Das unvermeidliche Scheitern von Vernunft

Das unvermeidliche Scheitern von Vernunft
Irgendwie erinnert mich das an die verzweifelt gute Dialektik eines Bert Brecht, damals 53, am 17. Juni, im letzten Jahrtausend. Auch da wurde eine Wende geahnt, eine, die, wie es sich zeigte, wohl unvermeidlich war. Bert Brecht glaubte noch an seinen Sozialismus, einen für den es sich lohnte zu streiten. Er kämpfte darum, dass diese Parteibürokratie die Chance erkenne, die Schläge der Arbeiterklasse, in ihr – versteinertes – Gesicht, richtig zu begreifen wisse. Nicht Führungsschwäche zeigen, doch auch keine Bürokratenseele offenbaren, sondern tapfer der Klasse begegnen, deren Führung sie doch sein wolle – so sein Appell. Die große Gelegenheit in der Ungelegenheit, nicht vertun! – Auf beiden Seiten! Nämlich, dass die durch Faschismus und Kriegsniederlage doppelt demoralisierte Klasse aufs Neue Klassenbewusstsein erwerbe, darin auch ihre Chance erkenne, sich nicht vor die falschen Karren spannen ließe, denn die Führung des Staates, ihres Staates, dem der Arbeiter und Bauern, erfordere ihre Initiative. Und nun kommen Sie daher und predigen beinahe das Gleiche, nur der anderen Klasse, dem Kapital. Sie glauben sicherlich an die Vernunft. Doch an welche, an die der Klasse, oder an die des Individuums? – des bürgerlichen! Brecht glaubte an die der Klasse, der proletarischen.

Die demokratischste Art eine Verfassung einzufordern
@Kober: „Wer wird noch in einem Land investieren, in dem legitime Projekte durch Protest einfach zu Fall gebracht werden können?“ Ach ja, sollen die Mächtigen den Protest nicht mehr fürchten, den des Volkes? Sollen Sie machen dürfen, was sie wollen, was das Kapital will, ohne dass des Volkes Einspruch noch Wert hätte? Planungssicherheit, nennt man das, was eines Kapitals Freiheit meint, uneingeschränkte. Wie bemisst sich Demokratie? Mag sein, dass für das Kapital das höchste Maß es selber ist. Aber selbst 10 Milliarden können kein annäherndes Äquivalent für sein, für das, woran das Volk sie misst. Gleich, um was oder wie viel hier gestritten wird, wer so das Volk provoziert, es nötigt den Protest zu radikalisieren, zielt auf eine höhere Bedeutung. Und diese könnte in der gefürchteten Erkenntnis liegen, dass auch dem Kapital Grenzen gesetzt sein können. Und dies in Deutschland, in Stuttgart, im sog. Speckgürtel! In der Wiege des deutschen bürgerlichen Kapitals. Ort und Grund könnten nicht geeigneter sein. Es geht um die Verkehrswege des Kapitals, dessen unbegrenzten Mobilität. Das dürfte auch eine Lehre sein, nach Lissabon, nach dahin, wo man zuletzt glaubte, Europa gehöre den Bürokraten. Dies ist vielleicht die demokratischste Art eine Verfassung einzufordern.

faz.net/Das ruhelose Stuttgart:Fliegt hier bald alles in die Luft?, vom Verleger Klett, 15.10.2010

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2 Trackbacks

  • Von Die Dinge zu sagen, ohne was gesagt zu haben am 17. Januar 2011 um 14:49 Uhr veröffentlicht

    […] zu lesen, aber Sie führen vor, warum der Klassenkampf von unten so ein schlecht geführter ist, ja zwangsläufig sein […]

  • Von Herrensemantik am 26. März 2011 um 18:23 Uhr veröffentlicht

    […] Denn ohne Demokratie, und das hat schon Marx dem Proletariat ins Stammbuch geschrieben, ohne die breiteste Demokratie für die Massen, bleibt der Sozialismus ein […]

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