Nicht moralisch, sondern produktiv
Ich greife zurück aufs letzte Thema: Konsumenten sind wir eben nun mal, nicht Produzenten. Ich bin überzeugt, dass die Straftätergemeinde via Mausklick erheblich kleiner wäre, wenn die versuchen wollten solche Filme mal selber zu drehen. Der Spaß wäre verflogen, man müsste zeigen, dass Sadismus eine gelebte Vorliebe ist. In Wahrheit aber ist es die erlittene Qual (nicht immer nur Prügel oder sexuelle Übergriffe verschaffen solche!), der man keinen Ausdruck verleihen kann, ohne sich zu outen, als Schwächling, als passiver Perverser, als perverser Passiver.
Also schaut man zu (wie in aller Regel auch weg, wenn Aktivität gefordert wäre), auch in der Hoffnung, den eigenen Druck los zu werden, zu delegieren, auf Andere. Die Medien sind nur deswegen ideal für, da sie den Konsum zur Droge machen, das erlittene Leid delegieren helfen.
Die sexuellen Übergriffe von Kindern und Jugendlichen an anderen Kindern und Jugendlichen sind das treue Abbild hiervon. Ihr Leid muss so frisch sein wie ihre Grausamkeit authentisch.
Das ist der Grund für warum das Medium nicht der Täter ist. Es ist das Mittel der Selbstinszenierung, nämlich einer passiven Gesellschaft, einer Gesellschaft, die das Leiden so verinnerlicht hat, wie die Opfer De Sades.
Zuschauen und Wegschauen bedingen sich somit gegenseitig. Nur eigene Aktivität kann dies aufheben. Verbieten wir unseren Kindern nicht solche Filme, reden wir darüber, mit ihnen. Nicht moralisch, sondern produktiv.
Das Elend der „verhausschweinten“ Gesellschaft
@Nicander A. von Saage/Muscat:
In dem Sinne wie Muscat das ausdrückt, aber darüber hinaus als speziell erlittene Sozialisation. So ähnlich wie die Klassensozialisation. Der Proletarier/der Konsumbürger = Subjekt/Objekt des Kapitals. Das Subjekt im Verwertungsprozess/Verteilungsprozess ist zugleich dessen Objekt. Im Subjektsein als Produktionskraft gibt es Möglichkeit der Emanzipation/des aktiven Widerstandes, im Objektsein dies nur bedingt.
Leisten wir Widerstand, dann sprengen wir den Fetisch der Warengesellschaft, insofern wir uns dem „automatischen Subjektsein“ (Karl Marx) widersetzen, erlangen evtl. Klassenbewusstsein/revolutionäres Subjekt-Bewusstsein. Im Konsumbereich ist der Widerstand gegen Verteilungsinteressen des Kapitals, also die Zuschreibung als Subjekt des inneren Marktes nur mit erhöhtem Bewusstseinsaufwand möglich. Doch bleibt solidarisch geübter Konsumboykott eine intellektualistisch-kleinbürgerliche Wunschvorstellung.
Wir kaufen das Auto/den Fernseher (darin im Unterschied zu den Grundnahrungsmitteln vielleicht) ja nicht wegen dessen Gebrauchswertigkeit, sondern im Rahmen dessen Tauschwertfunktion. Ein solches Konsumgut kompensiert auch unsere Minderwertigkeit/den schwachen Status im Produktionsprozess (eben derselben Güter). Wir erwerben nicht nur ein evtl. höherwertiges Konsumgut, sondern erfahren damit auch eine Befriedigung unseres Statusbewusstseins.
Über diese Schiene erfolgt die Sozialisierung zum Konsumidioten, zum passiven Statusjäger. Die damit einhergehende strukturell verübte Selbstvergewaltigung erzeugt eine nach außen gerichtete Kompensationsmaschinerie und äußert sich eben nicht nur in einer Vielzahl von mehr oder weniger harmlosen psychischen Defekten (von der Zumüll-Krankheit bis zum Latexfetischismus), sondern eben auch in einer Reihe von sehr gefährlichen sozialen wie politischen Trieben (so könnte man auch gewisse Rechtsextremisten als Triebtäter bezeichnen).
Der Vergewaltigungstrieb der daraus folgt, soll die Selbstvergewaltigung erleiden helfen. Der Konsumidiot ist somit ein hochpotentieller Triebtäter. Das ist im Wesentlichen das psychosoziale Ergebnis der Klassenteilung in der modernen Gesellschaft, welches aber nicht einfach mit der üblichen Klassenteilung zusammenfällt. Denn soweit die Produktionsklasse noch produktiv ist, stünden dort eben nicht nur die sozialen Widerstandsmöglichkeiten zur Verfügung, sondern eben überhaupt der Produktionsprozess als Gegengewicht zum Passiv-, zum Konsumsein. Alle mehr oder weniger nichtproduktive aber hochkonsumtive Schichten sind dem gegenüber aber stark betroffen (vom Arbeitslosen bis zur unterbeschäftigten Hausfrau, aber auch schon vom vernachlässigten und somit gelangweilten Kleinkind bis zum pubertierenden, bzw. statussüchtigen Schüler, vom u. U. doch unterbelichteten Studenten einer Geisteswissenschaft bis zum Rentner in einer vergammelten Altenwohnanlage, die ganze „verhausschweinte“ – Robert Kurz – Gesellschaft also.
Die Hölle im eigenen Fremd-Sein
@Vroni/von Sage: Ethisch mag das einfach und schnell formuliert sein, psycho-sozial wohl eher nicht. Schauen wir das wohl vielen aus meiner Generation bekannte „Geschichte der O“ an. Abgesehen davon, dass das medial zu einem knallharten Porno verarbeitet wurde, ist es auch ein Liebesbuch, ein Buch, das eine Frau für ihren Geliebten geschrieben hat.
Was läuft hier ab? Sadomasochismus, sprich: purer Sex und leidenschaftliche Erotik im Genre Pornografie, doch als Liebesgeschichte! Was geht in den Frauen vor, die ihren Körper Stückchen für Stückchen, darin Traumatisierten nicht unähnlich, Fremden für Sex überlassen? Sind wir noch klar im Kopf?
Oder ist es eben die Klarheit darüber, dass die bürgerliche Liebe sich überl(i)ebt hat, überreizt hat, reizlos geworden ist? Wer will noch einem Menschen glauben, dass der ihn liebe, wenn man doch selber keinen Glauben an diese Liebe (für sich selbst) hat?
Das Objekt der Liebe empfindet sich nicht als Subjekt, denn als Subjekt ist es unterbelichtet, unterjocht, sich fremd, andern gehorchend. Begehrt zu werden, nicht geliebt, ist dann die einzige Hoffnung, die da bleibt.
Man trennt daher die besonders begehrten Teile ab, so wie das Filet vom geschlachteten Vieh und trägt es zu Markte. Den einen reizt der Busen, den anderen eben andere Geschlechtsorgane. Ein bisschen Fetischismus gehört wohl auch dazu. Als Gegenwert erhält man kein Geld, ausnahmsweise mal ((es sei denn, man ist Professionelle(r)), sondern „Wert“, Erhöhung im eigenen Wertgefühl. Und das verschafft Lust, Befriedigung.
Ein langer und komplizierter Weg um ein zufriedenes/befriedigtes Subjekt sein zu dürfen.
Diesen Weg können wir nicht abkürzen, denn das Bewusstsein schafft es nicht, ausnahmsweise mal nicht, da was anständig zu kompensieren. Erklären ja, lösen nein! Wir müssen da wohl durch, durch diese Hölle im eigenen Fremd-Sein.
Die allgemeine „Matrix“
@von Saage: So erstaunlich das sein mag, so üblich aber doch offenbar. Schauen wir uns doch nur mal an, wie die Forschung zur Raumfahrt den Science Fiktions-Autoren folgt. Man sucht nach realen Wegen den „Hyperraum“ zu durchqueren, oder gar zu „beamen“, schließlich und endlich durch „schwarze Löcher“ zu reisen. Autoren sind Leute, die in Zukunft schauen, Wissenschaftler all zu oft welche, die in die Vergangenheit verliebt sind, daher die merkwürdige Reihenfolge. Und doch folgen beide nur der allgemeinen „Matrix“ einer Epoche. Wir alle folgen dieser großen Gedankenwelt, manche nach kleineren, manche nach größeren Abständen. Die Gedankenwelt selber folgt den großen Klassenbewegungen, dem letztlich ökonomischen Lauf der Geschichte. Ich erwähnte es erst kürzlich, u.a. auch im Blog von Don Alphonso („Die Zeit, das Licht und der „Geist des Wesens“), nämlich dass die jeweiligen Perspektiven abhängig sind von den jeweiligen Klasseninteressen der politischen Hauptkräfte einer Epoche. Die Wissenschaft ist als solche eine dienende, insofern folgt sie eben auch den Klassenauseinandersetzungen, in aller Regel auf Seiten der Herrschenden.
faz.net/blogs/deus/archive/2010/08/11/wofuer-das-netz-nichts-kann