Der dünner werdende Puffer
Die „Mittelschicht“ ist – im Verhältnis zur Unterschicht – noch am wenigsten betroffen, aber definitiv nicht die Profiteurin. So stimmt es vielleicht. Nur müsste man jetzt erst mal definieren, was die Mittelschicht ist. Ist sie gar identisch mit der Masse der – noch – Berufstätigen? Oder ist sie die Oberschicht der „Arbeiterklasse“ – die „Arbeiteraristokratie“, mit den entsprechenden Teilen der Angestellten und Beamten gar, vielleicht noch die Unterschicht der Bourgeoisie (das Kleinbürgertum) hinzu zählend? Oder ist die Mittelschicht gar die gesamte Klasse der Bourgeoisie, mit Ausnahme von den Spitzen des Kapitals und deren politischen Vertretern – der „politischen Klasse“? So besehen wäre ein Gabriel deren Repräsentant und er beschriebe sich selber als eben jener Profiteur der sozialen Sicherungssysteme – vorausgesetzt man betrachtet Bundestagsdiäten und Ministergehälter als Teil dieser sozialen Sicherungssysteme. Ich neige dazu den Begriff ganz zu vermeiden, denn er ist irreführend. Richtiger wäre vielleicht folgende Formulierung: Die Masse der ehe schon immer arm Gewesenen, die Arbeiter, die Arbeitslosen, ein Großteil der Rentner, auch Teile der Studentenschaft und ein neues Millionenheer prekär Beschäftigter bis in die Reihen der Intelligenz, sind die Hauptverlierer der letzten Jahrzehnte, eben jenes „Neoliberalismus“. Der Gewinner ist eindeutig nur das Finanzkapital, dazwischen verdünnt sich der Puffer aus all jenen Schichten, welche im unterschiedlichen Maße betroffen sind.
zeit.de/2009/49/Interview-Gabriel