Viel Überflüssiges wird dann schon verloren sein…

Viel Überflüssiges wird dann schon verloren sein…
@Zerlina: Es gibt keinen Grund mehr solches herzustellen, es sei denn als Plagiat für romantische Gemüter. Das Original gehört in seine Zeit. Es geht dabei nicht nur um die verloren gegangenen Fertigkeiten, solches zu produzieren – das ließe sich vielleicht gar noch bewerkstelligen -, sondern um den Bedarf, den es nicht mehr gibt. (Das Prachtstück ist doch nur noch schön, weil es alt ist, und somit eine nicht mehr einholbare Gediegenheit imaginiert.) Selbst Zensur ist im Zeitalter einer gleichgültigen Nonchalance obsolet: man liest sie vielleicht sogar, die verbotene Literatur, aber selten versteht man sie noch. Es sei denn, jemand glaubt da, er müsse seine „Feuchtgebiete“ verstecken, aber solches ist weder verboten noch verfemt, ja nicht einmal mehr Nachweis eines schlechten Geschmacks. Heute haben solche Möbelstücke vor allem einen Sammlerwert, sind also mehr Wertanlage als Gebrauchsgegenstand (Don Alphonso mag da eine Ausnahme von sein).

Der Eigenwert der Form hat sich nur noch in der Kunst erhalten, aber auch dort ist Design dem Zweck entsprechend oder Kitsch. Die Vermassung der Produktion entspricht der Notwendigkeit eines inneren Marktes, ohne den es einen Kapitalismus nie gegeben hätte. (Die dynastischen Gelüste einer Oberschicht alleine realisieren noch keinen Mehrwert und auch keinen Profit. Wer das bedauert, sollte bedenken: ohne die Vermassung, ohne die Bedürfnisse der Massen, würde auch der anspruchsloseste Ästhet verhungern.)

Durch dieses Nadelöhr müssen wir durch, bis die Massen, die Herren der Zeit geworden sind, die sie selber schon so lange prägen. Kunst und Kultur werden dann so wenig zu trennen sein, wie Geschmack und allgemeiner Wohlstand. Viel Überflüssiges wird dann verloren sein, aber dies nur, da es seines Wertes, seines Gebrauchswertes, schon längst überdrüssig geworden war, wie auch schon lange zuvor seines Tauschwertes, bzw. seiner herrschenden Klasse.

Die Kloakenspülung – Masterprodukt der kapitalistischen Epoche
@Zerlina: Alles was uns aus früheren Zeiten als technisches Gerät überliefert, bzw. erhalten blieb, erscheint uns heute als Kunst und somit als wertvoller denn modernere Artikel. Diesen Streich spielt uns unser Gefühl für Ästhetik, eben nicht unser technisches Vermögen. Bezüglich letzterem sind wir doch in aller Regel Laien (bis auf die Techniker ihrer jeweiligen Zeit).

Ich habe da mal eine hydraulisch getriebene Uhr aus der griechischen Antike gesehen, ich war fassungslos ob deren technischen Aktualität. Aber auch dies folgt einem gewissen „Gesetz“ – Entwicklungsgesetz. Lenin nannte es „ein Schritt vor, zwei Schritte zurück, es ist das Gesetz der Dialektik. Alles was durch seinen Widerpart negiert wird, fällt zunächst zurück, erholt sich, entwickelt u. U. neue Kraft, neue Potenz, und kommt unter veränderten Bedingungen, unter anderen Formen, und teils anderen Inhaltes, wieder zur Welt, oder es verschwindet ganz aus dieser Welt.
Nur Nichtdialektiker wollen das als die „Immer-Wiederkehr-des Gleichen“, bzw. als die Metaphysik des Seins, verstehen, wie Nietzsche, zum Beispiel.

Große technische Werke wirken natürlich weit über ihre Zeit hinaus, entstammen sie doch großen Zeiten, revolutionären Epochen, technischen, wenn nicht gar sozialen, Revolutionen. Am Beispiel der Klosettspülung könnte man noch hinzufügen, dass die Abfallbeseitigung (das Verschwinden lassen von Kloake im städtischen Untergrund oder auf im Osten einer Stadt liegenden Müllhalden) als ein Masterprodukt der kapitalistischen Epoche bezeichnet werden kann. Und solange diese Epoche existiert, solange also die Müllproduktion als die einzig produktive erscheinen möchte (und auch mehr gefressen wird als umweltverträglich verstoffwechselt werden kann, vgl. „Das große Fressen“), wird die Klosettspülung noch so manch fröhliche Urständ feiern. Ihre Genialität muss uns also noch lange Zeit technisch begeistern.

Die nächste technische Innovation, und dessen bin ich mir ganz sicher, wird eine Klosettspülung sowenig erforderlich machen, wie einen Aschefänger in einem noch zu konstruierenden Verbrennungsofen.

Erlauchte Körperteile und die Hochzeit der ersten bürgerlichen Revolution

@Zerlina: Wenn der Zylinder nicht zunächst seinem technischen Zweck zugeordnet gewesen wäre, wäre auch die darin enthaltene „zweckfreie Kunst“ ohne Belang, wenn überhaupt als solche entstanden.

Bezüglich des WCs unter fürstlichen Hintern sollten Sie nicht übersehen, dass die Erfindung mitten in die Hochzeit der ersten bürgerlichen technischen Revolution hinein fällt, wenn auch zunächst nur zugunsten eben jener erlauchten Körperteile.

faz.net/blogs/stuetzen/archive/2010/06/06/der-kleine-giftschrank-der-feinen-damen

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