Kein Grund zum „Jauchzen“

Kein Grund zum „Jauchzen“
Um zu begreifen, welche Funktion die Rating Agenturen haben, wäre es vielleicht angebracht zur Kenntnis zu nehmen, dass sie gleichzeitig mit der Verkündung der Awertung der Bonität der US-Regierung nahelegten, doch nun endlich ihre „unsinnigen Sozialprogramme“ auf Eis zu legen (aus dem Gedächtnis zitiert – FAZ/ZEIT). Es geht hier also um Klassenkampf, nicht um irgendeine „objektive Wahrheit“. Dennoch wäre es natürlich zu einfach, eine solche Empfehlung als rein subjektiv zu relativieren. Es erschließt sich dahinter auch ein Gut Stück „objektive Wahrheit“ (vergleiche auch meinen letzten Blog „Mut zur Freiheit“ – in Antwort auf Guignol). Dennoch nur indem wir dann den Klassenkampf beobachten, resp. an diesem Teil nehmen. Und Wahrheiten schaffen.

Das Ende der Geschichte (das Ende der Krisen), das Ende der Entropie), das Ende des Klassenkampfes – das sind in so die gängigen Märchen dieser Zeit.
Das Finanzkapital treibt auf sein Ende zu. Was das aber bedeutet, das kann niemand von uns wirklich beschreiben. Es wird sich so wenig automatisch einstellen, wie dem Zufall überlassen sein. Es ist dennoch mehr als reine Kontingenz. Es treibt in diese Richtung. Aber schon das eigene Wehren dagegen verzerrt die Geschichte. Doch bleibt die Richtung unaufhaltsam. Zeigt sich darin eine „Quasi-Naturgesetzlichkeit“ (Marx). Und genau so dies aus der anderen Perspektive: In dem Maße, wie die ausgebeutete Klasse sich dem widersetzt oder eben nicht, verbiegt sie die Geschichte ebenso. So entstehen ständig neue Lücken/Optionen, die immer wieder neu geschlossen werden (was sofort neue Lücken schafft, und darin liegt auch ein Grund mit drin, dass wir so was wie objektive Wahrheit nicht mehr erkennen wollen/können, die Verzerrung/die Lücke selbst bietet sich als solche dar).

Die Finanzkrise seit 2007 zeigt diesen Prozess, der ja letztlich Klassenkampf ist, deutlicher auf denn je.
Durch ihr eigenes Handeln fast sozialisiert/verstaatlicht, mussten die Banken mit viel Aufwand wieder reprivatisiert werden. Ein Kraftakt, dem man ansieht, dass er nicht beliebig wiederholbar ist. Zeigt sich doch darin das Scheitern nicht als dramatischer Akt, sondern als ein eine ganze Epoche überspannendes scheinbares Endlosdrama. Am Ende ist es diese „Endlosigkeit“, die das ganze Ausmaß des Dramas ausmacht. Es erschöpft die Darsteller. Dennoch wird auf der Bühne des Klassenkampfes die wirklich letzte Schlacht geführt. Ob diese Schlacht sich dann darstellt, wie der Kampf um Troja, wäre durchaus eine bedenkenswerte Option. Schließlich gingen aus dieser Schlacht nur Verlierer hervor. Denn auch ein Odysseus wurde ja da um seine Jugend und um die seiner Frau gebracht.
(Und dass Schirrmacher/die Redaktion der FAZ diesen meinen Beitrag bisher nicht freigeschaltet hat, zeigt doch, wie sehr die Bourgeoisie genau diese Schlacht fürchtet. Ja wie sie sich vor ihren eigenen Prognosen fürchtet. Hat sie doch die Endlosigkeit eines solchen Prozesses mindestens so zu fürchten wie den schließlichen Ausgang.
@ Guignol: Doch dieses feige Auftreten der bürgerlichen Kassandra lässt mich diesbezüglich nicht mal d a r a u f hoffen. Wo sich Kassandra/Frank Schirrmacher selber zensiert, habe auch ich keinen Grund zum Jauchzen!)

Die herrschende Klasse trägt die Gesamtverantwortung
@Grand Guignol: Danke für die Antwort. Natürlich will ich niemanden zur Erwiderung zwingen, dennoch hätte ich es gerne etwas fairer. Obwohl ich natürlich weiß, dass der diesbezügliche Mangel – auch und gerade in den großen Medien – auf das ganze, von mir ja oft genug beschriebene Ausmaß der Krise verweist. Und was Schirrmacher – zum ersten Mal in dieser Zeitung – so offen kommentiert. Die Beiträge sind inzwischen freigeschaltet. Warum auch immer so spät, das will mir im Fall Schirrmacher nicht so richtig einleuchten. Er ist wahrlich ein großer Denker. Also das Gegenteil von engstirnig. Und dafür bewundere ich ihn, auch und gerade, weil ich mir sicher bin, dass die Bourgeoisie das selber nicht schätzt. Obwohl er sie vertritt, sie repräsentiert. Dabei allerdings sie vor sich hertreibend.

Die Diskussion ist allerdings nun doch in Gang gekommen, und ein Paradox am Rande: da ich ja meinen Beitrag zweimal gepostet habe, zu zwei verschiedenen Zeitpunkten, und nun beide gesendet wurden, werden offenbar beide Beiträge, die ja identisch sind, unterschiedlich, wahrscheinlich von unterschiedlichen Leuten, in unterschiedlichen Zeitschienen, bewertet. Während das letzte Posting in Richtung rot geht, geht das erste in Richtung grün. Das könnte man auch eine „parallaktische Verschiebung“ nennen, die Offenbarung eines Reiches der Lücken.

Ich selbst bin wirklich nicht der Meinung, dass nur das Bürgertum, das satte, müsste man eigentlich ergänzen, verantwortlich zu machen ist. Jeder ist in dem Maße verantwortlich, indem er sich durch Verhalten beteiligt oder enthält. Ich habe es beschrieben.
Dennoch haben Sie natürlich Recht: die herrschende Klasse trägt die Gesamtverantwortung. Und dafür wird ihr beizeiten – wie ich hoffe – die Rechnung präsentiert.

In der Bewegung hin zum Sozialismus
Am Beispiel eines Herrn Ackermann lässt sich zeigen, wie die Verwalter dieser Klasse sich zur herrschenden Klasse gemausert haben. Das Management des Kapitals, das ist das heutige Finanzkapital. Ein wahrhaft nicht mehr produktives Kapital. Dennoch bleibt im Sinne der Kapitalbewegung das gesamte Besitzbürgertum d i e Bourgeoisie, wenn auch dabei nicht mehr unbedingt als herrschende Klasse. Denn sie wird beherrscht, wie gesagt, von ihrem Management.
Auch darin liegt im Übrigen eine Bewegung hin zum Sozialismus.

Phantasma und Albtraum
@ThorHa: Diese Bewegung liegt nicht in unserer Macht. Sie ergibt sich aus der „Quasi-Naturgesetzlichkeit“ in der Ökonomie des Kapitals selbst. Doch: Obwohl diese Bewegung dem Klassenkampfgeschehen unterliegt, steuert sie den Klassenkampf nicht vollständig. Der Moment der Freiheit zeigt sich allerdings nur in der Ausgestaltung dieser Bewegung, bis hin zu dem Moment, wo das Ding abgeschlossen ist. Wo die neue Erscheinung sich irreversibel aus der Lücke/aus den Lücken ihrer bisherigen nur Wesenhaftigkeit heraus geschält hat. Um es anders auszudrücken: Wenn der Konservative im heutigen Finanzkapitalismus so etwas wie Sozialismus entdeckt haben will, liegt darin nicht nur eine von außen zu konstatierende optische Täuschung, eine Begriffsverwechslung gar, eine demagogische Geste, sondern hier rekurriert er auf den falschen Schein in den rein objektiven, eben noch nicht abgeschlossenen Prozessen. An Prozessen, denen er sich gleichzeitig zu verweigern sucht. Im gewissen Sinne stellt sich hier der Klassenkampf auch dar als Kampf gegen die eigene Wahrnehmung, als hysterische Abwehr der Gespenster des eigenen Phantasma.

Das Phantasma in der menschlichen Wahrnehmung zeigt sich ja aber gerade in dessen Notwendigkeit. Die Täuschung ist Teil der Erscheinung selbst. Marx beschreibt das am Beispiel des Fetischcharakters der Warenproduktion. Es ist nicht so, dass die Subjekte etwas sehen, was sie so sehen wollten. Etwa weil sie subjektiv verblendet sind. Nein, sie müssen es so sehen. Sie sind objektiv verblendet. Und Ausdruck dieses Fetischcharakters ist auch, dass die unhintergehbare Tendenz innerhalb dieser Warenproduktion, nämlich die zu deren Auflösung (- Sozialismus -), nicht erkannt werden will, als das was sie ist – Tendenz. Der solchermaßen (Selbst-)Getäuschte identifiziert diese Tendenz notwendig mit Sozialismus selbst. Der Witz an diesem Phantasma ist, dass da dem Konservativen etwas erscheinen will, was laut Kant gar nicht erscheinen kann – das „Ding-an-sich“. Natürlich hat Kant Unrecht. Es kann erscheinen. Nur erscheint es eben innerhalb einer falschen Wahrnehmung – als Paradox falscher Ideologie. Denn es liefert innerhalb dieser Falschheit eine annähernde, aber dahingehend eben falsche, Vorstellung davon, wie die Bewegung aussieht/aussehen könnte. Es verschafft dem Getäuschten für einen Moment eine Ahnung davon, wie die Welt wirklich beschaffen ist. Denn ist sie doch im Wesentlichen nur ein Werden und Vergehen. Eine Anhäufung von Lücken. Die wirkliche Bewegung aber, die vom Werden zum Sein, die Bewegung von der (lückenhaften) Wesenhaftigkeit eines Dings zu dessen realen Erscheinung selbst (die für diesen Moment die Lücken schließt), verschließt sich dabei. Und damit auch der beglückende Moment der Identität zwischen Erkenntnis und Wirklichkeit. Der Moment des wirklichen Seins. Die Erlösung vom Phantasma.

Die Wirklichkeit, also das Ding, das dann mal Erscheinung sein wird, der Sozialismus selbst z.B., also das Ding jenseits des Kapitalismus, jenseits der Warenproduktion, wird hierbei nur schemenhaft, wenn man so will als albtraumhafte Projektion, wahrgenommen. Als Wahnvorstellung. Und das eröffnet ein weites Feld, z.B. das der politischen Demagogie.
Daher auch Ihr Albtraum – diesbezüglich.

Kein „Krieg“!
@Guignol: Um Gottes Willen, nein, es gibt keinen Krieg gegen Schirrmacher. Ich kommentiere nur seine Beiträge hin und wieder. Was ich mit Schirrmacher zu tun habe, findet sich leicht unter der Suchfunktion in meinem Blog: Schirrmacher. Sie werden da sehen, dass mich gar eine gewisse Sympathie dabei trägt. Nichtsdestotrotz muss man gerade die besten Köpfe (des Gegners) angreifen. Und das tue ich in aller Regel inhaltlich. Diesmal habe ich mich ein wenig geärgert, dass er die Kommentare so spät freigeschaltet hat, wodurch der Diskurs verschleppt wird. Gerade bei diesem Thema. Aber ich kann mir vorstellen, dass er da nicht ganz unumstritten ist – in der eigenen Redaktion. Er wagt sich da weit vor. Und wohin das führt, sehen sie gerade an meinem Kommentar. Das war natürlich ein gefundenes Fressen. Dennoch kein unerwartetes. Denn die Kapriolen der Bourgeoisie (ich habe noch keinen anderen Begriff!) in der Polemik folgen mittlerweile – etwas zeitverzögert – denen in der Wirtschaft. Und wo Banken verstaatlicht werden, oder Abwrackprämien unters Volk geschmissen, da folgt unvermeidlich die Sozialismusdebatte. Aber auch der Aufstand der Konservativen macht diese Debatte unumgänglich (siehe auch „Im Phantasma des Marktgeschehens“). Und Schirrmacher ist vielleicht kein Konservativer im engen Sinne, aber doch im weitesten. Er ist so was wie der Neil Postman Deutschlands. Letztlich aber folgt Schirrmacher jener „Tendenz“, wie ich sie beschrieben habe. Wie weit bewusst, bzw. vom richtigen Begriffe aus, das wird sich zeigen (vielleicht auch erst ergeben; zur Dialektik von konservativ und revolutionär, siehe hier). Auf jeden Fall aber scheint er den richtigen Instinkt zu haben.

Dünnpfiff Popper
@ThorHa: Ach ja? Kommen Sie mir nicht mit dem Dünnpfiff Popper! Ganz offensichtlich kennen aber auch Sie die Begründung von Marx hierfür nicht. Die „Quasi-Naturgesetzlichkeit“ ergibt sich ausschließlich aus der Unbewusstheit im kapitalistischen Marktgeschehen. Somit liegt hier eine quasi „selbstverschuldete“ Naturgesetzlichkeit vor. Bekanntermaßen konstatiert der Marxismus den Übergang vom „Reich der Notwendigkeit“ (der Quasi-Naturgesetzlichkeit) ins „Reich der Freiheit“ (dem Reich der Bewusstheit, der Beherrschung der Naturgesetze, bes. aber auch der Abkoppelung der eigenen ökonomischen Bedingungen von solchen „Naturgesetzen“. Dieser Übergang vollzieht sich nur dank des scharfen Klassenkampfes innerhalb der letzten Klassengesellschaft – der kapitalistischen. Also ist somit auch kein Naturgesetz!

Ich spar mir jetzt die Quellenangabe, denn Sie lesen Sie ja sowieso nicht! Dennoch, für all die Anderen: im „Kapital“ wird mehrfach darauf verwiesen! Als Einstiegslektüre hierzu empfehle ich Dieter Wolf, und insbesondere „Imaginäre Bedeutungen und historische Schranken der Erkenntnis“.

Die Verantwortung hierfür liegt somit nicht in der Theorie des Marxismus, sondern in der Ökonomie des Kapitals, einer Ökonomie, deren Schicksal mit einem anonymen Marktgeschehen verknüpft ist. Einem Geschehen, dass den Teilnehmern weitestgehend verborgen bleibt. Die wichtigsten Kategorien werden nicht nur nicht erkannt, sondern stellenweise auch interessehalber ignoriert. Wo der Mitbegründer der Politischen Ökonomie Adam Smith die „unsichtbare Hand“ noch vermutete, arbeitete Marx die Kategorie der „Abstrakten Arbeit“ wie das Gesetz vom „Tendenziellen Fall der Profitrate“ heraus. Um nur mal zwei Kategorien zu nennen, die vom Kapital schlichtweg ignoriert werden. Darin liegt also das Wesen dieser „Naturgesetzlichkeit“. Streng genommen in der systemischen Ignoranz des Kapitals. In dessen blinden Fleck. Nur ob dieser „Naturgesetzlichkeit“ kommen auch die diversen Krisen wie eine Naturkatastrophe daher. Obwohl wir inzwischen wissen, bzw. ahnen, dass nicht wenige Krisen geradezu hausgemacht sind. Wie die letzte Finanzkrise zum Beispiel. Dennoch auch diese hausgemachten Krisen sind auf der allgemeinsten Ebene definitiv nicht vermeidbar (somit streiten sich die bürgerlichen Ökonomen um des Kaisers Bart, wenn sie die „Schuldfrage“ diskutieren). Somit quasi eine Naturkatastrophe! Zu beachten hierbei: der ständige Wechsel zwischen der metaphorischen und der kategorialen Ebene in der Beschreibung. Auch das kennzeichnet die Quasi-Naturgesetzlichkeit, ergo: die Notwendigkeit der „Kritik der Politischen Ökonomie“. So wie von Marx dann gemacht.

Erst in der kommunistischen Wirtschaft, die einher geht mit der klassenlosen Gesellschaft (wo also die „Klasseninteressen“ ausgeschaltet sind), wird das, was das Kapital nur im Ansatz hervor bringt – Wirtschaftstheorien/Pläne etc. – umgesetzt, findet somit eine Wirtschaftstheorie Anwendung, die sich nicht mehr blind Naturgesetzen unterwirft. Die sich nicht irgendwelchen Chaostheorien verschreibt, oder mit Systemtheorien vorgibt, das Chaos in ein System einzuschreiben (was allein schon ein logischer Widerspruch ist). Wo die Menschheit erstmalig ihrem „Schicksal“ entgeht, sich also von der äußeren Natur definitiv emanzipiert.

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  • Von Wie das Finanzkapital sich neu erfindet am 27. Dezember 2011 um 13:26 Uhr veröffentlicht

    […] das Finanzkapital sich neu erfindet Das Finanzkapital versucht sich gerade neu zu erfinden. Das Geschäft mit den Krediten war eh schon lange nicht mehr ihr Ding, es sei denn als Verbriefung […]

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