Es sind die Ängste, die er zu steigern sucht

Es sind die Ängste, die er zu steigern sucht
Wunderbar formuliert, und das möchte ich hieraus noch mal hervorheben:
„Dieser Wunsch, andere zu „integrieren“, ist nach meinem Dafürhalten stets auch ein Ausdruck der Unsicherheit in der eigenen Kultur. Wäre die eigene Kultur wirklich so grossartig und offensichtlich überlegen, würden die anderen von selbst kommen.“
„Denn nicht 2000 Jahre Zivilisation steht hinter dem Konservatismus, sondern ein paar Jahrzehnte Vergessen des minderwertigen Lehrstoffmülls deutscher Gymnasien im Grundkurs Geschichte.“
„Was sind die Vorzüge dieser Gesellschaft unter besonderer Berücksichtigung des Umstandes, dass Minderheiten damit im täglichen Umgang eher begrenzt in Kontakt kommen?“
„Hass auf Schwule und einem knallhart durchgesetzten Kuppelparagraphen, sind in Bayern noch keine 50 Jahre her.“
Gerade den letzten Satz kann ich durch persönliches Erleben bestätigen. Ich komme wohl aus dem bayrisch-fränkischen Spessart, aber der Unterschied zu Oberbayern dürfte marginal sein. 50 Kilometer von Frankfurt entfernt, in Richtung Südosten und 50 Jahre in der Zeit zurück, und wir finden genau den Orient, den ein Sarrazin nun glaubt neu entdeckt zu haben. Ernst Jünger (Der gordische Knoten) hat vielleicht genau auf solche Phänomene referiert, als er schrieb:
„Es gibt unter allem Wechsel räumlicher Machtverhältnisse eine unfehlbare Kenntnis des Unterschiedes von Ost und West. Sie hängt mit der Wertung der Freiheit zusammen und führt den Menschen innerhalb der Auseinandersetzung auf die Seite, der er notwendig angehört.“ (Vittorio Klostermann Verlag, 1953, S. 25). Ich sagte es schon an anderer Stelle: dieses kleine Buch (gerade mal 153 Seiten umfassend), halte ich für das einzige, das ich ohne Bedenken empfehle.
Zuhälter seien sie, oder Kinderfresser, die da aus Frankfurt, dem protestantischen, so hieß es damals, in dem 1000-Seelen-Kaff, dort im Spessart, und fremd, da oftmals sehr gefährlich, war gelegentlich schon des Nachbars Hund. Und was stand dahinter? Eine Gemeinde, in der das Wort Freiheit so selten vorkam, wie das Wort Individuum. Es herrschte ein nicht näher definierbare Angst, vor allem und jedem. Da gab es den Pfarrer, der schon etliche Generationen mit der Rute erzogen hat, ebenso der Schulleiter, der Oberlehrer , der gleiches tat. Und wer hatte keine Angst, als Kind, vor dem schwarzen Mann, der da vor der Tür stehen sollte. Man hatte Angst vor den alten Weibern, die zumeist Witwen waren, immer nur in schwarz rumliefen, und von denen der Modergeruch des allgewärtigen Friedhofes auszugehen schien. Und welche Angst hatten diese Weiber erst, vor dem nahenden Tod, daher waren sie des Pfarrers beste Beute.
Und bis zur Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches, am 01. Januar 1900 wurde in Frankfurt/Main, auf der Grundlage des mittelalterlichen Stadtrechtes, neben dem Juden auch noch der Katholik diskriminiert.
Und auch die anderen Zitate teile ich voll umfänglich. Ich habe es ein wenig anders formuliert, denke aber, das gleiche zu meinen (siehe zum Beispiel: „Integration in deine desintegrative Gesellschaft“).
Einen wichtigen Punkt, den ich hier noch ergänzen möchte, und was ich leider zu Schirrmachers Beitrag selber nicht unterbringen durfte, möchte ich daher hier noch einmal zitieren, zumal es sich um etwas nicht von mir Erfundenem handelt:
Das evolutionstheoretisch und kulturhistorisch sehr wohl begründbare Urverhalten, in egozentrischer und egoistischer Weise, die eigene Realität als die gültige Universalrealität über andere und anderes zu stellen um damit die eigenen Bedürfnisse durchzusetzen, erfährt nun eine notwendige Differenzierung. Einerseits ist dieses Urverhalten eine notwendige Existenzsicherungsmotivation in dieser, durch Evolution geprägten Ökosphäre: durchsetzungsfähiger Egoismus als notwendige Voraussetzung, dass es uns heute noch gibt. Andererseits aber ist diese Urverhalten der größte Hemmschuh für den Prozess zu rationaler Erkenntnis und läuft durch die zunehmende, durch Wissenschaft begründete Entkopplung unserer Existenz von der biologischen(!) Evolution mehr und mehr zu einer Existenzgefährdung aus uns selbst heraus aus…“ (zit. nach Michael Rudolf Luft, „Was ist Realität?“, entnommen: 01.09.10)“, vgl: „Entkopplung unserer Existenz von der biologischen(!) Evolution“.

Also konservativ ist das eigentlich nur, weil es ein „Urverhalten“ zur kulturellen Norm verklären möchte. Und das ist überhaupt das Wesen allen Konservativismus und daher auch eines Sarrazins Hauptverbrechen. Es sind die Ängste, die er zu steigern sucht, die Urängste, die Instinkte sozusagen, nicht die Freiheit, die Fähigkeit des Menschen, sich endlich von der Biologie zu entkoppeln.
Das macht ihn konservativ und reaktionär, gleich wie wahr oder unwahr einzelne seiner Thesen sein wollen.

Subsistenz versus Existenz
@colorcrace: So wie Sie das verstehen wollen, macht das wahrlich keinen Sinn. Es geht darum, dass die kulturelle Revolution, sprich: die gesellschaftliche Identität, des Menschen längst die biologische Art Homo Sapiens Sapiens beerbt hat. Das macht den feinen Unterschied des Menschen zu den übrigen Kreaturen auf diesem Planeten. Die Existenz des Menschen wird somit von seinem Willen zur Subsistenz bestimmt. Auch ob der Mensch lebt oder stirbt ist eher im Rahmen gesellschaftlicher Kategorien zu beantworten. Nur der Mensch kann entscheiden, ob ihm seine nackte Existenz wirklich so wichtig ist, oder ob er nicht gar bereit ist, diese zu opfern, einer, dieser Existenz übergeordneten, Idee zuliebe. Um den Unterschied genauer zu fassen: Auch Tiere opfern sich gewissermaßen, zum Beispiel für die eigene Brut, aber niemals für eine gesellschaftliche Idee, also für die Brut schlechthin, für etwas also, was mit dem sog. Trieb zur Selbsterhaltung (eben oft überzeichnet verstanden als Erhaltungstrieb der Art, denn ein Trieb zwecks „Arterhaltung“ wäre schon eine gesellschaftliche Idee) nichts gemein hat.

faz.net/blogs/stuetzen/archive/2010/09/07/die-gescheiterte-integration-der-konservativen

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