Nette Köder

Nette Köder
Di Lorenzo hat den richtigen Riecher, mit der Parallele zu „Nie wieder Deutschland“. Nie wieder Deutschland, meinte natürlich nie wieder eine deutsche Großmacht; und auch dieser Parole konnte ich nichts abgewinnen, da hier die wahre Macht Deutschlands von der Wiedervereinigung abhängig gemacht wurde. Auch Schmidt bewegt sich hier in Äußerlichkeiten, und auch das scheint mir durchsichtig. Schmidt unterstelle ich, dass ihm nichts vorzumachen ist, bzgl. einer deutschen Großmacht. Deren Entwicklung hat er nicht unwesentlich selber betrieben, mit seiner Außenpolitik, mit seinem Einsatz seinerzeit in Mogadischu, und vielem mehr. Es will so scheinen, dass es ihm hierbei geht, wie dem alten Bismarck, dessen Politik nicht unwesentlich dazu beitrug, dass Deutschland mit dem 1. Weltkrieg die alten Kolonialmächte herausforderte, was Bismarck befürchtete, ja was er verabscheute, und was ihm die Kanzlerschaft kostete. Und während Bismarck aber nicht verstand, dass der alte Kolonialismus längst obsolet war und einem neuen schon zu weichen begann, so mag ich einem Schmidt nicht abnehmen, dass er nicht weiß, dass die Größe einer Politik heute ausschließlich von der Wirtschaft abhängt, von deren Wirtschaftsmacht. Und genau diese soll durch die netten Verlockungen seitens der Konkurrenten Deutschlands in Richtung mehr politischer Verantwortung geködert werden, zu Lasten eben der Exportaggression eines Deutschland. Auch Schmidt trickst, wenn nicht gar ködert hier.

Ein „revolutionäres Subjekt“ oder keines

Ein Subjekt muss diese Macht nicht sein, zumal, wenn das Subjekt, sich der Ökonomie nicht mehr bewusst zu sein scheint. Nehmen wir die Erfahrungen der Krise, gab es da ein Subjekt, das sich dieser Krise gegenüber bewusst verhalten hätte? So kann ein Ackermann sagen, dass er sich keines Fehlers bewusst ist, er würde es wieder so machen. Wo ist hier ein Subjekt? – bestenfalls noch ein „automatisches“! Das „Subjekt“ ist entweder ein politisch-bewusstes oder gar keines. Tritt letzteres ein, scheint das Subjekt in der Krise (bis dahin gebe ich einem Robert Kurz sogar recht). Nur kann die Antwort darauf nicht lauten: wir brauchen gar kein Subjekt, denn das Kapital wäre an seiner objektiven, sprich: inneren Schranke angekommen, ansonsten wäre es ehe nur ein automatisches. Das ist mitnichten so! Die innere Schranke kann nur das revolutionäre Subjekt sein, oder es gibt keine. Das Kapital kann immer so weiter machen, eben weil die Ökonomie die Politik beherrscht. Ein Zustand übrigens, der von Anfang an die Herrschaft des Kapitals begleitete (von wegen „modisch“), nur war das nicht so deutlich, wegen der scharfen Klassenkämpfe, welche den Eindruck vermittelten, als gäbe es hier zwei gleichwertige Subjekte. Die Wahrheit scheint mir eher die: es gibt entweder ein revolutionäres oder gar keines, und ein solches war das Bürgertum auch – während seiner revolutionären Zeit. In diesem Sinne herrscht die Ökonomie, insofern nämlich das politische Subjekt – Bourgeoisie – aufgehört hat zu sein.

Der Chauvinismus macht den Imperialismus möglich
Ist das jetzt eine inhaltliche Auseinandersetzung oder einfach nur moralisches Gequatsche. Gleich ob Somalia Wirtschaftshilfe im Gegenzug erhielt, oder auch nicht, das war ein Akt der Aggression. Es sei denn, es wird hier unterstellt, dass diese Aggression vom somalischen Volk erbeten worden sei. Von einer authentischen Regierung war ja damals schon nicht mehr zu reden. Nur um das klarzustellen: es geht hier nicht um die Stellungnahme zu terroristischen Aktionen, sondern zu imperialistischen. Nicht jede terroristische Aktivität rechtfertigt einen weltweiten Einsatz von Bundesgrenzschutztruppen. Wo wäre da der Unterschied noch zu den USA? Tatsache ist, dass Schmidt damit eben genau jenen Interventionismus eingeführt hat, von dem sich zu distanzieren er nun vorgibt. Um diese Kleinigkeit geht es, nicht um das Phänomen Terrorismus. Und es geht dabei nicht mal um die Frage, von welchem Kaliber jene Grenzschutztruppe war, deren Fortsetzung nun ja auch reichlich Gelegenheit hatte, sich in Afghanistan zu blamieren. Nur um der Deutlichkeit willen: Man stelle sich vor, das wäre in Deutschland passiert, und Somalia hätte hier ähnlich interveniert. Den Aufschrei des Entsetzens höre ich beinahe. Wohl gemerkt: Der Imperialismus und der Chauvinismus sind die zwei Seiten einer Medaille. Der Chauvinismus macht den Imperialismus möglich, der Imperialismus modifiziert den Chauvinismus.

Jeder findet das, was er braucht
„Die Somalis waren an den Hilfen aus Deutschland auch deswegen interessiert, um sich gegen ihren Feind Äthiopien im Ogadenkrieg durchsetzen zu können.“ Besser hätte ich es nicht formulieren können, und genau deshalb war Somalia kein souveräner Staat (nicht weil sie „arme Negerleien“ seien, was sie übrigens nicht sind – Schwarze!). Ich habe nicht behauptet, dass die GSG 9 die „Speerspitze des deutschen Imperialismus ist“, mal abgesehen davon, dass sie eine „Polizeitruppe ist“, aber mit dem KSK (welches ja der GSG 9 ziemlich nachgebildet ist) ist die Polizei und das Militär schon mal stark zusammen gewachsen. Die geheimdienstlichen Aktivitäten richten – auch und gerade in dieser Verbindung -, den gesamten Repressionsapparat in Richtung einer „geheimen Staatspolizei“ ab, also genau einer jenen Truppe, von der eines Schäubles Fantasien so beflügelt sind. Polizei, Geheimdienst und Militär, das ist es, was eine heute operierende Interventionsarmee vereinigt braucht. Eine Armee, die den Unterschied zwischen Krieg und Frieden sowenig schätzt, wie den zwischen Polizei- und Geheimdiensttätigkeiten, und auch nicht davor halt machen wird, die eigenen Bürger zu bespitzeln und (natürlich) vorbeugend (und ohne Rechtsschutz) zu verhaften. Solches hat ein Schmidt nicht gemacht, vielleicht auch nicht gewollt, aber mit Mogadischu erstmalig in Szene gesetzt. Ob München, Mogadischu, oder 9/11, jeder findet die Aktivität, die er braucht, als Rechtfertigung für sein ganz spezielles „Weltbild“.

Subjekte der inneren Sicherheit
Es war Schäuble, damals noch als Innenminister, der auf einer denkwürdigen Tagung – einer wehrpolitischen, organisiert vom Axel-Springer-Verlag (!) -, genau diesen Unterschied aufhob. Er selber meinte, dass es diese Unterschiede – zwischen – Innen und Außen, Krieg und Frieden – nicht mehr gäbe, im „Krieg gegen den Terrorismus“. GSG 9 und KSK sind da, zumindest semantisch schon mal, eine Kampfeinheit. Nicht viel später stieß er mit seinem Versuch, eine geheime Bundespolizei zu schaffen, sowohl bei den Verfassungsschutzorganen der Länder, wie auch bei den Staatschutzabteilungen der LKA‘s, unangenehm auf. Auch der BND, der nun via Berlin, an eine etwas kürzere Leine gelegt worden ist, war darüber nicht amüsiert. Ich befürchte, dass es nur solche Eigeninteressen sind, die diese Pläne, bis jetzt jedenfalls, so noch nicht Wirklichkeit haben werden lassen. Aber die Richtung ist vorgegeben. Wir werden eine militarisierte geheime Bundespolizei bekommen, zusammengelegt sind darin vielleicht: der Zoll, das BKA, der MAD, der BND und irgendein Gremium, dass die Länder dort vertreten wird. Der Bundesgrenzschutz ist ja schon in eine Bundespolizei umgewandelt. Und wenn dieser nun Krieg führt – gegen den Terrorismus, wie es so schön heißt -, dann kennt eben genau dieser, kein innen, kein außen, keinen Frieden, sondern nur noch Krieg. Damit wird der Begriff auch des Bürgers, des (civis) einem anderen weichen: wir bekommen dann vielleicht „Subjekte der inneren Sicherheit“, die der äußeren Sicherheit untergeordnet sein werden.

Souverän sein
„Und hätte man 1919 in Deutschösterreich eine Volksabstimmung durchgeführt, dann hätten sich die Österreicher für den Anschluss an das deutsche Reich entschieden.“ Selten so gestaunt! Da gibt einer seine revanchistischen Gedanken zum Besten und keiner widerspricht! Es geht doch nicht darum, was die Deutschen gewollt haben, oder auch die Österreicher (ich wette, es gibt auch einige Schweizer, die sich als Deutsche fühlen!), sondern was sie aus diesem Wollen so machen. Es scheint den Deutschen nicht gelungen, ein souveränes Volk zu werden, entweder weil sie zu unterwürfig waren und immer noch sind, oder zu größenwahnsinnig. „Souverän“ sein, heißt eben nicht nur politisch unabhängig sein, sondern meint auch großzügig sein, souverän, nicht kleinlich, nicht zu ambitioniert. Wenn aus diesem deutsch-österreichischen Verhältnis nicht ein aggressives Kriegsbündnis geworden wäre – der erste Weltkrieg und auch der zweite lassen grüßen -, wer weiß, ob dann die Völker nicht gnädiger gewesen wären. Schon die Kriegsfolgen des ersten Weltkrieges waren doch eigentlich für diese Völker nicht mehr zu meistern – woher kamen denn die revolutionären Erhebungen? Die Folgen des zweiten sind nur milder erschienen, weil Deutschland – durch die Spaltung -, auch nur gespalten seine Reparationen zu zahlen hatte, zu Lasten des kleineren und erheblich rückständigeren Ostens, zu Lasten eines Teils – des schwächeren – der Gewinner des Krieges. Der Westen durfte wieder reich werden, der Osten musste bluten.

Träge Revanchisten
So so, der Besiegte hat auch eine Geschichte, Sie meinen wohl der Besiegte (die Besiegten) des 2. Weltkrieges, hat eine solche! Aber das sind doch nur Geschichtchen, Anekdoten. Die Geschichte ist nur insofern offen, als dass sie letztlich von den Massen gemacht wird. Sollte da noch was möglich sein, was wir noch nicht gehabt hätten, dann lasse ich mich ich diesbezüglich gerne überraschen. Übrigens: auch wenn die Massen in den imperialistischen Kriegen massenhaft dahin geschlachtet werden, heißt das mitnichten, dass sie da Geschichte machen. Wäre da aber ein solcher Krieg Anlass für einen Ausstieg, für eine Revolution zum Beispiel, dann wäre das die Geschichte der Massen, die der bisherigen Verlierer aller bisherigen Geschichte. Der 2. Weltkrieg allerdings hat sein Ende gefunden und mit ihm die Definition der Verlierer, wie der Gewinner. Dass der eine der Verlierer, Deutschland, heute so dasteht, als wäre er eigentlich der Gewinner, hat damit zu tun, dass einer der Gewinner, die USA nämlich, diesen Verlierer mit ihren Profiten fütterte. Natürlich, um ihn dann fetter zu schlachten. Auch wenn das Ende dieser Geschichte noch offen zu sein scheint, sehe ich da aber keine erfolgreiche revanchistische Lösung. Und dies vor allem, da die Revanchisten keine Massenbewegung darstellen. Sie sind doch nur eben jene Profiteure, die die Gewinner fett haben werden lassen, vielleicht auch um sie träge zu machen, gefügiger.


Den Massen vertrauen versus ein Volk wie „Katzen“

Oh ja, Massen werden manipuliert, nur eines scheint nicht zu klappen, sie zu ersetzen. Der Leviathan schreckt sie so wenig wie ein pseudosozialistischer Obrigkeitsstaat, also bleibt ihnen nur übrig die Geschichte zu machen – letztlich, und damit die Geschichte oft wendend. Gegen die Massen lässt sich auf Dauer keine Geschichte machen. Ein Beispiel dafür, wenn auch aus linker Perspektive ein sicherlich nicht besonders elegantes (für einen Linken ein paradoxes Beispiel), ist die Entwicklung in der ehemaligen DDR. Auch wenn die Massen dort wie hier manipuliert wurden, unterdrückt worden – dort -, geködert – hier, durch eines Erhards Wirtschaftswunderland -, zeigte sich doch gerade hierbei die Geschichtsoffenheit. Gegen die Massen muss man sich nicht stemmen, man muss sie nur verstehen lernen, darf ihnen aber nicht blind folgen. Letztlich muss man ihnen vertrauen. Wer eine andere Politik machen will, der landet dort, wo sich ein Herr Schmidt befindet. Er misstraut ihnen, er faselt von „Verführbarkeit“, nur um die Verführer zu schützen. Hierbei ähneln sich alle Machthaber: auch ein Stalin soll noch im Todeskampf bzgl. der Russen orakelt haben, dass sie doch ohne ihn nicht leben könnten, seien sie doch wie „Katzen“.

Wer versteckt sich hinter den Massen?
Zum Thema „Massen“ empfehle ich immer wieder Ortegas „Der Aufstand der Massen“. Ganz sicherlich ist das keine marxistische Lektüre, aber desto trotz sehr brauchbar, auch für Marxisten – für solche, die keine Scheuklappen tragen.
Übrigens, das mit der „Reichskristallnacht“, schon dieses Wort ist eine Verhöhnung der Opfer, denn es müsste heißen: Reichspogromnacht, ist ein beliebtes Thema um das deutsche Volk, ganz generell also „die Massen“, als Ganzes zu Tätern zu machen, damit die wahren Täter ungenannt bleiben können. Hier zeigt sich auch eine allgemeine Regel: jede Übertreibung verkehrt den Gegenstand der Betrachtung in sein Gegenteil – hier: in ein Objekt der Demagogie.
Ich fürchte die Massen nicht, ich verhöhne sie aber auch nicht. Und ich folge ihnen nicht bedingungslos, aber: ich befolge die Gesetze der „Massenbewegung“, der revolutionären – aus meiner Perspektive. All dies auch aus einem einfachen Grund: Wir alle sind die Masse! Wer von uns möchte da die Ausnahme spielen? Doch wohl nur der, der sie zu manipulieren sucht!
Und der ist es, der sich in Wahrheit hinter den Massen versteckt.
Übrigens: das bürgerliche Individuum ist nicht das Gegenstück zur Masse, es ist deren Abstraktion. Denn: Masse ist ein gesellschaftlicher, ein konkreter Begriff, das Individuum bestenfalls ein ideologischer, auf jeden Fall ein abstrakter, denn er abstrahiert vom gesellschaftlichen Wesen.

Die Masse als unfertige Gesellschaft
Es geht hier um das Phänomen „Masse“ (im Individuum, wie in der Gesellschaft). Wenn Ortega den „Spezialisten“ als typischen Vertreter der Masse bezeichnet, dann deshalb, da Masse bei ihm so viel wie „Halbwissen“ bedeutet. Damit wird klar, dass das Thema auch was mit Bildung zu tun hat. Spezialistenwissen ist die Konsequenz aus der Arbeitsteilung in der Gesellschaft und ein Ausdruck von Klassenteilung. Der Massenmensch ist also insofern eine unvermeidliche, denn halbfertige Gesellschaft. Würde er hierbei stehen bleiben, wäre er nicht besser als Spengler und Co. – ein Modernisierungskritiker, bzw. ein Kritiker der Moderne. Nur ist das bei ihm eben nur die eine Seite, die andere lautet: an der Masse, an der Massengesellschaft, am Massenmenschen, kommen wir nicht vorbei. Durch dieses Nadelöhr muss sie durch – die Gesellschaft. Im Positiven bedeutet Masse dann auch Verallgemeinerung, Standardisierung, Angleichung, Zerstörung von Privilegien – und hier trifft er auf den Marxismus, ohne es zu wollen – vermutlich. Die Masse hat damit positive wie negative Seiten, mit beiden muss man rechnen. Wer die jeweils nur eine Seite verabsolutiert ist entweder ein Konservativer oder ein utopischer Sozialist – Reaktionär oder Romantiker. Und solange es die Masse gibt, gibt es auch Führer, letztere tragen Hauptverantwortung, als Individuum wie als gesellschaftliche Kraft. Wichtig ist – für einen politischen Menschen -, sich sowohl als Masse, als auch als Führer zu begreifen!

zeit.de/2010/17/Gespraech-Helmut-Schmidt

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2 Trackbacks

  • Von Die Magie von Herrschaft am 21. Juni 2010 um 19:33 Uhr veröffentlicht

    […] (eine Klasse sind sie definitiv nicht und nach Ortega sind sie gar die Wurzel allen Übels – „Der Aufstand der Massen“) sind hingegen ein wichtiges Symptom für wie Politik tickt. So sind die von der Politik oft […]

  • Von Alle Politik ist letztlich sozialdemokratisch – im Zeitalter der Massen am 2. Juli 2010 um 19:56 Uhr veröffentlicht

    […] es nicht: alle (bürgerliche) Politik ist letztlich sozialdemokratisch – im Zeitalter der Massen (Ortega), oder gar keine Politik mehr, nur eben nicht durch Sozialdemokraten, das mag die böseste Ironie […]

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