Den Heuchelkonsens nicht gefährden

Den Heuchelkonsens nicht gefährden
Eigentlich hatte ich nicht vor, mich dazu zu äußern, da ich indirekt zu diesem Bereich beruflich tätig bin und mein Arbeitgeber – ein öffentlicher – mich laut Dienstvertrag zur Loyalität verpflichtet. (Und ich kann mir nie sicher sein, inwieweit auch mein Arbeitgeber auf eine ganz bestimmte Loyalität wirklich angewiesen ist.) Doch würde ich aus meinem Herzen eine Mördergrube machen, wie es so schön makaber heißt, wenn ich hierzu schwiege.

Die Entwicklung in den Altersheimen bekommt so langsam eine Dimension, wie wir sie in den 60ern in den Kinder- und Jugendheimen beobachten konnten, und welche Mitauslöser waren, für die 68er Revolte der Studenten. Über das Thema sexueller Missbrauch will ich jetzt nicht reden, denn da fehlen mir die Belege zu, doch bei allem anderen scheint es keine Tabus zu geben.

Am schlimmsten ist vielleicht nicht einmal, dass den alten Leuten das Essen vorenthalten wird, für das sie bezahlen, und sich Heimleitungen wie Pflegepersonal daran vergreifen, damit Geschäfte machen – das ist eigentlich kapitalistischer Standard -, sondern die Tatsache der Heuchelei. Es ist wie, als wenn man einen Sterbewilligen ins Hospiz (das Beispiel ist frei gesetzt, jede Ähnlichkeit zum Wirklichen reiner Zufall) gibt und diesem dort verspricht, ihm beim Sterben zu begleiten, dennoch vorerst alles daran setzt, um ihn am Leben zu halten (denn nicht das dort gepredigte christliche Verständnis bzgl. des Sterbens, scheint das eigentliche Problem, denn auf dem Weg zum Tod liegt da noch ein dickerer Brocken, die Option auf eine Erbschaft zugunsten des Hospiz zum Beispiel.).

Hier wie dort wird Sympathie geheuchelt. Gibt es doch dort wie hier nur einen Grund das Sterben hinaus zu zögern (denn auch im Pflegeheim wird nur auf Raten gestorben!) – das wohlfeile Geld. Die erhoffte Erbschaft dort und die erschwindelten Pflegeleistungen hier. Und das wird dann als Empathie verkauft.

Der Skandal bei mir „um die Ecke“ (mehr darf ich dazu nicht sagen, denn der Strafprozess ist leider ausgeblieben) ist nur einer von vielen. Denn darin ein typischer. Nur dass die meisten Skandale nicht wirklich skandalisiert werden. Da foltert eine Pflegekraft einen alten Menschen, indem sie ihm die Nägel bis ins Fleisch kürzt (war Gegenstand einer Anklage, die dann schließlich die ganze Heimleitung in Verruf brachte, die vom dort tätigen Pflegedienst als solche vertreten wurde). Die Heimleitung hatte (das Heim ist mittlerweile – gigantische Schulden, dennoch millionenschwere ehemalige Heimleiter, hinterlassend – verkauft).

Dennoch wie gesagt, zum Skandal wird so was eher selten. Es sei denn Mitarbeiter gehen vors Arbeitsgericht, weil man sie zu Mittätern machen wollte, und sie sich gegen die Entlassung wehren müssen. Wie das hier der Fall war. Doch auf die Strafprozesse wartet man nun vergeblich. Die Mitarbeiter hatten Erfolg vor Gericht. Doch niemand will den öffentlichen Heuchelkonsens gefährden.

faz.net/blogs/stuetzen/archive/2011/08/21/die-beste-loesung-des-unloesbaren

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