Wo die Söldlinge keine mehr sind…

Wo die Söldlinge keine mehr sind…
Im alten Rom war der Hauptwiderspruch nicht der zwischen Bourgeoisie und Proletariat, und auch nicht der zwischen Adel und (zumeist bäuerlichen) Volk, sondern der zwischen den Sklavenhaltern und Sklaven. Dennoch waren diese Sklaven nicht fähig, aus sich heraus eine neue Gesellschaft zu kreieren. Gerade die marxistische „Gesellschaftsweisheit“ weiß zu erfassen, dass die revolutionäre Klasse nicht per se die am meisten unterdrückte ist. Dass z.B. die Sklaven im alten Rom, trotz eines Heroen wie Spartakus, zu keiner neuen Gesellschaft fähig waren, kann niemand besser ergründen, als der, der das Verhältnis von Revolution und Konterrevolution aus der Beziehung von (revolutionären) Produktivkräften und überholten Eigentumsformen ableitet.

So konnte es übrigens auch kommen, dass die folgende Gesellschaft, die feudale, sich eben nicht, quasi linear, aus den eben genannten (inneren) Widersprüchen, also den Widersprüchen im Verhältnis zur ökonomischen Basis (im Innern) heraus entwickelte, sondern gewissermaßen aus einem Teil dieses inneren Widerspruchs in dessen „Außenverhältnis“. (Das vielgerühmte „römische Recht“ spielte dabei keine unwichtige Rolle. Es war seiner Zeit weit voraus und wirkte in der römischen Antike, wie später auch in der feudalen, als revolutionäres Werkzeug – als „revolutionäre Theorie“). Dennoch kam es erst viel später, nämlich als politisch-juristischer Rammbock einer ganz anderen revolutionären Bewegung, zu seinem vollen Recht. Ich verweise hier auf den Kampf des englischen Adels um die „Magna Charta“ und der damit beginnenden bürgerlichen Revolution in der Hochphase des englischen Mittelalters, der ersten bürgerlichen Revolution ganz generell.

Dass im Feudalismus dann der Widerspruch zwischen Adel und Volk zum Hauptwiderspruch wurde, ergab sich aus der Entwicklung unter den römischen Militärverwaltungen (und zwar unter dem Druck einer gewissen finanziellen wie produktionsmäßigen Selbstverwaltung), und zwar dies im Besonderen auch in deren Verhältnis zu den jeweiligen Kriegsgegnern auf germanischen Gebieten. Hier trafen sich, als eigentlich unmöglicher „Widerspruch“, der römische Feldherr und der germanische Kriegerfürst. Kriegerfürsten, die zunächst nichts anderes waren, als auf Zeit bestimmte Führer – Heerführer – im Kampf gegen die Römer. Hier: Noch-Repräsentanten einer vorpatriarchalischen Nichtgesellschaft. Epigonen aus einer Zeit, die fast schon nicht mehr wirklich war – freie Heerführer freier Geführter. Dort: Schon nicht mehr Repräsentanten der ersten patriarchalischen Gesellschaft. Herren über Sklaven wie Soldaten.

Und während das „römische Recht“ – oder besser gesagt: die römische Rechtspraxis – dort die Reste der germanischen Gentilverfassung entsorgte (Engels: „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates“, Bornemann: Das Patriarchat), zersetzte ihrerseits eben dieselbige Gentilverfassung, also jene eigentlich nur noch Zombieversion hiervon, die römische Sklavenhaltergesellschaft.

Eine Begegnung gewissermaßen der „dritten Art“. Möglich wurde das durch zweierlei. Erstens bewegten sich diese beiden Gesellschaften auf völlig verschiedenen Zeitschienen, berührten sich somit nicht wirklich. Für die Germanen müssen die Römer so etwas gewesen sein wie ein nicht enden wollender Albtraum, der dennoch Realität sein musste. Ihr magisches Denken machte es ihnen eigentlich unmöglich dies als Realität zu begreifen. Doch ihre Kriegstoten zwangen sie dazu. Und für die Römer waren die Barbaren ein fast nicht beschreibbares Phänomen. Unter aller Beschreibbarkeit. Tacitus wird es nicht leicht gehabt haben. – In semantischer Hinsicht.

Doch überbrückt werden konnte und musste diese Begegnung. Es waren die unfreiwilligen Dienste der römischen Soldaten, die das zu leisten vermochten. Gezwungen durch die Notwendigkeit der Selbstversorgung – ein in sich schon Beleg für ein inneres Auflöst-sein der römischen Sklavenhaltergesellschaft – führte der römische Soldat die feudale Produktionsweise gewissermaßen „im Tornister“ mit. Eine Produktionsweise, die dann, auf den Trümmern einer germanischen Gentilgesellschaft, dennoch aufgeladen mit deren Vorstellung von Freiheit, so produktiv werden sollte, dass sie dank der Überschüsse hierdurch, die neue feudale Herrenschicht zu alimentieren verstand. Eine Herrenschicht, die sich nur deswegen als unvermeidbar erwies, weil sie sich im Krieg gegen die Römer unverzichtbar machte.
Eines gemeuchelten Hermann/Arminius zum Trotze!

So gebar der Wille zur Freiheit der Einen und das erzwungene Produktivgeschick der Anderen eine Gesellschaft, die selber die Freiheit (noch) nicht kannte, dennoch ahnte, dass Sklaven das Gegenteil hiervon sein müssen. Auch war daher diese neue Gesellschaft bei weitem noch nicht eine wirklich produktive. Doch schuf diese wiederum eine Vorstellung davon, was revolutionäre Produktivkräfte überhaupt sind.

Ich denke, dass ich damit eine durchaus diskussionswürdige Analyse vorlege. Und so fühle ich mich als Vertreter der Gattung – links/marxistisch – dort zu Unrecht abgewatscht, wo pauschal über „linke Gesellschaftsweisheiten“ orakelt wird.

Ihre Kritik an Sloterdijk hingegen, teile ich vermutlich, wenn ich auch nicht nachvollziehen kann, dass sie diese im Kontext eben Ihrer Denunziation von „linken Gesellschaftsweisheiten“ vorbringen. Denn aus linker Sicht stellt sich ein Sloterdijk in etwa: so dar, siehe auch: Die Sloterdijk-Debatte aus marxistischer Sicht.

Ich fasse zusammen: Linke Gesellschaftsweisheit ist vor allem auch, dass ein Proletariat, das sich nicht selber seiner Sklavensituation vergegenwärtigt und desweiteren sich nicht über eine Sklavenmentalität zu erheben vermag, per definitionem kein revolutionäres Subjekt sein kann. Und wann wäre diese Sicht nicht aktueller denn heute?!

Wo sich ein solches Proletariat erhaben dünkt über andere Sklaven, oder wo Sklaven nur Herren sein wollen, kann es passieren, dass ein Reich voll der Sklaven über 500 Jahre über andere Sklaven regiert. Von innen heraus, quasi unangefochten!

Erst die Einfälle von „Barbaren“, also Nichtsklaven, bringt solches dann zu Fall. Marxistische Dialektik weiß längst, und da möchte ich jetzt mit Zizek reden, dass Freiheit mehr ist als „Einsicht in die Notwendigkeit“, wenn auch Marx das so noch formuliert haben wollte. In noch nicht klarer Abgrenzung zu Hegel vermutlich. Wo der Begriff des Überschusses, bzw. der „Lücke“/Zizek noch nicht geschaffen ist, ist noch nicht erkennbar, dass der Wille zur Freiheit jeder Einsicht voraus gehen muss. Ansonsten bleiben Freiheit und Notwendigkeit unüberbrückbare Gegensätze. Es mag nur ein kleiner Schritt sein zu einer solchen Einsicht, dennoch, wenn der Wille dazu fehlt, wird er nie vonstatten gehen.

Nein, es gelang den Römern sicherlich, jenen Willen nicht nur mit Gewalt zu brechen, denn verstanden die römischen Herren, mehr als alle zuvor, den unterdrückten Massen diesen abzukaufen: Brot und Spiele wie finanzielle Beteiligung an den Kriegsgewinnen.
Nur, und das sei allen heute auf ähnliches Spekulierte ins Stammbuch geschrieben, wenn die Kriegskasse leer ist, meutern solche „Söldlinge“. Und das könnte dann der Anfang zu einer Revolution sein. Vor allem, wenn die Söldlinge keine mehr sind.

Diesen Willen und eine solche Einsicht zu vermitteln, dafür stehen revolutionäre Philosophen wie revolutionäre Politiker. Wenn auch, wie sich nicht selten zeigt, auch Politiker und Philosophen in-sich für einen unüberbrückbaren Gegensatz zu stehen scheinen.
Doch wo Hegel (sehr wahrscheinlich) recht hat, da wird vielleicht aus zweimal „unmöglich“ einmal „möglich“.
Denn auch das ist Dialektik. Das Unüberbrückbare findet doch seinen Weg. Wenn auch fast immer anders als gewünscht.

Sehr geehrter Herr Paulus,
ich bin nun gespannt auf die Quelle bzgl. der „ Vorsokratiker“. Ich bin überzeugt, das wäre dann mal was echt Neues.
Mit freundlichen Grüßen
Herold Binsack

faz.net/blogs/antike/archive/2011/07/08/verbrechen-im-alten-rom-artefakte-und-klischees

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