Ohne Würde

Ohne Würde
„Nicht der Armut kommt das Prädikat »Würde« zu, sondern nur den Armen.“ Da ist was wahres dran, und auch mir kam dies spontan in den Sinn, bei der Lektüre eines Greiners „Würde der Armut“, jene ganz offensichtliche Rechtfertigung dieser und jener neoliberaler oder auch konservativer Gesellschaftskonzepte durch diese Sloterdijks durch die Hintertür (siehe auch meine persönliche Antwort auf Sloterdijk, und: blog.herold-binsack.eu). Dass man Klassenkampf mit Klassenversöhnung bekämpft, das ist nicht wirklich neu, aber Armut durch Armut, das ist originell.
Und doch wohlfeil, diese Erwiderung aus den Reihen der Kirchenoberen. Denn selbstredend ist kirchliche Sozialpolitik nicht auf Gesellschaftsveränderung gerichtet, sondern auf die Erhaltung des sog. „Sozialen Friedens“, ist also strukturell konservativ. Würde erwirbt man nicht qua Geburt – und daher gibt es weder eine Würde des Ungeborenen, noch eine Würde, die nicht „antastbar“ wäre – , denn „die Würde des Menschen“ ist aus dieser Perspektive kein „Grundrecht“, sondern eine Grundpflicht, eine, die den Kampf um Würde voraussetzt. Der Arme, der sich wehrt, erwirbt diese Würde, der Rest lebt, wie all die, die da teilnahmslos verharren, gleich ob betroffen oder nicht, würdelos – ohne Würde.

Die Würde ist so konkret wie antastbar
Aus meiner Perspektive ist die Bergpredigt kein revolutionäres Programm, sondern ein Friedensangebot an die Herrschenden, bestenfalls ein Hungermarsch der Geknechteten. Und dabei ist es geblieben, was auch der Grund dafür ist, dass es zu keiner revolutionären Veränderung kam, unter Beibehaltung der Positionen der Bergpredigt.
Die „Würde“ ist kein abstrakter Begriff, auch nicht als „Wertschätzung“, da der diesbezügliche „Wert“ mit anderen Werten gekoppelt ist, gesellschaftlich konkreten Wertungen, wahrnehmbaren: anerkannte Leistung, gesellschaftliche Stellung, Klassenzugehörigkeit…
Abstrakt daran ist nur die sich dahinter zu verbergen suchende formale Ethik: eine die allen Klassen gerecht sein möchte.
„Sich ändern“ ist schön gesagt. Es sind die gesellschaftlichen Verhältnisse, die die Menschen machen, also müssen diese verändert werden um auch den Einzelnen eine Chance zur Änderung zu geben. Armut ist kein Ausweis für ein besseres Sein, aber es ist die Voraussetzung für ein unveränderliches, ein fatal verlorenes. Die Armen sind die letzten, die sich ändern können, wenn sie nicht sofort verhungern wollen. Zu Überleben bedeutet für sie, jede Chance wahr zu nehmen, auch die übelste, die unethischste, die unwürdigste. Die Würde ist so konkret wie antastbar!

16. Der Pfahl im Fleische
Nachtrag: Habe erst jetzt – über einen FAZ-Leserbrief zum Herrhausen-Mord – erfahren, dass es ein Meinhof-Buch gibt, unter dem Titel: “Die Würde des Menschen ist antastbar”. Der von mir verwendete Satz – „die Würde des Menschen ist so konkret wie antastbar“- mag durchaus im Sinne jenes Meinhof-Diktums gemeint gewesen sein – ich habe das Buch noch nicht gelesen -, ist aber kein Plagiat, zumal mir es hier um den „konkreten“ Kontext geht.
Zum Thema selbst noch einmal (auch als Antwort an amadeusw u.a.): Sich mit den Verhältnissen abfinden, ist per se, also immer, ein Friedensangebot an die Herrschenden, zumindest dies aus der Perspektive des Klassenkampfes. Und die kirchlichen Einrichtungen denke ich mir gerne weg, dann aber auch die Milliardensubventionen des Staates an diese Kirchen, sowie natürlich auch die in kirchlichen Einrichtungen praktizierte Arbeitnehmerfeindlichkeit, bis hin zu der regelmäßig schlechteren Entlohnung. Jene sozialen Einrichtungen sind das Rückgrat der kirchlichen Macht, heute, also ein Privileg, keine soziale Fürsorge für die Armen, und selbst wenn als eine solche, dann eben im Sinne jenes „Friedensangebots“, und auch als Pfahl im Fleische der gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmerschaft.

zeit.de/2009/48/Antwort-auf-Wuerde-der-Armut

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