Um Welten getrennt

Um Welten getrennt
Das Thema ist sehr komplex, doch eines scheint mir deutlich: die westlich orientierten chinesischen Intellektuellen suchen nun einen neuen Weg in Richtung Westen. Was der „sozialistische Internationalismus“ des Kommunismus gar nicht erst hat schaffen wollen und der Kapitalismus nun erst recht verunmöglicht, wird jetzt über das Ziehen eines noch größeren Bogens, nämlich den über den ganzen Raum (und die Zeit) der Geschichte versucht: die Herstellung einer einzigen kulturellen Identität – auf der Grundlage des Weltkapitals. Dass das scheitern wird, ist einem Marxisten klar, aber was diesem Scheitern eigentlich zu Grunde liegt, ist selbst unter Marxisten umstritten.

Die Rede ist hier von der Teilung der Welt schon vor dem Kapitalismus. Nicht die in Orient und Okzident, denn die ist weder eine geographische noch eine sozioökonomische, denn eigentlich nur eine kulturelle und als solche eine recht spät entstandene, sondern die, wie sich nach dem Ende des Urkommunismus in ihren ersten Klassendifferenzierungen schon heraus entwickelte. Marx erwähnte dies nur am Rande, und seitdem wird darüber heftig gestritten, aber der Kapitalismus ist, wenn er überhaupt ontologisch zu verstehen ist, nur aus dem Feudalismus des Westens heraus zu begreifen. Und dieser wiederum enthält Bestandteile einer gewissen „abendländischen Kultur“ (die eine solche Entwicklung geistig schon sehr früh, aber doch wohl mehr ahnend, antizipiert haben mag), wie sie sich als hellenistische, bzw. römische dann heraus gebildet hatte. Griechisch-römische Antike, europäischer Feudalismus und moderner Kapitalismus sind die eine Linie in der Entwicklung der Klassengesellschaft (wie gesagt: vielleicht ontologisch, ganz sicher aber nicht zufällig!). Die andere wäre jene, die wir als „asiatische Produktionsweise“ seit Marx heftig diskutieren (siehe hierzu auch den kritischen Beitrag von Maria Scalet, die sich mit diesem Thema im Kontext der türkischen Geschichte – im Rahmen einer Diplomarbeit – befasst hat).

Erste diesbezügliche Strukturen waren auch im Westen schon durchgesetzt, wie z. B. in den „hydraulischen Kulturen“ Ägyptens bzw. zuvor schon Mesopotamiens, welche aber durch die griechisch-römische Dominanz von dort wieder verdrängt wurden und dann später von westlichen Abenteurern wieder in China, Japan, Indien (eingeschränkt auch in Russland) und evtl. noch in gewissen vorkolumbianischen Hochkulturen Südamerikas entdeckt wurden, und dann als „asiatische Produktionsweise“ in die Geschichte gingen.

Ich sagte „überlebt hatten“, denn mit dem westlichen Kolonialismus wurden auch diese Sonderentwicklungen gestoppt, wenn nicht gar ausgerottet, auf jeden Fall aber durch den westlichen Feudalismus bzw. dann Kapitalismus überformt. Und auch wenn die „asiatische Produktionsweise“ für die Analyse sozioökonomischer Strukturen heute daher zu vernachlässigen sein wird, hat sie in der Kultur irreversible Spuren hinterlassen, und sei es auch nur noch quasi als „Minderwertigkeitskomplexe“ in den Köpfen dekolonisierter Völker.

Denn solche Komplexe infolge der durchlittenen Überformung sind es, die den chinesischen Intellektuellen, die ich hier glaube zu sehen, und weniger ein neutrales Bildungsinteresse. Das Trauma lässt sich so vielleicht besser ertragen, aber die Geschichte lässt sich nicht revidieren.

Der Marxismus, wie gesagt, versuchte da den revolutionären Weg. Nachdem dieser in China gescheitert ist, geht man nun den umgekehrten Weg – den der Anpassung, der Adaption, der Integration, als Teil der dort längst vollzogenen Konterrevolution. Das moderne Subjekt eines Kapitals wird aber von einem Konfuzius nicht mal in Ansätzen voraus geahnt, hingegen aber durchaus von einem Aristoteles (wie zuvor schon von einem „Homer“ in der Figur des Odysseus, vgl. „Das Patriarchat in Hellas“), wenn auch natürlich weder Homer noch Aristoteles die „abstrakte Arbeit“ gekannt haben.

Es hilft den chinesischen Intellektuellen da nichts wirklich, wo sie schon ihre eigene Entwicklung nicht begreifen können oder wollen. Weder der moderne Kapitalismus noch eine west-östliche Antike schaffen da die Einheit der Welt, die doch da einer klassenlosen Zukunft vorbehalten sein wird, und von der sie nunmehr (wieder) um Welten getrennt sind.

faz.net/blogs/antike/archive/2010/01/30/westliche-antike-in-china-ein-provozierendes-projekt

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  • Von Das Kapital, die Mafia und der Staatsapparat am 2. Oktober 2010 um 18:47 Uhr veröffentlicht

    […] abgezweigten Geldern. Das ist alles nachzulesen in Tim Weiners „CIA“. Ähnlich geht es in Japan zu. Auch dort ist das Organisierte Verbrechen seit der Rehabilitation der wichtigsten […]

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