revolution nicht mal in der DDR stattgefunden hatte, begriff man gerade.
Es gibt keinen Sozialismus im Kapitalismus
@Bremen: Bei der Frage der Sozialisierung geht es doch nicht um ein einziges Unternehmen, sondern um eine ganze Branche, eine ganze Volkswirtschaft, u.U.. Und im Übrigen ist es ziemlich gleichgültig, wo welche Autoren verlegen lassen, manche wissen gar nicht, welche Politik ihr Verlag wirklich betreibt. Nicht wenige Verlage machen, während sie sogar vorwiegend prominente linke Autoren verlegen, gleichzeitig mit dem BND, dem Verfassungsschutz oder auch dem CIA gemeinsame Sache, ein Tatbestand den ganz gewiss nicht wenige linke Autoren dazu veranlassen würde, dort nicht zu verlegen, nur sie wissen es halt nicht. Ich verweise hier auf Schmidt-Eenbooms „Undercover“, auf das ich schon des Öfteren zu sprechen kam. Wohl gemerkt, die Rede ist hier nicht von Suhrkamp, und darum geht es auch hier nicht, nur eben, dass es keine Rolle spielt, welcher Autor von welchem Verlag vertrieben wird, oder auch: welches politisches Image sich ein Verlag anlegt. Und Unselds strategischer Streich bzgl. seines Angebotes die Rebellen mit einem „sozialistischen Verlag“ zu „belohnen“ referiert darauf, dass er sich völlig im Klaren war, dass solche Verlage im modernen Kapitalismus keine Chance haben. Es gibt keinen Sozialismus im Kapitalismus, demnach auch keinen sozialistischen Verlag.
faz.net/Suhrkamp 1968: Nacht der langen Messer, 20.10.2010
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[…] erste große Fortschritt in diesem Land, wo sich Romantiker für Dichter halten, wo sie doch nur Ideologen sind, oder Philosophen für Theoretiker, wo sie nur das Plagiat lieben und Wissenschaftler für […]
[…] Immer mit dem Daumen auf dem Nabel der Zeit Na, wenn das nicht verspricht ein interessanter Abend zu werden. Jedenfalls für Linke, für Marxisten. Und in Frankfurt/Main. Erst – um 19:15 Uhr – Oskar Negts „Verhältnis zur Frankfurter Schule“ im Institut für Sozialforschung, Senckenberganlage 26, Frankfurt/Main. Dann Enzensbergers „Digitales Ich“ (bekannt auch mit seinem „Das digitale Evangelium“) bei Beckmann. Beide bekannt dafür, wie sie den Daumen immer auf dem Nabel der Zeit haben. Es wird mir der Kopf rauchen, aber ich freue mich. Auch bei aller Kritik, die ich persönlich habe. […]