Sich selbst bestätigende Ressentiments

Sich selbst bestätigende Ressentiments
@poisson: „Das liegt im Kern der Marx’schen Methode durch eine scheinbare Mathematisierung der Wirklichkeit alles in Zahlen zu fassen ohne eine Meßvorschrift die auch nur dürftigsten Ansprüchen genügte“ (siehe:Die Hütchenspieler einkassieren). Das müssen Sie mir bei Gelegenheit noch mal näher erklären, am besten am „Das Kapital“. Ich fühle mich allerdings geschmeichelt, dass Sie mich da so mir nichts dir nichts der Marxschen Methode zuordnen. Danke für die Blumen. Ich gebe mir jetzt noch mehr Mühe. Ressentiments habe ich vermutlich, wer hat die nicht, aber „antideutsche“?
Kann es sein, dass Sie aus der ehemaligen DDR kommen (und nie ein besonderer Freund dieses Regimes waren – ich war das auch nie, aber vermutlich aus anderen Gründen als Sie), und sich jetzt wegen Ihrer Ausgrenzung (dem erlittenen Mangel an Solidarität auch für Antikommunisten) beschweren? Noch die Kommunisten aus dem Westen wie auch die Antikommunisten mögen Sie besonders. So fühlen Sie doch, oder? Aber dieses Gefühl trügt Sie, denn ich fühle mit den Leuten (das kann ich belegen, denn ich habe mich dazu schon öffentlich geäußert), natürlich viel besser, da ihnen näher, mit denen, die sich diesem Regimes aus demselben Grund widersetzten, aus dem ich das getan hätte, wenn ich dort gelebt hätte, und die daher niemals Wendehälse hatten werden müssen!
Sie müssen darauf nicht antworten, aber vielleicht überdenken Sie Ihre pauschalen Vorwürfe mal im stillen Kämmerlein. Wenn Sie aber die völlig unterschiedlichen Perspektiven von Marxisten und Antikommunisten, gleich ob aus West oder Ost, weiterhin unterschiedslos in einen Topf werfen wollen, bekommen Sie darauf nie eine zufriedenstellende Antwort. Und das sind Ressentiments – auf Gegenseitigkeit, wie ich mal vermuten darf -, die sich immer wieder gegenseitig bedienen.

Solidarität oder Opportunismus
@poisson: Alter Bolschewik und Schoenbauer haben alles gesagt, was es zu Marx und zu seiner „Wirtschaftstheorie“ (die natürlich mehr als eine Wirtschaftstheorie ist, denn sie ist die Theorie von der Bewegung des Kapitals, die zum Sozialismus führt) zu sagen gibt. Nun zu den Geschichtsmärchen.
Ich gehöre zu denen, die zufällig noch die alten, die ganz alten Positionen zur Existenz der DDR kennen gelernt haben. Zu dieser Zeit – so etwa Ende der 60er – war ich selbst noch nicht politisch und schon gar nicht marxistisch. Die Begründung vieler Linker damals war, dass nur die deutsche Teilung eine Wiederholung des deutschen Faschismus verhindere.
Ich weiß das deswegen so genau, weil ich damals, so politisch unbedarft ich da war, natürlich für die deutsche Wiedervereinigung war. Man bezeichnete mich damals als einen Faschisten. Ich war schockiert, denn das wollte und konnte ich nicht sein. Jahre danach, ich war mittlerweile selbst Marxist, aber Kritiker dieses Ostblocks – jenes Reiches des sowjetischen Sozialimperialismus -, war die Frage der deutschen Einheit kein Thema für die Tagespolitik, aber eines für den Aufbau einer revolutionären kommunistischen Partei in Westdeutschland. Wer sich dem westdeutschen Revanchismus widersetzt, ist natürlich für eine klare organisatorische Trennung gewesen, in Westdeutsche, Westberliner und DDR-Deutsche.
Aus Sicht eines westdeutschen Marxisten war dieses 89 dann auch keine Revolution und auch keine Wiedervereinigung, sondern eine Annektion, eine Plünderungsaktion. Die Vorstellung der Massen in der DDR von dem was da komme, waren für uns Westler verständlich, aber nicht akzeptabel.
Der Wunsch nach Einheit war begreiflich, aber politisch verheerend, eigentlich naiv. Wer das heute noch leugnet, kann aber nicht mehr als naiv bezeichnet werden, sondern als ignorant. Nicht im Namen der Demokratie wurde da die DDR liquidiert und dem Westen angeschlossen, sondern im Auftrag eines großdeutsch denkenden Kapitals. Das ist eine politische Tatsache, wenn auch die alten DDR-Kader genau dafür eigentlich die Hauptverantwortung tragen, selbst dann, wenn klar ist – auch und gerade einem Linken -, dass eine deutsche Trennung auf Dauer von Anfang zum Scheitern verurteilt war. Doch immer gab es die Option einer Einheit auf revolutionärer Grundlage. Die gab es nach dem Krieg – diese wurde vom Westen sabotiert. Und die gab es selbstredend auch 1989. Allerdings gab es 89 weder im Westen noch im Osten dafür ein revolutionäres Subjekt. Ein solches, dass es nicht hingenommen hätte, dass die DDR kolonisiert wird, zu Deutsch-Ostafrika wird. Diese Option nicht ergriffen zu haben, ist der Makel nicht nur dieser Einheit, sondern auch und gerade seiner Bevölkerung – in Ost und West. Die Ironie des Kapitals hierzu, nämlich dass diese Einheit über die deutschen Sozialsysteme, von der deutschen Arbeiterklasse also, bezahlt wird, spricht eine deutliche Sprache. Welch eine Verhöhnung des Klassengegners.
Allerdings war die so geschaffene deutsche Einheit ein Fakt, ein nicht mehr zu leugnender. Das Thema der organisatorischen Trennung war obsolet. Nicht obsolet war aber die Frage des Verhältnisses zwischen den alten DDR-Kadern und den wahren Marxisten, des Verhältnisses zwischen Kapitalismus und Sozialismus, des Verhältnisses zwischen Einheit und Spaltung.
Der Kampf für den Sozialismus hat eine schlimme Niederlage einstecken müssen, aber er ist nicht vom Tisch. Und die Bevölkerung der ehemaligen DDR spielt hierbei womöglich das Zünglein an der Waage. Der kolonisierte Teil Deutschlands wird doppelt unterdrückt, gewissermaßen „national“. In diesem Sinne ist die alte Frage der organisatorischen Trennung nicht ganz erledigt. In dem Maße wie sich die Bevölkerung der ehemaligen DDR gegen diese doppelte Ausplünderung, gegen die Verwandlung in einen Rentnerstaat unter Mafiaregie, in ein entindustrialisiertes Westbiotop, wehrt, entwickelt sich quasi eine Art nationaler Binnenkonflikt. Die ehemalige DDR steht neben den Migranten in diesem Land für Gleichberechtigung oder für eine Parallelgesellschaft. Für Widerstand oder Unterordnung, für Solidarität oder Opportunismus.

Latrinenpropaganda
@HansMeier555: Sie scheinen ja gut informiert über die Latrinenpropaganda. Gibt es da auch ein paar Fakten, die sie zu berichten hätten, mal abgesehen von Ihrer Wertschätzung Lassalles, über die man nicht diskutieren kann – außerhalb der Politik jedenfalls?

Sie wäre das Volk
@HansMeier555: Marxisten sind historische und dialektische Materialisten. Ideale zu haben, können einem solchen Materialismus wohl nicht entgegen gesetzt werden, aber nur Ideale und keine Theorie sehr wohl. Eine solche Theorie kann Ideale sogar zerstören, konterkarieren. Ein gutes Beispiel mag dabei der Streit zwischen Marx und Heine gewesen sein (siehe: Heine und Hölderlin). Heines Ideale standen über dem Kommunismus, und doch war er Materialist genug, eben nicht Idealist, um zu begreifen, dass der Kapitalismus den Sozialismus, und damit den Kommunismus, auf die Tagesordnung setzt. Dass die Freiheit an der Notwendigkeit scheitern wird, das befürchtet Heine, und Marx wird das nicht geleugnet haben. Es sei denn, die bürgerliche Herrschaft distanziere sich von sich selber, ermöglicht mehr Freiheit als ihr notwendig erscheint. Solches anzunehmen war immer schon eine Möglichkeit, aber nicht Notwendigkeit, in aller Regel sogar eine Dummheit. Marx glaubte ein Zeit lang, dass in England ein friedlicher Übergang zum Sozialismus möglich sei – eine Zeit lang -, eine unter bestimmten Bedingungen.
Die Notwendigkeit zerstört alle Ideale, besonders die, die so notwendig sind. Die Kritik am materialistischen Westen ist eine am konsumistischen Westen, eine völlig falsche also.
Und dass die DDR-Sozialisten Ideale gehabt hätten, war eine Beschönigung dessen, was in Wahrheit eine Notwendigkeit war. Notwendig war die Mauer, da das Regime kein sozialistisches war, aber auch kein kapitalistisches, sondern ein kolonisiertes, ein vom Sowjetreich abhängiges. Notwendig war diese Kolonie aber auch deswegen, da es im Osten Deutschlands, ganz besonders dort, nach dem Ende des 2. Weltkrieges eben kein sozialistisches Subjekt gab, eines solchen, das die Eroberung dieses Teils Deutschlands durch die Sowjetarmee in eine Revolution hätte überführen können. Der Sozialismus als Kolonie – ein Widerspruch in sich selbst.
Ideal war das also nicht, sowenig wie ein Ideal, sondern eine notwendige und solchermaßen vorübergehende Lösung. Eine die die Lösung erheischte – eine revolutionäre oder konterrevolutionäre, eine die den Kalten Krieg beendete.
Ein Ideal, nein eine Wunschvorstellung, wäre, dass diese „DDR-Bevölkerung“ endlich erwacht, sich aus ihrer preußischen Tradition befreit, und Widerstandsgeist entwickelt. Denn, sie wäre das Volk.

Wohin mit all dem Volk?
Zu dem Thema „Wir sind das Volk“ habe ich im Februar 2004 in einem anderen Zusammenhang, in einem anderen Forum, einen Beitrag verfasst, den ich hier präsentiere und zur Diskussion stelle.
Damit möchte ich auch deutlich machen, dass ich den Wunsch des Volkes der ehemaligen DDR nach Souveränität in einem vereinigten Deutschland nicht nur fördere, sondern darüber hinaus auch einfordere. Nur Souveränität wo? Im Himmel oder auf Erden?

Denn: Wohin mit all dem Volk?
Als sie skandierten, die siegestaumelnden Massen: „wir sind das Volk“, frohlockten im Westen nicht nur die Heuchler und Demagogen, auch das hiesige Volk empfand seine klammheimliche Freude, ob dieses Mutes, den man weder dort wie hier, und dort schon gar nicht, vermutete. Das Volk und nicht der Untertan: in Deutschland, endlich nicht nur ein Traum mehr und sei es auch nur für einen Tag.

Und nicht nur dem, dem Volke so feindlichen chauvinistischen, sondern auch dem kritischen, auch im Westen dem Volk so fernen, Kopfe, dämmerte es bald, recht bald, was dem siegreichen besiegten Volk, hinter dem irrlichternden Flackern ungezählter Kerzen schon entgegenzüngelte, bevor die Mauer restlos geschleift:

Was niemand ahnte, hier wie dort: dass es nicht das Volk war, dass die Revolution über die Mauer, sondern, dass es diese „Revolution“ war, die das Volk zur Mauer trieb. Eine Revolution, die die Menschen nicht nur aus ihren „Blöcken“, sondern auch bald aus ihren nationalen Gebinden und wohl auch demnächst von ihrem Planeten „befreit“.

Und ein Gespenst geht um die digitale Welt:
Globalisierung
Und das neue Manifest, nicht mehr gehämmert in der markigen Sprache für Plebejer oder Proleten, mittels einer Maschine auf geduldigem Papier, sondern projiziert in seiner multidimensionalen Vielfalt der Formen an einen sternenübersäten Himmel, und Bits und Bytes formen den Rhythmus seiner mathematischen Sprache, kündet von einer nicht mehr all zu fernen Zeit, in der es endlich lautet:
Es geht ganz ohne das Volk!
Das Geld: es halluziniert sich endlich aus seiner abstrakten Wesenheit und befreit sich so aus seinem bloßen Dasein als Geist der Welten zur einer neuen materiellen Gewalt, ja zur einzig wirklichen Materie in einer Welt der Zahlen und abstrakten Gebilde.

Und das Volk schafft jetzt seine letzte Leistung, indem es die Inhalte seiner Gehirne, welche eh schon lädiert durch BSE und dergleichen, transformiert aus dem schnöden Stoff der irdischen Kohle in das genetisch saubere und universal kompatible Silizium.

Und so wird das Geld endlich zum Schöpfer allen Lebens, eines Lebens, so mobil, dass es nun die letzte seiner Begrenztheit überwindet:
Die Dimensionen des Weltalls.
Und nicht mehr nur die Ahnung von der Götter Dämmerung treibt es in seiner Bahn – von Ewigkeit zu Ewigkeit –, sondern die neue Hoffnung auf der Götter Begegnung am Firmament des Himmlischen, das Geld endlich befreit von des Volkes erdiges Seins.

Denn göttlich ist der Mensch
@HansMeier555: „Eine Wunschvorstellung wäre, daß die „Gesellschaft“ endlich erwacht, sich aus ihrer bürgerlichen Tradition befreit, und Herrschaftsgeist entwickelt. Denn, sie wäre die Aristokratie.“ O.K., einverstanden, im Heineschen-Hölderlinschen Sinne, denn göttlich ist der Mensch, dessen Götter den Menschen über sich erheben.

Nichtidentische Gesellschaft
@HansMeier555: „Gesellschaft“ im aktuellen Sinne ist die gespaltene, die Klassengesellschaft, die nicht identische. Die hölderlinsche Götterwelt steht für eine revolutionäre Gesellschaft, für eine im Umbruch, welche den Menschen „über sich erhebt“. Die durchgöttlichte Natur bei Hölderlin ist die allegorische Überhöhung eben jener Gesellschaft (Vater Rhein, die Urgestalt des Freiheitskampfes der Deutschen). Heine hingegen sieht die Göttlichkeit des Menschen im Menschen selber, im Menschen, der sich über die Notwendigkeit erhöht, zur Freiheit befähigt ist. Laut Marx ist die Freiheit die Einsicht in die Notwendigkeit, was Heine aber als eine kommunistische Verkürzung empfand, weil er den Druck der Notwendigkeit auf die Freiheit verspürte. Die Differenz zwischen Freiheit und Notwendigkeit, die Nichtidentität, ist der Spielraum für das Subjekt, für ein revolutionäres hin zum Sozialismus aber auch zur Barbarei (Marx). Freiheit und Notwendigkeit sind also nur vermittels des Subjekts identisch, in Form der revolutionären Bewegung, nicht im objektiven Sinne.
Die bürgerliche Gesellschaft, die bürgerlich-aristokratische, ist die Verkürzung als Gesellschaft der oberen Klassen, als Bewegungsraum des Kapitals. Die proletarische, die sozialistische Gesellschaft, wäre demnach eine Übergangsgesellschaft, eine nicht notwendig barbarische – hängt vom Klassenkampf ab -, aber mit Sicherheit eine nicht freie, im bürgerlichen Sinne, denn sie schränkt den Bewegungsraum für das Kapital ein.
Erst die kapitallose Gesellschaft wäre dann wieder eine umfassend freie, da klassenlose Gesellschaft, eine vorübergehend wieder identische, und damit als solche die letzte aller Gesellschaft. Eine identische Gesellschaft ist eine Nicht-Gesellschaft. Es folgt ihr das Reich der Freiheit, das Ende der Notwendigkeit, das Ende der Politik wie der Politischen Ökonomie, mit neuen Widersprüchen, aber ohne Klassenantagonismen.

faz.net/blogs/stuetzen/archive/2009/10/27/die-kollektive-erfahrung-der-silberschale

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  • Von Eine womöglich berechtigte Perspektive auf den Nullpunkt am 29. Januar 2010 um 20:50 Uhr veröffentlicht

    […] ein solcher erscheinen; allerdings die Gesellschaft, die macht welche, wenn auch nicht selten als Bocksprünge. Nichts desto trotz stimmt es natürlich, was Sie da schreiben. Und ja!, Lenin hat über die […]

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