Idiotisch Glücklich (in den Armen der Zeit)

Idiotisch Glücklich (in den Armen der Zeit)
„Hat er uns zukünftige Generationen um etwas wie das Internet gebeten?“ Diese Frage gefällt mir u.a. auch deswegen so gut, weil sie erkennbar (auch ohne Bild) von einer noch sehr jungen Person stammt (einer, die da irgendwo um die Jahrtausendwende eine Schule verlassen hat). Diese Frage trifft mich beinahe körperlich, da ich sie ganz persönlich nehme. Ich gehöre ja zu der Generation (50 plus), die von sich behauptet, Vertreter jener Spezies zu sein, die man auch als eine gewissermaßen noch-semantische bezeichnen könnte. Und die sich dabei entdeckt, wie sie sich von einer zunehmend autistischen abzugrenzen sucht. Klassische Literatur ist für diese Generation vermutlich die einzig wirkliche – Literatur. Ich zumindest tue mir schwer mit sog. moderner, bzw. gar postmoderner, Literatur.

Und wie gehen wir mit dieser Frage um? Arrogant bis ignorant, irgendwie erwischt, ob der eigenen Fantasielosigkeit. Etwa so: „Es bringt wenig Erkenntnis, wenn man nur die Handlung eines vorliegenden Romans schildert…“ (Sorry, Jeeves, nicht persönlich nehmen, aber diese Steilvorlage lasse ich mir nicht nehmen).

Darum geht es doch gar! Es geht um die Bewertung dessen, was uns die jeweilige Epoche liefert. Um deren Bedeutung. Und dies möglichst aus der Perspektive eben jener Generation, die jede ältere Perspektive normalerweise gar nicht mehr zu verstehen braucht/sucht. Genau damit aber wird nicht nur ihre aktuelle Zeit bemessen, sondern auch die, die da gerade so rasant abläuft. Also „unsere“ Zeit! Man gibt ihre eine neue, gewissermaßen sehr schmeichelhafte Bedeutung – posthum, könnte man beinahe sagen. Allerdings nicht vorwiegend deswegen, weil man deren Luxusgütern (dies vielleicht auch) – wie einer Rolex zum Beispiel, welche da so formvollendet die Zeit maß – soviel Wert noch beimisst, nein, weil unsere Erfindungen noch dem Geist einer Zeit anhingen, welche da irgendwie sich den Luxus des Geistes überhaupt noch zu leisten wünschte.

Und ein Dostojewski stand für diesen Luxus in gleich mehreren Facetten. Er war diesbezüglich originäres Produkt wie Produzent eines solchen in einem. Einem, dem man schon zutrauen konnte/könnte, so was wie eine Ahnung vom dem gehabt zu haben, was uns heute so alles widerfährt. Ob er die Freiheiten des Internets dabei geahnt hätte, ist doch dabei völlig bedeutungslos, so bedeutungslos wie womöglich auch seine diesbezüglich möglichen finsteren Ahnungen. Was zählt, ist die hier geäußerte Hoffnung, ja Überzeugung, dass der Wert des Neuen, und damit der Wert jeder aktuellen Generation vor allem daran gemessen sein sollte/wollte, inwieweit dieses Neue wahrlich menschlichen Fortschritt darstellt. Nicht eines originär technischen. Dazu ereifern wir uns möglicherweise gar noch zu früh. Nein, inwieweit sozialer Fortschritt darin erkennbar wird. Das ist aber genau jener Fortschritt, der der Technik als solche und für sich genommen nicht anhängt, das ist es, was die Menschen da hineindeuten müssen. Was sie dazu erfinden müssen. Was also reine Geistesarbeit – wahrlich Wertarbeit – darstellen müsste.

Und in der Tat halte ich es für einen Fortschritt, sowas wie einen Roman wie „Der Idiot“ heute nicht mehr schreiben zu müssen. Es sei denn als Satire à la Kishon. So würde ich den Dostojewski sowieso lesen – als gewissermaßen vorweggenommener Kishon. Als kluge Verbeugung vor allem auch vor der Dummheit jeder Zeit. Vor deren nicht wahrgenommenen Möglichkeiten. Oder auch als Loriot dieser Zeiten. Als Verbeugung vor dem, was Sprache noch anrichtet (nicht nur ausrichtet), wenn alles andere versagt.

Die Frage also noch einmal gestellt: Wie äußert sich die aufgestaute Weisheit in neuem Licht?
Nun ja, ich habe es schon angedeutet. Nehmen wir für „Idiot“ den Autisten. Und ist nicht dieser der typische Vertreter unserer Zeit? Und befinden wir uns nicht geradezu idiotisch glücklich in den Armen dieser Zeit?

faz.net/blogs/skurril/archive/2011/11/21/die-gemeinschaft-der-idioten

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Ein Trackback

  • Von Lasst sie ihren eigenen Weg gehen! am 20. Januar 2012 um 11:33 Uhr veröffentlicht

    […] sicher, ob der Hype, den die FAZ so um Frau Weisband macht, dieser nützt. Ich selber war in meinem ersten Posting an ihren Salon Skurril noch wesentlich unbefangener, da ich nicht wusste, wer sie ist. Ich habe sie […]

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