Die Evidenz des Aberglaubens

Die Evidenz des Aberglaubens
@Don Carlos: Sehr schön! Doch Seneca selber war ein Schönredner, einer der Bildung schon zu seiner Zeit zu einem echten Kulturgut hat werden lassen, mehr Gut als Kultur dabei aber. (Ich empfehle hierzu Massimo Finis „Nero“). Und so ist es geblieben. Eine Bildung, zu dem Zweck erworben, wie HansMeier555 ihn zutreffend beschreibt, somit nur ein Haufen, also „Gebildung“, noch nicht mal Verbildung, muss als Last verstanden sein, nämlich dann, wenn sie keine Profite mehr abwirft. Also weg damit!

In dem Sinne folgt der Bachelor der Bildung der Zeit. Bildung auf Zeit, könnte man auch sagen. Dass das letztlich nur angehäuftes Wissen, wenn nicht gar bloßer esoterischer Glaube, ist, stört dabei niemand. Vorausgesetzt die anvisierten Gewinne treten ein. Sowieso werden die zukunftsträchtigen wissenschaftlichen Innovationen – ein großes Wort hierfür! – nur noch in abgeschirmten Zirkeln getätigt werden, so abgeschirmt, dass die Wissenschaftler nicht mehr wirklich in den exoterischen Diskurs einsteigen können, alles Topsecret, somit ihr Wissen nur noch Esoterik sein kann. Geheimwissen, Logenwissen, Wissen darüber wie man die Menschen manipuliert, wie man vorgeblich Zusammenhängendes konstruiert und wieder zerstört. Die Postmoderne kommt dem entgegen.

Die Scholastik feiert fröhlich Urständ, wobei die Scholastik der Antike noch den Zielen einer Bildung untergeordnet war, und so nebenbei wenigstens die Logik noch weiter entwickelte. Was uns heute allerdings bevorsteht ist weniger Logik als schiere Pragmatik. Jedes Wissen, jede Bildung ist genehm, Hauptsache profitabel ist sie. Es wird irgendwann schwer sein, zu unterscheiden zwischen Gebildeten und Nichtgebildeten, denn es unterscheidet uns nur noch das jeweilige „Gebilde“ dessen, was wir für Bildung halten dürfen. Vielleicht als einziger Maßstab dann: wer Erfolg hatte, muss gebildet (gewesen) sein.

Die Folge wird Aberglaube sein. Denn der Mensch bedarf der Bildung oder des Aberglaubens, zwecks Orientierung. Liefert die Bildung nur noch kurzfristig gültige Orientierungen, folgt der Aberglaube für die längerfristigen Ziele. So abergläubisch wie die im Käfig gefangene Maus, wird dieser Mensch sein, eine Maus, die man solange manipuliert, bis sie am Ende glaubt, dass, wenn sie sich dreimal um sich dreht, ihr der leckere Käse nun endlich zur Verfügung steht. Von da bis dort, dass man sich vielleicht nun fünfmal umdrehen muss, ist dann nur noch ein logisch nach zu vollziehender Schritt, somit im wissenschaftlichen Sinne wohl wieder evident.

Herrschaft bis zur besonderen Begabung
@V: Über Seneca müssen wir uns eh nicht streiten, das ist wahrlich Schnee von gestern, äh: vorgestern, der Antike nämlich. Aber wie schon die Widmung Finis in seinem Werk zu Neros Rehabilitation meinte: für die Jugend sei das Werk, denn die soll aus den Geschichtslügen von gestern was lernen, bzgl. derer von heute (aus dem Gedächtnis zitiert, habe das Buch gerade nicht vorliegen), so möchte auch ich mit meinem Statement darauf verweisen, wie wenig Zitate, gerade bzgl. dieses Themas aus dem Munde gleich welches Intellektuellen, da was sagen. Ist es doch ein Kennzeichen eben unserer Bildungskultur, unserer Kulturbildung, sich immer von der schönsten Seite zu zeigen.

Das was die Alten früher immer als die wahre Bildung bezeichneten, die von innen nämlich, kommt definitiv da nicht zur Geltung. Sie zeigt sich weder in Versen noch in Prosa, noch im ethischen Anspruch oder moralischen Diskurs, ja überhaupt in keinem Diskurs, sondern einzig und allein in der gesellschaftlichen Praxis wohl.

Wenn ich mir anschaue, was da gerade mal wieder als gesellschaftliche Praxis vorgeführt wird, zum Beispiel in Folge eines gewissen Sarrazins neuesten Pamphlets, nachzulesen in der FAZ.net von heute (vgl. meinen Beitrag: Die „Elite“ reibt sich die Finger), dann weiß ich genau wessen Geistes Kind eine Bildungspolitik sein wird, in der es ausschließlich um die Niederhaltung der Konkurrenz geht.

Die gesellschaftliche Praxis, die da gewissen Kultusministerkonferenzen folgt, und dies nun schon seit Jahrzehnten – ungebrochen -, ist eben eine solche, dass ein Sarrazin schon auftauchen musste, um deren Proklamationen endgültig ad absurdum zu führen. Da inszeniert sich eine Kulturelite in Eliteschulen solange und offenbar auch unangegriffen, bis das alles durch gewisse Skandale desavouiert wird. Die Eliteschulen sind wohl mal für den Moment obsolet, sodass ein Proletariat, gleich welcher nationalen Herkunft, mit brutaleren Mitteln als eben nur Ausgrenzung nieder gehalten werden muss, und zwar dies solange, bis das Malheur beseitigt, bzw. Ersatz gefunden ist (in diesem Sinne gebe ich dem Geyer – siehe oben – sogar recht: eine gewisse Orientierungslosigkeit ist da wohl mit bei!)

Der Klassenkampf ist es, der dort tobt, der reinste, der vielleicht auch verzweifelste. All das Gerede von Bildungschips und dergleichen soll davon ablenken. Es geht um genau das Gegenteil: um die Verschärfung der Differenz.

Die Krise der Bourgeoisie war nie so deutlich. Doch die Bildungsschranke macht es eben möglich, dass sie politisch weitestgehend wirkungslos bleibt. Und genau deswegen ist der Kampf für eine Bildung, einer Breitenbildung, der Massenbildung, einer solchen, die ihren Weg von Innen nach Außen zu finden hat, so wichtig.

Solch innere Werte, und das sind alles andere als eben jene konservativen, die da nämlich nichts anderes als Klassenborniertheiten zum Besten geben, erkennen wir daran, wo sie Bildungsprivilegien durch praktische Politik unmöglich machen.

Das heißt heute: Aufgabe der Trennung zwischen den verschiedenen Schulen, zwischen sog. Begabten und sog. Minderbegabten und damit letztlich auch zwischen theoretischer und praktischer Bildung, zwischen Gymnasium und Hauptschule. Inclusion heißt das Stichwort, und doch sagt das nur zu einem Teil des Problems was aus. Denn so wie die besondere Begabung nur einer besonderen Theorie, will heißen einer besonderen Trennung der Theorie von der Praxis folgt, so verfestigt sie die schlechte Position der in der Konkurrenz zu Unterliegenden, den sog. Minderbegabten, den Kindern des Proletariats. Denn die Begabung ist das Privileg der Herrschenden, derer die die Herrschaft eben bis zur besonderen Begabung betreiben.

Calcium im Käse?
@Don Alphonso: Ich muss Sie enttäuschen. Da im Käse auch Phosphor ist, es ist nun mal ein tierisches Produkt, und dieser das Calcium „verzehrt“, ist der Calciumgehalt im Käse sogar negativ. Das meiste Calcium ist übrigens in der Petersilie enthalten. Erheblich mehr als in den calciumreichsten Käsesorten. Außerdem sind die Mineralien aus pflanzlicher Kost besser zu verstoffwechseln als aus tierischer, bzw. auch dann aus Nahrungsmittelergänzungen. Was letztere angeht, da könnte man ehe gleich Steine fressen, das hätte dann wohl denselben Nährwert wie in den gängigen Mineralienzusätzen. Gelesen habe ich das in einer ganz ordinären Schrift der Schulmedizin zur Behandlung von Osteoporose. Der Witz am Rande: Trotz dieses Wissens ob des Negativgehalts von Calcium im Käse, bzw. überhaupt in Milchprodukten, folgt am Ende dann doch der Ratschlag an den nun völlig irritierten Leser, nämlich dass Milchprodukte trotzdem nicht schaden. Dieser Tipp ist dann wohl eher einer kränkelnden Milchindustrie gewidmet.

Der rassistische Mob und die „Vertilität“ der Türken
@Filou: Der „rassistische Mob“, von dem bei HansMeier555 die Rede ist, ist definitiv nicht als ein neonazistischer zu erkennen, jedenfalls nicht so ohne weiteres. Erstens gibt es immer noch Gesetze dagegen und zweitens herrscht in Deutschland die Political Correctness. Also kommen die Gestalten gemäßigt daher. Ihre Argumente sind dennoch rassistisch und eignen sich zur Mobilisierung eines Mobs. Die Angriffe gegen Geyer kommen im Übrigen fast immer von denselben Leuten. Es ist dies u.a. auch der gleiche Mob, wie wir ihn schon von der „Die Zeit“ her kennen (ich kenne sie jedenfalls). Also ein vagabundierender, dennoch bürgerlicher (sehr wahrscheinlich kleinbürgerlicher) Mob.

Und die Klassenbezeichnung kleinbürgerlich scheint immer noch mit dem Mob von Rechts zusammen zu fallen. Daran hat sich sei dem Hitlerfaschismus wohl wenig geändert.
Es ist ein Mob, dem tiefe Zusammenhänge eben wegen dessen Klassenspezifität einfach nicht liegen. Sie bewegen sich erkenntnistheoretisch und damit argumentativ in etwa auf eines Sarrazins Ebene. Die Erscheinungen werden auf rassistischer Grundlage polemisch verallgemeinert. Inwieweit das den Tatsachen entspricht, oder gar den Hintergründen, ist dabei nicht von Interesse.
Ein Beispiel: Nehmen wir die „hohe Fertilität“ bei den Türken, wie so forsch auch bei Sarrazin behauptet. Mag sein, dass die erste und auch die zweite Generation der eingewanderten Türken noch kinderreiche Familien mit sich brachten, stammten sie doch oft noch von bäuerlichen Klassen ab. Aber schon in der 3. Generationen hat man begriffen, dass man da in Deutschland schnell unter die Armutsgrenze fällt. Abgesehen von dem Mangel an ausreichendem Wohnraum. Auch der Familienzusammenhang zwischen den Generationen ähnelt zunehmend dem der sog. „Gastgeber“. Alte Menschen werden in Alten- und Pflegeheime genauso selbstverständlich untergebracht (allerdings lässt unsere Heimkultur da noch einiges zu wünschen übrig Stichwort: Mangel an Kultursensibilität), wie junge Türken immer mehr Urlaub machen in typisch deutschen Urlaubsdestinationen, außerhalb der Türkei natürlich, vorausgesetzt, sie können es sich leisten. Um nur mal zwei, und ganz sicherlich nicht rein zufällige, Phänomene genannt zu haben.
Ich weiß wovon ich rede, denn ich arbeite in diesem Bereich.

Linke machen Sozialstudien, beobachten die Veränderungen und versuchen sie vor dem Hintergrund geänderter Klassen- bzw. Sozialisationsstrukturen zu begreifen. Darauf aufgebaut organisieren sie den Widerstand gegen die kapitalistische Ausbeutung, wie auch gegen die rassistische Hetze, die ein Teil der Ausbeutung ist. Rechte sind fixiert auf die scheinbaren Nichtveränderungen, pfeifen auf eine anständige (Klassen-)Analyse und verbreiten bestenfalls Wahrheiten von gestern.

Die Behauptung, dass Araber, Türken und Schwarzafrikaner nur Kinder machen und Gemüseläden organisieren, ist eine üble rassistische Hetze. Erstens stimmt sie nicht mit der Wahrheit überein und zweitens geht sie zudem an der Sache vorbei.
Ob Gemüseladen, oder Tabakladen, oder Taxifahrer, das alles sind Hinweise auf eine gewisse Klassenstruktur, die in großen Teilen der arbeitenden Migranten noch deutlicher ausgeprägt ist, als bei uns, nämlich den kleinbäuerlichen, resp. kleinbürgerlichen ihrer Heimatländer; die dort den oft noch feudalen diametral entgegen gesetzt sind. Die beruflichen Prioritäten ergeben sich somit, wenn sie nicht eh als Lohnarbeiter ihren Lebensunterhalt verdienen müssen, ganz von selbst.

Die Sozialstruktur unseres Landes ist es im Übrigen, welche es den Migranten schwer macht die Klasse zu wechseln. Großbourgeois wäre da eine Option doch nur, wenn man als solcher schon ins Land gekommen ist, wie z.B. viele Iraner, die nach dem Sturz des Schahregimes, viele haben hier studiert und eben nicht malocht, hier geblieben sind (oder wieder gekommen, diesmal als politischer Flüchtling) und teilweise auf ein großes Familienvermögen zugreifen konnten. Natürlich gibt es dementsprechend weniger iranische Gemüsehändler, denn eben viele Teppichhändler – Basaris -, mächtige Leute; die Bourgeoisie, dort in deren Heimatland.
All das und vieles mehr wird in einer auf Rassismus zugerichteten Hetze natürlich ignoriert.

faz.net/blogs/stuetzen/archive/2010/08/24/bildung-als-investition

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  • Von Wenn es nicht so ernst wäre, wäre es zum totlachen am 29. August 2010 um 18:27 Uhr veröffentlicht

    […] betrachtet wurden. All das und noch viel scheint sich nun auf absurde Weise zu wiederholen. Und der Sarrazin, der hier so über den grünen Klee gelobt wird, von den üblichen Verdächtigen, scheint einen […]

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