Das Helmut-Schmidt-Paradoxon
Am 02.04.2007 15:01 von Herold Binsack, Oberursel
Für einen Prominenten der Atlantik-Brücke und auch für einen so bedeutenden Mitherausgeber der ZEIT (die ja auch als Organ als Mitglied im selben Verein vertreten ist) benutzt unser Ex-Kanzler (und auch in dieser Ex-Stellung war er mir s o nie aufgefallen!) die antiamerikanische Rhetorik auffallend oft und vor allem immer stärker, und das in dem Maße, wie seine sozialdemokratischen Mitprominenten sich – wenn auch dies zugegebener Maßen unter Merkels Fuchtel – diesbezüglich doch noch immer stark am Riemen reißen (können). Merkwürdig, wenn nicht gar paradox, ist das schon, und so kann ich mir die Frage nicht verkneifen: Was steckt dahinter? Gibt es da womöglich in diesem Club der „Freunde der 200 Familien, die in den USA das Sagen haben“ (sinngemäß aus einer „Pro-Veröffentlichung“, vgl. Wikipedia.de, Stichwort: Atlantik-Brücke) einen handfesten Familienkrach, der nicht so richtig nach außen getragen wird? Oder übt da ein so langsam in die Jahre Gekommener noch mal eine ganz andere Semantik, zumal ja auch das Nach-Köhlersche-Bundespräsidentenamt noch mal des alten Kriegers Stachel löckt, wobei man sich unbedingt auf das intellektuelle Niveau eines immer größer werdenden Anteils der Bevölkerung – aus der „Mitte der Gesellschaft“ sozusagen heraus (und ein Großteil hiervon erscheint als „schreibender Leser“ in der ZEIT) – einstellen muss? Oder gibt es da wirklich diese Möglichkeit – die ich bisher wohl als ideologische Variante dort schon wahrgenommen, aber als solche vielleicht noch unterschätzt hätte – nämlich, dass sich da aus der Mitte der deutschen politischen (und vielleicht auch wirtschaftlichen) Elite heraus, eine stramm antiamerikanische, um nicht zu sagen zunehmend deutschnationale Richtung profiliert? Ich hoffe, für den Schmidt lohnt sich das alles noch (- er ist ja auch nicht mehr ganz der Jüngste -), zumal da schon einer wie der Westerwelle in der Warteschleife (und dort nicht ganz so dezidiert antiamerikanisch, aber doch recht deutsch), sich schon mal warm boxt, wenn dieser sich – wie letztes Jahr im Spätsommer – um die Weltmeisterschafts-Patrioten bemüht – denn die sind ja von einer anderen „Mitte der Gesellschaft“ – womöglich. So oder so, scheint es mir, dass, was da aus jener Pro-Atlantischen-Liga heraus und solchermaßen sich öffentlich profiliert, sich eher um die Auffrischung des etwas auch so in die Jahre gekommenen Walls an der Atlantik-Küste engagiert, als um die Zuschüttung eines, den Atlantik langsam so auseinander treiben könnenden, Dissensgrabens. Nicht auszumalen, was sich dort so alles – vor allem aus den ja nicht öffentlich bekannten „Young-Leaders“ – noch hervortun könnte?! Patrioten werden diese ja wohl alle sein, fragt sich zunehmend aber auch: auf welcher Seite des Grabens?
Printausgabe Frankfurter Neue Presse (FNP) vom 02.04.2007
Helmut Schmidt sieht Gefahr eines neuen Wettrüstens
Von Patricia C. Borna
Frankfurt. Er lehnte jeden Kommentar zur Freilassung Brigitte Mohnhaupts und dem Gnadengesuch Christian Klars ab: „Ich bin befangen“, sagte Altkanzler Helmut Schmidt (SPD) bei einem Gespräch mit FAZ-Herausgeber Werner D’Inka. Während eines Benefiz-Essens der Ing-Diba zu Gunsten der „Deutschen Nationalstiftung“ diskutierte Schmidt im Frankfurter „Palais am Zoo“ nicht nur über die Situation ehemaliger RAF-Terroristen, sondern auch über die Zukunft der EU, die große Koalition und die Außenpolitik der USA.
„Man hat die EU in den vergangenen Jahren erweitert, ohne die Spielregeln zu ändern“, sagte Schmidt und kritisierte damit die Einstimmigkeitsregel, die relevante Entscheidungen in der EU-Kommission über lange Zeit hinweg blockiere. „Man kann nicht im Ernst erwarten, dass es auf diese Weise eine gemeinsame europäische Politik gibt. Die Politiker haben eine Wolke von Illusionen geschaffen.“
Schmidt sprach sich gegen eine EU-Mitgliedschaft der Türkei aus. Das Argument, die Türkei könne zwischen den arabischen Ländern und der EU vermitteln, sei nicht haltbar. „Außerdem bedeutet eine Mitgliedschaft in der EU die Akzeptanz von Freizügigkeit. Wir haben schon jetzt Integrationsprobleme.“ Die USA hätten die Türkei nur deshalb in der Nato akzeptiert, um sich eine Raketenbasis zu schaffen, und machten sich damit „die Feindschaft zwischen Russland und der Türkei zu eigen“, sagte Schmidt. „Die Nato wird so zu einem Instrument amerikanischer Außenpolitik.“
In zwei persönlichen Anekdoten erläuterte Schmidt seine Haltung zu Religion. „Ich habe Distanz gewonnen zur Kirche“, sagte er. Dass ihm ein Priester einst sagte, „alles sei Gott gewollt“, habe ihn an der Ostfront „nur eine Nacht beruhigt“. Durch Gespräche mit dem ägyptischen Staatspräsidenten Sadat habe er in den 70er Jahren „begriffen“, dass es in den Weltreligionen übereinstimmende Werte gebe. Der Pastor, der ihn konfirmiert habe, oder sein Religionslehrer hätten Feindschaften gegenüber Andersgläubigen geschaffen, die völlig „abwegig“ seien. Schmidt sagte, hätte der amerikanische Präsident George W. Bush ähnliche Erfahrungen gemacht wie er, „wären wir besser dran“. Die Väter der deutschen Verfassung seien „klug genug gewesen“, einen Gottesbezug nur in der Eidesformel und in der Präambel einzuführen. „Immanuel Kant hat auch über das Gewissen des Einzelnen nachgedacht, ohne dass er Gott dafür gebraucht hätte.“ Ein Politiker müsse allein mit seinem Gewissen die Folgen und Mittel seines Tuns verantworten.
Schmidt bemängelte die aktuelle Debatte um ein in Europa stationiertes US-Raketenabwehrsystem scharf, denn dadurch bestehe die Gefahr eines neuen Wettrüstens. „Wenn es so weiter geht, haben wir bald zwölf Atommächte“, sagte er. Seit 1970 würden bestehende Verträge immer wieder von den Vereinigten Staaten gebrochen. Bevor man sich auf neue Abrüstungsverträge verständige, sollte man sich darauf einigen, die bestehenden zu erfüllen.
Im Hinblick auf die große Koalition in Berlin sagte Schmidt: „Das Verhältniswahlrecht erzwingt Koalitionen. Eine große Koalition ist aber besser als eine große mit zwei kleinen Verrückten.“