Geschichte und Parageschichte, Gestalt und Gespenst

Geschichte und Parageschichte, Gestalt und Gespenst
Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus. Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet, der Papst und der Zar, Metternich und Guizot, französische Radikale und deutsche Polizisten.“

Als diese Worte zwischen 1847 und 1850 zum ersten Male die revolutionären Köpfe erhitzten, war ein Proletariat als revolutionäre Klasse noch nicht in Sicht. Das revolutionäre Subjekt war die junge Bourgeoisie. Dennoch war der Kommunismus gerade auch unter dieser Bourgeoisie schon als „Gespenst“ „erkannt“. Als revolutionäre Bewegung der Arbeiter.

Über die Engels folgendes berichtete:

Derjenige Teil der Arbeiter dagegen, der, von der Unzulänglichkeit bloßer politischer Umwälzungen überzeugt, eine gründliche Umgestaltung der Gesellschaft forderte, der Teil nannte sich damals kommunistisch. Es war ein nur im Rauhen gearbeiteter, nur instinktiver, manchmal etwas roher Kommunismus; aber er war mächtig genug, um zwei Systeme des utopischen Kommunismus zu erzeugen, in Frankreich den »ikarischen« Cabets, in Deutschland den von Weitling. Sozialismus bedeutete 1847 eine Bourgeoisbewegung, Kommunismus eine Arbeiterbewegung.“ (Vorwort zur deutschen Ausgabe 1890)

Sodass Marx und Engels sich mit dem Manifest der Kommunistischen Partei zu folgendem Bekenntnis genötigt sahen:

Es ist hohe Zeit, daß die Kommunisten ihre Anschauungsweise, ihre Zwecke, ihre Tendenzen vor der ganzen Welt offen darlegen und dem Märchen vom Gespenst des Kommunismus ein Manifest der Partei selbst entgegenstellen.“

Und wo Johann Meier, unser aller bekannter HansMeier555, nun dem das Gespenst der Oligarchie entgegen zu halten gedenkt, da sehe ich neben der gekonnten Satire eine traurige Realsatire.

Die Gestalt des Kommunismus scheint selbst wieder zum Gespenst verkümmert. Die revolutionäre Klasse zum Prekariat. Und die Bourgeoisie zum Vollstrecker eines merkwürdigen Kommunismus. Eines bourgeoisen Sozialismus. Wo die Forderung nach „Verstaatlichung der Banken“ – innerhalb des Kapitalismus – längst nicht mehr dem („sozialistischen“) Programm einer „DKP“ unseligen Angedenkens entnommen ist. Und wo die Konservativen ihr bürgerliches Vereinigtes Europa als „sozialistische Union“ verhöhnen. Und wo Johann Meier die Demokratie schon immer mit dem Kommunismus identisch gesehen haben will. Die Welt scheint verrückt und Marx und Engels einer gigantischen Illusion erlegen. – Oder prophetischen Vision!

Was ist passiert, dass der einzig reale Sozialismus der bürgerliche zu sein scheint? Sodass als revolutionäre Option frech ein „Feudalismus“ hervor lugt – mal bereit, Johann Meier dahin zu folgen.

Nun ja! Mit dem Kapitalismus muss wohl eine derart revolutionäre Gesellschaft in die Geschichte eingetreten sein, dass selbst die revolutionärste Kritik daneben verblasst. Dass der Kapitalismus mit dem Sozialismus von Anfang an schwanger ging, das war auch Marx und Engels schon bewusst. Dass diese Schwangerschaft dann aber wirklich mal ausgetragen wird, das dürften sie nicht wirklich geahnt haben. „Kommunismus oder Barbarei“, mahnte dennoch – daran ahnend – ihr Paradiktum.

Was passiert, wenn die Bourgeoisie ihren eigenen Sozialismus gebiert und eben nicht den des Klassengegners zu erleiden hätte? Ein Monster – ein „Gespenst“ – brächte sie zur Welt.
Und dieses Gespenst ist es, das nun auch einen Johann Meier beschäftigt, wo er sinniert: „Die Geschichte aller bisherigen Menschheit ist eine Geschichte des Träumens und Wünschens.“

Kein nicht ganz falscher Gedanke, dennoch würde ich ihn in einem kleinen Detail anders formuliert haben. Nämlich als die „Parageschichte“. Denn der „durchgehende Grundgedanke des »Manifestes«“, der laut Engels übrigens „einzig und ausschließlich Marx angehört“ haben soll, hört sich anders an:

„…daß die ökonomische Produktion und die aus ihr mit Notwendigkeit folgende gesellschaftliche Gliederung einer jeden Geschichtsepoche die Grundlage bildet für die politische und intellektuelle Geschichte dieser Epoche; daß demgemäß (seit Auflösung des uralten Gemeinbesitzes an Grund und Boden) die ganze Geschichte eine Geschichte von Klassenkämpfen gewesen ist, Kämpfen zwischen ausgebeuteten und ausbeutenden, beherrschten und herrschenden Klassen auf verschiedenen Stufen der gesellschaftlichen Entwicklung; daß dieser Kampf aber jetzt eine Stufe erreicht hat, wo die ausgebeutete und unterdrückte Klasse (das Proletariat) sich nicht mehr von der sie ausbeutenden und unterdrückenden Klasse (der Bourgeoisie) befreien kann, ohne zugleich die ganze Gesellschaft für immer von Ausbeutung, Unterdrückung und Klassenkämpfen zu befreien…“ (Engels, Vorwort zur deutschen Ausgabe von 1883)

Ausbeuter sind auch Menschen
@Schwarz: „Wo jedoch ist die Grenze zwischen der Gleichheit, die der Kommunismus propagiert und einem gelebter christlichen Nächstenliebe. Beide erkämpfen oder „erlieben“ das Menschenrecht!

Meine Antwort wird Sie vielleicht enttäuschen. Der Kommunismus kämpft nicht für die Menschenrechte, sondern für die Rechte der Ausgebeuteten und Unterdrückten. Er steht für eine neue Gesellschaft, in der so etwas wie „Menschenrechte“ als Begriff vermutlich ausgestorben sein wird. Denn solche Rechte werden nur da eingefordert, wo sie erstens nicht verwirklicht werden können und zweitens, wo sie eben davon ablenken sollen, dass Unterdrücker und Unterdrückte unterschiedliche Rechte in Anspruch nehmen. Auch Unterdrücker und Ausbeuter sind „Menschen“ und haben somit gewisse „Menschenrechte“. Vor allem propagieren sie das Recht der Ausbeutung (sie nennen das das Recht auf Eigentum). Und genau das kann einen Kommunisten nicht interessieren.

Und damit hätten Sie auch in etwa Ihre Antwort auf die Frage nach der Nähe zur christlichen Nächstenliebe. Die gibt es nämlich nicht!

Das „Menschenrecht“ auf Befreiung von Klassenkämpfen
ThorHa: Ich dachte mir schon, dass Ihnen das gefällt. Und ich gönne Ihnen die Minuten des Glücks. Doch haben Sie offenbar nicht verstanden, was ich da gesagt habe. Im Übrigen habe ich gerade gelesen, dass es tatsächlich ein „Menschenrecht auf Eigentum“ gibt, und dass man dieses vor der Europäischen Menschenrechtskonvention einklagen könne. Ist das nicht witzig?

Der Kommunismus, d. h. die klassenlose Gesellschaft, zeigt sich gewissermaßen als d a s Menschenrecht schlechthin. Das entspricht im Übrigen auch der Diktion im Manifest der Kommunistischen Partei von Marx und Engels, wie oben zitiert: „…daß dieser Kampf aber jetzt eine Stufe erreicht hat, wo die ausgebeutete und unterdrückte Klasse (das Proletariat) sich nicht mehr von der sie ausbeutenden und unterdrückenden Klasse (der Bourgeoisie) befreien kann, o h n e z u g l e i c h die ganze Gesellschaft für immer von Ausbeutung, Unterdrückung und Klassenkämpfen zu befreien…“ (Hervorhebung durch mich, H.B.)

Wohlgemerkt: Die Befreiung vom Klassenkampf ist somit auch ein „Menschenrecht“. Da dieser Kampf aber, solange es Klassen gibt, nur als Klassenkampf geführt werden kann (da ein Teil dieser Menschen gegen diese Befreiung kämpfen) kann er nicht als Menschenrecht schlechthin formuliert werden, sondern als das Recht der Ausgebeuteten und Unterdrückten auf Befreiung von Ausbeutung und Unterdrückung. Es ist das „Menschenrecht“ der Ausgebeuteten und Unterdrückten. Und dieser Kampf richtet sich per definitionem gegen andere „Menschenrechte“, wie zum Beispiel gegen das „auf Eigentum“ (an Produktionsmitteln – im Übrigen). Weil das eben die Grundbedingung für diese Ausbeutung und Unterdrückung ist.

Der Arsch und der Kopf
@Oliver-August Lützenich: „…vor allem für Funktionen eines Lebewesens, die Alle zusammen für dieses Eine Lebewesen gleich wichtig und nützlich sind.“ Gut beschrieben, Ihr „Nebenthema“. Mich beschäftigt das auch schon länger. Vor allem ist es die aus philosophischer Sicht so umwerfende Erkenntnis, dass der „Arsch“ so wichtig ist wie der „Kopf“ (in seiner Alltagssprache scheint das der Mensch hingegen geradezu spontan zu begreifen, wenn er z.B. davon redet, dass hier was zusammen passe, wie der Arsch und der Kopf).

Es ist der Reduktionismus eines Wolf Singer zum Beispiel, der uns daran hindert, zu erkennen, dass unser „Freier Wille“ eben nicht durch gewisse Hirnfunktionen zureichend beschrieben ist. (Mal ganz abgesehen davon, dass wir ja in unserem Darm, welcher dem Arsch gewissermaßen „näher“ steht, gewisse Hirnfunktionen haben – auch die Mikroorganismen scheinen so etwas wie einen freien Willen zu besitzen!)

„Analcharaktere“
@Yast 2000. Danke für den Buchtipp: Werden Sie der Autor sein?

Oh Gott, was haben wir getan, lieber Yast 2000? Wir haben die ganzen Analcharaktere auf uns aufmerksam gemacht.

faz.net/blogs/stuetzen/archive/2012/01/22/der-weg-zur-herrschaft-manifest-fuer-die-edlen-reichen-und-tuechtigen

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4 Trackbacks

  • Von Das zu lösende Rätsel am 30. Dezember 2012 um 22:05 Uhr veröffentlicht

    […] begleiten. Bis dem Kapital völlig die Luft ausgeht. Bis es all seinen Kredit verspielt hat. Sozialismus oder Barbarei, das bleibt wohl das zu lösende Rätsel im 3. Jahrtausend, moderner […]

  • Von Es lebe die Diktatur der Experten am 8. Januar 2013 um 14:18 Uhr veröffentlicht

    […] „befreite“ Bürokratie @Hammer: Wenn Sie den Klassenkampf nicht sehen, dann ist es Ihnen auch nicht möglich zu erkennen, was die realen Triebkräfte sind, […]

  • Von Rebellion ist gerechtfertigt! am 8. Februar 2013 um 17:50 Uhr veröffentlicht

    […] Sozialismus oder Barbarei, das haben die Verfasser des wissenschaftlichen Sozialismus – Marx und Engels – schon im Kommunistischen Manifest angekündigt. faz.net/blogs/deus/archive/2012/09/30/unter-permanenter-beobachtung This entry was posted in Blogs. Bookmark the permalink. Post a comment or leave a trackback: Trackback-URL. « Der Multikulturalismus war immer schon geheuchelt Dialektischer Reflex » […]

  • Von Schlicht Barbarei! am 23. April 2013 um 14:49 Uhr veröffentlicht

    […] Schlicht Barbarei! Schön, dass man Sie mal kommentieren darf. In Ihrem Blog bleiben Sie ja gerne unter sich. Ich denke aber schon, dass der Kapitalismus, ob seines Sieges über das, was sich bis zuletzt als Sozialismus zu behaupten wagte, irgendwie nun den Weg des Sozialismus geht. Natürlich nur in „kategorialer“ Hinsicht, wenn man so will: auf abstrakte, also sich nicht wirklich verwirklichende Weise. Ganz anders als der Sozialismus das zum Programm hatte. Die Klassen werden nicht abgeschafft, sie prekarisieren. Aus der Klasse der Bourgeoisie bildet sich eine verschwindend kleine Schicht von globalen Akteuren – Oligarchen. Man wird sie bald an 2 Händen abzählen. Und das Proletariat geht im Bildungssubjekt unter, welches gleichzeitig mit diesem prekarisiert. Der sog. Mittelstand und der Industrieproletarier erscheinen als die Verlierer. Und die Gewinner? Das allerdings ist noch offen. Marx und Engels nannten diese „Alternative“ zum Sozialismus (im Manifest der Kommunistischen Partei) schlicht – Barbarei. […]

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