Distinktion gleich gewendeter Klassendünkel
@Don: Ich könnte jetzt noch einen drauf setzen und von unserem Nachbarskind erzählen, das ebenfalls von seinen Eltern so ein Riesentrampolin mit Fangnetz in den schmalen Reihenhausgarten gestellt bekam – vor einem Jahr -, und was daraus geworden ist. Aber eigentlich interessiert mich das nicht. Was mir an Ihren Geschichten hin und wieder aufstößt, vor allem wenn es um Kinder geht, um die der Reichen, ist dieser Unterton. Ich täusche mich vielleicht! Aber höre ich da nicht sowas wie Selbsthass heraus? Mögen Sie deshalb keine Kinder, weil Sie sich selber nicht mögen? Nicht als das, was Sie mal waren – Kind reicher Eltern? Wenn das stimmen sollte, dann wäre das so tragisch wie überflüssig, denn völlig unzeitgemäß.
Mag sein, dass Sie sich als Tucholsky Ihrer Szene wähnen. Aber spielen Sie um Gotteswillen die Rolle nicht zu echt! Im Übrigen: Bei Tucholsky mag man dieses Übermaß an Distinktion noch für revolutionär gehalten haben. Der Selbsthass des (liberalen) Bürgertums war der damaligen Zeit durchaus angemessen. Auch ein Thomas Mann spielte auf dieser Klaviatur, obwohl er kein Liberaler, sondern ein Deutschnationaler war. Und manchmal kam da was Gutes bei raus, wie eben bei Tucholsky, oder eben – mit Abstrichen – auch bei Mann. So besehen, könnte man eines Tucholskys Selbstmord, ohne jetzt all zu pietätlos erscheinen zu wollen, also nur mal weiter gesponnen, als Teil jener Selbstinszenierung halten, welche dem offenen Übertritt zur anderen Klasse, dem Klassenverrat sozusagen, zuvorzukommen hatte. Klassenverrat! Das war selbst dem Proleten damals unter seiner Würde.
Heute hingegen, im Zeitalter der sog. Prekarisierung der Klassen, sind die klassentypischen Merkmale beinahe obsolet. Ein wenig zynisch formuliert, könnte man auch sagen: Die „Masse“ machst! („Masse“ im Sinne Ortegas). Selbst die „Oberschicht“, die herrschende Klasse, kann ihren Zöglingen nicht m e h r bieten als die unteren Klassen, nur eben in größeren Massen. Wir sprachen schon darüber: Die Rolex gehört dem Prolex!
Und da genau dieses vor allem den Konservativen innerhalb der Herrschenden so ein Ärgernis ist, ist das diesbezügliche Klagen in aller Regel konservativ konnotiert. Distinktion gleich gewendeter Klassendünkel. Das ist nicht mehr Tucholsky!
Nicht, dass Sie mich jetzt missverstehen. Ich will Sie nicht beleidigen. Ich schätze Ihre Beiträge; und ich denke auch ihre Motive zu verstehen. Dennoch gerade diese kommen in solchen Beiträgen nicht zur Geltung, oder eben verquer. Es sei denn, und diese Möglichkeit schließe ich nicht aus, Sie provozieren in diese Richtung ganz bewusst.
Das Publikum sind die wahren Darsteller
@Yast 2000: So wie Sie das beschreiben, wäre dieser Hedonismus eben nur gewendeter Klassendünkel. Als Ausweg hingegen ließe ich ja schon offen, dass er ganz „bewusst in diese Richtung provoziert“. Quasi als gewählter Stil/gewähltes stilistisches Label. Somit nicht wirklich aus Überzeugung (seine „Überzeugung“ ist gleich die Annahme, dass die Anderen sich überzeugend genug darstellen). Seine Leser mögen glauben, dass sie da einen Gesinnungsgenossen gefunden haben und lassen sich damit in die nicht selten „schwarze“ Seele schauen. Auf diese Weise lässt er jenen dünkelhaften Klassenkampf (von oben), den er vorgibt verinnerlicht zu haben, sich – in Wahrheit getrennt von ihm – selber darstellen. Frei nach Brecht. Das Publikum sind die wahren Darsteller. Wir alle sind das Ensemble. Und mag sein, dass das alles auch einer Selbsterhaltung dient.
Surreales „theater en miniature“
@Yast2000: Nun ja, was auch immer ein „empörungswilliger Dummkopf“ ist, oder gar ein „deutscher Gutmensch“, das möchte ich an dieser Stelle nicht weiter hinterfragen, zumal ich das an anderer Stelle schon getan habe, in Bezug auf den „Gutmenschen“ . Dennoch: Empören tue ich mich auch, vor allem dabei über Dummheit, Ignoranz und Dünkel. Und das, zumindest will es mir so scheinen, hat die Kunstfigur Don Alphonso ebenso auf dem Programm. Daher spiele ich mit, auf dieser Laienbühne.
Ein wenig erinnert mich diese Bühne schon an Heinrich Manns „Mephisto“. Ganz andere Zeit und ganz andere Verhältnisse. Und doch gab es da eine Bühne, die eine Zeit lang, und darin quer zum wirklichen Geschehen, Kommunisten neben Faschisten auftreten ließ. Und die Nazis begriffen recht spät, wie subversiv gerade dieses ist. Ich fragte mich schon, warum die Kommunisten es so lange dort ausgehalten haben? Und ich beantworte mir die Frage inzwischen so, dass sie sich wohl – mal abgesehen davon, dass sie die Gefahr durch die Nazis nicht von Anfang voll erfassten – nicht so einfach von der Bühne haben schupsen lassen wollen. Wie im wirklichen Leben sozusagen. Und natürlich ist die Frage zu stellen, warum die Faschisten das duldeten? Nun, weil sie noch nicht die unumschränkte Macht hatten. Nicht dass mir das jetzt einer falsch versteht. Diese Bühne ist nicht wirklich vergleichbar mit Don Alphonsos Blog, und ich teile auch nicht die hiesigen Darsteller in Kommunisten und Faschisten (obwohl mir manchmal so bei gewissen Beiträgen ein merkwürdiges Geschmäckle hochkommt). Ganz Deutschland ist diese Bühne und Don Alphonso bietet hieraus quasi eine Art surreales „theater en miniature“.
Sorry, „Mephisto“ ist natürlich von Klaus Mann. ich verwechsele immer „Der Untertan“ von Heinrich Mann mit „Mephisto“ von Klaus Mann.
faz.net/blogs/stuetzen/archive/2011/06/20/kinderabrichtung-in-der-konsumgesellschaft
Ein Trackback
[…] eben nicht nur – und dies jetzt mal definitiv gegen den von mir oft bemühten Ortega y Gasset („Der Aufstand der Massen“) gerichtet – ihren „negativen Instinkten“ folgen, sondern eine durchaus „kritische Masse“ […]