Pfahl im Fleische der sozialistischen Bewegung und Theorie – der Antisemitismus
Eine erste Erwiderung auf Moshe Zuckermanns „Der allgegenwärtige Antisemit“ (Vorankündigung im Westendverlag). Den folgenden Beitrag habe ich zunächst via Facebook gesendet.
Naja, so einfach geht es halt doch nicht. Der Antisemitismus existiert nicht nur als Keule, schrieb ich vor Jahren, auch als Antwort auf einen mir bis dato noch sympathischen Blogger. Für mich waren das das Ende der Sympathie mit diesem Blogger und der Einstieg in die Kritik und auch Selbstkritik bzgl. des linken Antisemitismus. Kann ein Jude Antisemit sein? Nun, am Beispiel von Karl Marx höchstpersönlich, der wohl nicht Jude war, aber von einer vom Judentum ins Katholische konvertiert habenden Familie abstammte, habe ich das beantwortet, denke ich. Vielleicht kann er nicht praktisch Antisemit sein, aber sicher theoretisch. Und während Marxens diesbezüglicher theoretischer Antisemitismus in seiner „Zur Judenfrage“ sicherlich auch der von Hegel noch beeinflussten dialektischen Phrase mit zu verdanken war, so in seinen Spekulationen über Juden und Menschsein, war er aber auch und besonders Ergebnis eines antijüdischen Ressentiments ganz besonders in den intellektuellen Kreisen. Jeder, der damals was auf sich hielt, war da wohl Antisemit. Bis hinein in die revolutionären Zirkel auch um Marx und Engels. Unerträglich, auch aus heutiger Sicht, ihre Bemerkungen zu dem „Judenbengel Lassalle“, um nur ein Beispiel genannt zu haben, in ihren Briefwechseln.
Für mich sind das aber mehr als Fragen um Habitus, bzw. Stil. Es geht um die Theorie des Marxismus selber, um dessen Weiterentwicklung. Es geht um das Verhältnis zwischen marxistischer Theorie als der Theorie der Befreiung der Arbeit und dem Judentum – und dessen Theorien zu dessen Befreiung. Und aktuell geht es um die Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Zionismus. Es geht um die Geschichte dieser Beziehung, um deren Veränderungen aufgrund der Geschichte, auch und gerade im Kontext des Holocaust und der Gründung des Staates Israel. Und aus dieser Perspektive ist der Antisemitismus wohl auch keine Keule, dennoch nicht mehr als eine Anekdote. Eine Anekdote auf eine nichtverstandene Geschichte. Eine wechselvolle Geschichte. Es ist in seiner Dialektik für die Befreiung von Ausbeutung und Unterdrückung ähnlich existenziell wie die Beziehung von „Frau und Sozialismus“, um mal auf den Titel des berühmten Werkes des großen Sozialdemokraten August Bebel zurückzugreifen.
Die Parameter, die sich da ständig verändern, sind nicht rein objektiver Natur, sondern sehr subjektiv konnotiert. Jeder taktischer Fehler der revolutionären Partei kann Veränderungen in dieser Beziehung herbeiführen, die das Theoriegebäude selber betreffen. Denn auch die Theorie unterliegt den Einflüssen der Taktik.
Das Verhältnis von Klasse und Geschlecht ähnelt daher auch dem Verhältnis von Klasse und Judentum. Bei letzterem hat der Holocaust und besonders die Gründung des Staates Israel Veränderungen herbeigeführt, die dieses Verhältnis im hohen Maße als fluide ausweisen. „Was ist Zionismus“? Diese Frage kann beinahe täglich neu beantwortet werden. So haben besonders auch die Fehler seitens der Sozialisten den Zionismus maßgeblich mitverändert. Insbesondere der Versuch den „Juden“ selbst nach dem Holocaust in die sozialistische Dogmatik hineinzuzwingen, hatte schon was quasi-religiöses. Und prompt näherte sich der zunächst laizistische Zionismus dem religiösen Zionismus. So in der Frage um die „jüdische Nation“. Sie spaltete nicht nur die Juden, sondern immer wieder auch die Sozialisten, und trennte die Sozialisten von den Juden. Und das machte aus dem Zionismus ein konterrevolutionäres Werkzeug, ein Werkzeug der Imperialisten, und den „Antisemitismus“ zu deren Keule.
Diese Fehler sind mitverantwortlich für die Wagenburgmentalität des Staates Israel, auch und gerade im zionistischen Lager. Aber mehr noch sind sie Teil des Stagnationsdramas in der sozialistischen Theorieentwicklung selber. Der aktuelle Durchmarsch reaktionärer Bewegungen in nahezu allen Teilen dieser Welt, und die damit verbundene Entwicklung hin zu einem neuen Weltkrieg, macht deutlich, dass, wenn wir weiterhin dahingehend versagen, mehr unter die Räder kommt als die sozialistische Theorie. Die zugebenermaßen aktuelle Janusköpfigkeit des „Antisemitismus“, mal authentischer Rassismus, mal antirevolutionäre „Keule“, steht nicht zufällig im Zentrum dieser Problematik. Wenn wir in dieser Frage die marxistische Dialektik nicht so weit vorantreiben, dass sie auch diesen Widerspruch im marxistischen Sinne „auflöst“, könnte das der „Barbarei“ den endgültigen Sieg bescheren. Aus diesem Grund habe ich vor einiger Zeit einen Beitrag ins Netz (auch via Facebook) gestellt, der den Versuch einer kritischen und selbstkritischen Aufarbeitung des komplizierten theoretischen wie historischen Verhältnisses zwischen Sozialismus und Judentum unternimmt. Die Tatsache, dass ich aus den sozialistischen Kreisen darauf keine Reaktion erhielt, ist für mich Ausdruck der Manifestation der Bankrotterklärung aller sozialistischer Zirkel und Bewegungen. Und so bleibt der Antisemitismus dort mal Keule, mal Rassismus, meist beides, gewissermaßen negativ dialektisch verschlungen, denn eigentlich nur Anekdote, Aushängeschild ihres völligen Versagens: Linker Antisemitismus und das imperialistische Kalkül.
Wenn der Jude Moshe Zuckermann nun diese „Keule“ aufgreift, um den Antisemitismus zu beschwichtigen, mag ihn das als Jude ehren, doch es schadet dem sozialistischen Intellektuellen, der sozialistischen Sache, wie auch der Sache der Völker Israels und Palästinas, ja der demokratischen und sozialistischen Sache der Völker der Welt. Der Sache des Weltfriedens. Was auch immer Antisemitismus ist, er bleibt so lange Pfahl im Fleische der sozialistischen Sache, wie selbstredend das Damoklesschwert über dem Judentum, als die Beziehung zwischen Sozialismus und Judentum, sozialistischer wie zionistischer Theorie, nicht auf höchstem theoretischen Niveau und historisch-konkret aufgearbeitet sind.