Geschichtsoffen?

Geschichtsoffen?
Man hält Alexander im Allgemeinen für einen abendländischen Helden, wobei doch gerade die Schicksale so zweier Weltreiche, wie das des römischen und des makedonischen Alexanders, in eine ganz andere Richtung weisen. Ernst Jünger hat das in seiner kleinen Schrift „Der gordische Knoten“ sehr schön dargelegt, worin der Unterschied zwischen einem abendländischen und einem morgenländischen Helden, Kriegsfürsten, König etc. wohl zu liegen hat. Nach Alexander tobten die Diadochenkämpfe, aber es gab kein makedonisches Reich mehr. Römische Kriegsherren, Kaiser, Tribune etc. waren jederzeit zu ersetzen, wenn auch oft mit ernormen Verlusten. Aber der Wille war da, dies zu tun. Nicht so im makedonischen Großreich, das damit sein Wesen als ein im Wesentlichen orientalisches Reich zu verstehen gibt. Alexander der Große, ein orientalischer Großfürst mitten in der Wiege des Abendlandes. Das sollte noch verdaut werden.
Das zeigt auch, dass die Grenze zwischen Orient und Okzident keine geografische ist, sie ist somit auch keine feste, möglicherweise nicht mal eine wirkliche, denn eine im höchsten Maße virtuelle gar, eine Frage des Geistes, der da herrscht, eine Frage nach den Gründen.
Alexander hat nicht viel abbekommen, von seinen Meistern, auf die sich das Abendland bis heute beruft, den griechischen Philosophen, vorneweg von einem Großmeister, namens Aristoteles. Eine merkwürdige Dialektik. Einerseits gründet sich mit Alexander der sog. Hellenismus, andererseits ist an diesem Alexander nur eines „hellenistisch“, sein politisch geformtes, wenn nicht gar nur „aufgeblasenes“ Machtbewusstsein, wenn nicht gar nur der „Dialekt“. Und doch waren darin erst die Römer die eigentlichen Abendländer (selbst die berühmten Athener waren hiergegen wohl noch Hirtenvölker). Die Verachtung der Römer, so wie schon die der Schüler Aristoteles, eben gegen diesen Alexander, jenem „zum Bersten aufgeblasenen Tier“(Seneca/Wikipedia) war sprichwörtlich nichts als jener Hass gegen das Fremde, das Barbarische, das Orientalische – das vielleicht ursprüngliche, tiefer liegende.
Geschichtsoffen war daher zu Lebzeiten Alexanders nur eines, nämlich wie weit er wohl kommen würde – in Richtung Asien. Aber erstens war klar, dass er nach Asien wollte und zweitens dürfte auch schon klar gewesen sein, dass nach seinem Leben, mit seinem Ableben, sein Reich zerfallen wird, nicht unter Einfluss von einfallenden Barbaren, sondern ob jenes „Barbaren“, das dieser Alexander doch noch war.
Seine Selbststilisierungen sprachen ein Übriges. Nur ein orientalischer Fürst, ein barbarischer Fürst, schaffte das ohne völlig abzudrehen wie ein römischer Nero oder Caligula. Er konnte tun was er wollte, er blieb ein männlicher Held, ein anzubetender, nicht nur zu fürchtender. Ein Alexander war in nichts beschränkt, durch ihn wurde nichts repräsentiert, er war die unmittelbar Gestalt dessen, was es zu repräsentieren galt, auch wenn seine Leute, stolze makedonische Fürsten, ihm dabei gerne den Hals umgedreht hätten, zum Beispiel als er sich jene Roxane ins Bett holte. Aber selbst diese, so die Legende, besiegte er auf orientalische Weise. Sonst hätte er das erste Abenteuer nicht überlebt, mit ihr im Bett. Und hierin ließ er keinen Zweifel mehr, nämlich wohin sein Herz ihn führte, was seine Bestimmung für ihn war – die Rückeroberung seiner orientalischen Vorgeschichte, die Vergewisserung nicht die Sublimierung seiner Urinstinkte.
Somit ist das „Abendland“ vielleicht auch nur der Reflex auf einen solchen barbarischen Rückfall. Die Antithese auf eine Entwicklung, die im innersten wohl schon irreversible war, in Bezug auf die Entwicklung der Menschheit, deren Geisteskulturen, wie deren Sublimierungen. Die scheinbare Rückkehr im Moment einer historisch zu nennenden Revolution, im Moment ihrer Geschichtswerdung.
Es wundert nicht, dass die härtesten Kritiker eines Alexanders aus den Reihen der römischen Stoiker kommen. Ist doch die Stoa seit dem eines Westens „worst case“, Philosophie der Krise, wie Krise der Philosophie. Wohl so wie ein Abendland der offenkundige Beginn der Krise überhaupt, der Riss durch die Welt, durch deren Gedanken, Gefühle, Klassen, Nationen, ja ganze Regionen. Die Offenbarung von Dialektik und Klassenkampf, Antagonismus, neuer Blüte und Zerfall.
Geschichtsoffen ist dann nur noch, was danach kommt. Alexander war der letzte, der einen gordischen Knoten auf alte Weise zu lösen verstand – durch das Schwert -, ohne dass dabei die Welt in sich zusammenbrach, denn er war die Welt, derer noch ungeteilt.

faz.net/blogs/antike/archive/2009/07/06/von-der-beschraenktheit-nachtraeglichen-besserwissens

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  • Von Gewaltige Sprache am 7. Juli 2009 um 20:47 Uhr veröffentlicht

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  • Von Alte Pfade am 10. Juli 2009 um 20:59 Uhr veröffentlicht

    […] Frau. Schon Alexander „der Große“ musste sich in Acht nehmen vor seiner „Roxane“ („Geschichtsoffen?“). Vielleicht war es gerade diese Kraft in ihr, die diese Männerherrschaft nun erst provoziert hat. […]

  • Von Erworbene Göttlichkeit am 20. Januar 2011 um 15:02 Uhr veröffentlicht

    […] Anlauf. Denn wo ein Adel seine Würde verspielen, seine Autorität verlieren konnte, da ist ein Nero nicht weit. Obwohl gerade am Beispiel Nero die Rückkehr der griechischen Antike als Möglichkeit […]

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