Eine Unterkategorie der Diplomatie

70. Eine Unterkategorie der Diplomatie
In der FAZ, für die ja bekanntlich Kermani schreibt, gab es eine heftige Debatte, an der ich mich auch beteiligte. Die Auseinandersetzung, war teils geprägt von der Meinungsführerschaft der konservativen Katholiken (die ehe ihren Stern in der FAZ sinken sehen), und die verbissen jeden von ihrem Mainstream abweichenden Beitrag nach tiefrot abwerteten, teils von recht guten, auch wissenschaftlich fundierten, Kritiken.
Die FAZ war ersichtlich um Schadensbegrenzung bemüht. Beiträge, die sich all zu kritisch, dann auch mit der Rolle des hessischen Ministerpräsidenten beschäftigten, oder die gar Querverbindungen zu dem Phänomen Papst Benedikt XVI. herzustellen versuchten, wurden bis zu zwei Tage auf Eis gelegt, dann wurden sie wohl gnädig freigegeben.
So ist es auch mir teilweise ergangen, insbesondere dort, wo ich versucht war, dem politischen und damit weniger religiösen Kern der Problematik auf die Spur zu kommen.
Ich denke, dass die Perspektive der Verfasserin dieses Beitrages eine ist, die man nicht unterschätzen sollte, es geht auch um Konkurrenz, denn um die geht es immer im Kapitalismus. Konkurrenz zwischen Arrivierten, um nicht zu sagen: Alphatierchen im System und neuen Emporkömmlingen, Konkurrenz zwischen natürlich Deutschen und Migranten, Konkurrenz zwischen Religionen und „Kulturen“, usw. usf.
Nur glaube ich nicht, dass sich ein Ministerpräsident Koch wegen solch einer profanen Auseinandersetzung zwischen alle Stühle setzt. Dieser Mann hat immer „höhere“ Interessen, im Zweifel sind es die der Bundesrepublik Deutschland, also die diplomatischen Angelegenheiten. Dieser Mann mag wohl ein katholischer Sturkopf sein, aber er ist kein Dummkopf. Er plant noch eine große politische Karriere für sich. Die Merkel ist ihm nur Übergangslösung. Der Papst ist ihm da schon näher, wie überhaupt dessen deutschnationale Gesinnung. Die Religion ist für ihn das, was sie für die Mehrheit unserer politischen Nomenklatur sowieso ist: Steigbügel zur Macht, nicht Selbstzweck, nicht Glaubensbekenntnis, sondern wohlkalkulierte Weltanschauung, eine berechenbare Größe. Vielleicht ist das gerade der Grund, warum ein Kermani, der als gläubiger Muslim gehandelt wird, sich an diesem Koch so stört. Denn auch ein Kermani ist kein Revolutionär, sondern ein Tiefgläubiger, also ein Konservativer. (Ein Revolutionär kann diesen Koch durchschauen, ihn gar verachten, aber sich an ihm stören? – dazu wäre er ihm viel zu bekannt!) Sein Ansatz, den Dogmen, Ritualen und Symbolen der christlichen Kirche(n) mit der Gnosis zu begegnen, ist in etwa so, als wolle man die Moderne mit der Scholastik aus den Angeln heben. Ein Versuch war es wohl wert, denn so wie die Moderne keine mehr ist – ist sie doch Postmoderne – so ist auch der dreifaltige christliche Gott, seinen drei christlichen Kirchen (oder sind es vier?) – der Plural mag für sich sprechen – doch sehr fremd geworden, und vermutlich auch vice versa. Sind das doch alles nur philosophische Spielchen, die einen Theologiestudenten vielleicht noch vom Hocker, in seinem Stübchen, werfen können.
Eins ist vielleicht geblieben, die semantische Ebene. Religion war schon immer eine Sprache der Macht, für die Macht, für den Machterhalt. Und heute spricht man nicht mehr hinter der vorgehaltenen Hand, wenn man etwas vor den Massen geheim halten will, es gibt da kaum noch etwas, was diese Massen nicht schon gehört hätten, aber man spricht hinter vorgehaltenen religiösen Überzeugungen. Man spart die philosophischen Ausschweifungen wie die übrigen Codes, man kommt vor aller Ohren direkt zur Sache. Religion ist eine Unterkategorie der Diplomatie geworden. Dessen bin ich mir sicher!
Ich verweise daher, zur weiteren Lektüre, auf den folgenden Link – zu meiner Website, besonders auf den letzten Beitrag („Machtbalance und Doppeldiplomatie“ ).

zeit.de/online/2009/22/deutschlands-neue-eliten

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    […] bemerkenswerte Logik „Unanständig“ war tatsächlich die Art und Weise, wie der Muslime abgefertigt wurde. Aber diese Unanständigkeit hatte die politische Haltung zu tarnen. Lieber […]

  • Von Unter die Gürtellinie am 9. Dezember 2009 um 19:57 Uhr veröffentlicht

    […] wird diese Beziehung in ihrer Abgrenzung zu jedweden (noch) potent wirkenden Subjekten. Die muslimische Konkurrenz wird diesbezüglich gleich doppelt wahrgenommen: einmal – ob ihrer […]

  • Von Am arabischen Wesen soll die Welt genesen! am 20. Juli 2010 um 23:11 Uhr veröffentlicht

    […] gut an den Streit um den hessischen Preis um interreligiöse Verständigung erinnern, habe mich tatkräftig daran beteiligt. Jener Kermani hatte da überhaupt keine Probleme den Christen die Gnosis um die Ohren zu hauen, […]

  • Von Ein Spielball der politischen wie theologischen Mächte am 8. Oktober 2010 um 17:54 Uhr veröffentlicht

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