Die Massen werden die Klassen unter sich begraben

Die Massen werden die Klassen unter sich begraben
Es gibt einen ganz einfachen Grund, warum wir Kinder haben sollen, und zwar nicht nur die der anderen. Nicht etwa wegen der Erhaltung der Art, denn sollte die einmal gefährdet sein, bin ich mir sicher, dass der herrschenden Wissenschaft schon ein Rezept zu einfallen wird, nein wegen dem, was wir so tun. Warum tun wir es? Für wen wir es tun?

Ich hätte es nicht nötig gehabt, noch mal ein Kind auf die Welt zu setzen, in zweiter Ehe, wo das Kind aus erster Ehe schon erwachsen war. Und, es mag sein, dass ich es hauptsächlich deswegen getan habe, weil man einer jungen Frau – und meine Frau ist so einiges jünger (mehr verrate ich nicht) -, den Kinderwunsch nicht verweigern kann, da kann man die Ehe gleich wieder annullieren. Nein, nachdem das Kind auf der Welt ist, sehe ich die nochmals erweiterte Perspektive. Die Gründe und die Sorgen bzgl. meines ersten Kindes sind schon nicht mehr als aktuell zu bezeichnen. Vieles hat sich seitdem geändert, wo es Sinn macht, mitzuwirken. Wo es darauf ankommt, dem eigenen Kind, im Verbunde mit allen Kindern, zu helfen, einen besseren Weg zu finden, als den, den man selber bisher beschritt. Das kann man wohl auch als Sozialpädagoge oder Erzieher der Kinder anderer, aber das ist nicht dasselbe.

Der Kampf um das Wohl, des gegenwärtigen, wie mehr noch des zukünftigen, des eigenen Kindes nämlich, richtig begangen und richtig verstanden – nicht als ein Klassenprivileg, wie bzgl. des Dons Kandidaten -, ist immer ein starkes Motiv die Gesellschaft verändern zu wollen. Mit neuen Ansätzen und neuen Mitteln.

Gegenstand der Hauptdebatte ist gegenwärtig die Bildungspolitik. Eine, die nicht nur Klassenschranken zu überwinden hätte, sondern auch nationale, wie auch ganz persönliche. Die Schule der Zukunft (eine vielleicht „inclusive“) wird zum Vorbild für eine klassenlose, wie für eine „schrankenlose“, Gesellschaft, oder die Schranken bleiben, für beide: für die Bildung wie für die Gesellschaft. Und letzteres wäre dann wirklich das definitive Ende unserer Art.

Die Aufrechterhaltung von Klassenprivilegien und anderen Schranken zwecks Förderung nämlich vorgeblich besonderer Begabungen wird dem Druck der Massen weichen (müssen). Und dies nicht, weil diese Massen so revolutionär sind, oder gar so klug (die „Dümmsten“ sind laut Ortega ehe die, die sich für die „Klügsten“ halten, da für Spezialisten), nein, weil das Kapital keinen anderen Weg mehr hat. Die Verwertung des Werts erfordert jetzt jedes einzelne Hirn, und darunter möglichst kein dämliches. Und die Globalisierung macht jede Klassengesellschaft zum Witz.

Nicht, dass ich etwa meinte, die Klassen würden sich etwa einfach so auflösen. Nein, aber erst die kommende Epoche wird die der Massen sein, dahingehend möchte ich jetzt einen Ortega etwas korrigieren (und auch einen Lenin, der da hoffte, all das noch zu seiner Zeit erleben zu dürfen). Deren Ahnungen gingen der Zeit nur voraus. Und Massen werden die Klassen unter sich begraben, wie all die anderen Helden, die da glauben, unersetzbar zu sein.

faz.net/blogs/stuetzen/archive/2010/09/15/der-angenehme-und-unerfuellte-kinderwunsch

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3 Trackbacks

  • Von Den Widerstand nicht ans Internet delegieren am 1. Oktober 2010 um 21:20 Uhr veröffentlicht

    […] sich doch oft als nicht befugt betrachten. Das Internet arbeitet solchen Arbeitsteilungen entgegen. Spezialistentum wird so noch schneller obsolet. Damit die positiven die negativen Seiten überwiegen, muss […]

  • Von Perlen vor die Säue… am 18. Oktober 2010 um 21:07 Uhr veröffentlicht

    […] Ausgestaltung jenes konservativen Revolutionsexperiments – eines asymmetrischen, nicht nur ob des Mangels an Revolution hierin, sondern wegen des unberechenbaren Mischmischens nicht autochthoner Teile der bürgerlichen […]

  • Von Niemals außerhalb der Massen am 4. Dezember 2010 um 10:57 Uhr veröffentlicht

    […] Ortega war einer der wenigen konservativen Intellektuellen, der wusste, was es heißt, in einer Epoche der Massen zu leben. Doch auch die Linke scheint ihre Lektion nicht lernen zu wollen. Die Herrschenden jenes […]

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