Jeder Baum ein Feind

Jeder Baum ein Feind
Nicht wenige Kriminalgeschichten-/Romane haben natürlich einen sozialgeschichtlichen Hintergrund, wie andere ja auch schon bemerkten (Sundance Kid./.Pinkerton, siehe: Lehmann…), und das schlechte Gewissen diesbezüglich mag einen Sozialistenfresser wie Mises schon umgetrieben haben. Dass er sich allerdings auf solch plattem Niveau der Apologie bewegt, ist schon einigermaßen erstaunlich. Er spiegelt darin 1:1 die Paranoia der Herrschenden, einer solchen, die dann all zu oft in der Mordgier dieser Klasse endet, also in jenem Genre der Kriminalgeschichte, worin es gleich Sozialgeschichte ist, und in dieser=Konterrevolution. Das sind dann die Höhepunkte, oder auch absoluten Tiefpunkte der Klassengesellschaft. Selbst Theorie ist dann nur noch Vernichtungswut, oder die Hoffnung auf die reinigende Kraft der Vernichtung. Hören wir solches nicht all zu oft, auch jetzt schon wieder?
Ein anderer Kandidat diesbezüglich, war dann wohl Heidegger, ein jener, der glaubte semantisch den Marxismus verschwinden lassen zu können, quasi durch Zaubertrick seiner Sprachmagie. Die Wahrheit mit Worten zu vertreiben suchend, sie ent-sorgend, somit auch die Sorge um sie (ich habe ein wenig gelernt von Heidegger). Bis er dann sein Scheitern bemerkte und die einzig logische Konsequenz zog. Nach dorthin, wo man sich konsequenter wähnte, und das ja auch im gewissen Sinne war.
Die Nazis sind wohl ein Sammelbecken dieser und jener Irre-Gewordenen des Kapitals, am Kapital, manchmal auch durch das Kapital, aber auf jeden Fall wegen des Kapitals. Ihr Bolschewisten -und Judenhass entlarvt die hermeneutische Falle, in die sie als verrückt gewordenes automatisches Subjekt einfach gehen mussten. Der Judenhass steht für ihr unbegriffenes Subjektsein – verfremdeter Fremdhass -, der Bolschewistenhass für das ins Objekt eingebundene Sein – entfremdeter Selbsthass.
Der Kapitalismus fließt zum Sozialismus, wie alle Wasser zum Ozean, darin ist das Subjekt eingebunden. Dies nicht begreifen/akzeptieren zu können, macht letztlich Mörder, oder Selbstmörder –, jene verrückt Gewordene. Das ist die Schiene der Barbarei, der gleiche Strom zum gleichen Wasser. Oder auch die Schattenseite der materiellen Welt. Die andere Möglichkeit.
Mitscherlich hatte Recht, aber er wusste es ja auch: Die Normalität ist verrückt, so verrückt, wie man ihr gar nicht abnehmen mag, denn wer mag sich schon selbst erkennen. Wer mag schon glauben, dass ein bekannter, wenn auch durchschnittlicher – normaler – Ökonom Kriminalromane hasst (schreiben hätte er sie sollen!), und das nur, weil er glaubt, dass sie Wasser auf die Mühlen des Sozialismus seien. Das ähnelt ein wenig eines jenen antiken Glaubens an die Magie der Objektwelt, die man von der Subjektwelt (noch) nicht geschieden weiß. – Jeder Baum ein Feind.

Reines Böses, wer mag es berechnen?
noirony4884: Das Böse war schon immer siegreich(er), zumindest seit bekannter Geschichtsschreibung, nur wurde es selten als solches rationalisierend verherrlicht. In der griechischen Antike lebte man da noch eine gewisse barbarische Unbekümmertheit, und bekanntlich schlachteten die Römer ja Menschen, wie wir heute das Vieh, oft gar mit der gleichen Kälte und Technik (Stoß in die Halsschlagader). Doch war es ihnen Lust- wie Einkommens- und Machtgewinn – gleichermaßen -, in allen Schichten und Klassen.

Die Oberstufe der Barbarei zeichnete sich gerade durch ein gewisses Patt von Kulturschaffen und Sublimierungsprozessen aus. Es war gerade so als wolle sich die Geschichte noch einmal so richtig ausruhen, vor ihrem nächsten Jahrtausendsprung. Auf gar merkwürdige Weise. Historisch einmalig jene merkwürdige Ambivalenz zwischen Nero und Seneca, wie ein Vorgriff auf Jekyll & Hyde, nur dass die Symbiose nicht wirklich war. Nicht ein Nero machte einen Stoizismus eines jenen Seneca, sondern jener Stoizismus einen Nero. Lustgewinn wie Machtausübung entsprachen einer ambivalenten Kultur, einer solchen, die sich noch nicht entschieden hatte, ob sie die „Zivilisationsstufe“ überhaupt erreichen soll, erreichen wolle, ob sie die Kraft dazu aufbringe, fast so, als wolle sie sich fragen, ob diese überhaupt nötig sei, denn barbarisch sei man selbst genug.

Der Stoizismus war eine jene Philosophie, die die kommende Epoche durch Gleichgültigkeit zu verhindern suchte, durch ein Maximum an Duldung, als ob sie durch stoische Ruhe und Gelassenheit jene geradezu zu hypnotisieren suchte. Und ein Marc Aurel war nicht von ungefähr der Letzte in dieser Runde und darin zugleich die absolute Verschmelzung von einem Maximum an Macht wie Ohnmacht. Kennzeichnend die Selbstgespräche jenes Philosophenkaisers, deren Ende quasi als sinnlos dahin gemordet in des Kaisers Ermordung durch dessen Sohn Commodo.

Die nordischen, wie östlichen, Barbaren, die Träger der kommenden Epoche, stürmten von nun an eines Roms morsche Mauern wie dessen auch ideologischen Festungen – unaufhörlich. Der Stoizismus war obsolet, es folgten, durch ein Jahrhunderte andauerndes „schwarzes Loch“ hindurch, klerikale Philosophien. Die Philosophie wurde „ent-laizistiert“, so wie die Gesellschaft entbarbarisiert durch nordisch-barbarische, christlich-feudale und östlich-mongolisch-barbarische Horden. Es folgte ihr die tausendjährige Herrschaft der Inquisition, von der es scheinen will, dass sie nicht wirklich abzutreten wünscht.

Manchmal verbargen sie ihr Tun hinter ideologischen Fassaden – jene Schlächter (die Republik gegen die Aristokratie und vice versa, wie unter Cäsar). Und noch im 30-jährigen Krieg war das Abschlachten – zumindest unter den Massen – noch mehr Unbekümmertheit und Lustgewinn (das Lustkalkül der Vergewaltigungen noch nicht eingerechnet) als das damit verbundene Gewinnstreben. Und doch waren wir schon längst über die Stufe der Zivilisation geschritten. Das Töten war industriell organisiert. Denn auch dieses war bereits sublimiert. Kultur = Waffenkultur = Gesellschaftsordnung = Zivilisationsstufe. Unbekümmertheit waren oft gespielt wie die Lust ver-/ge-heuchelt und das Gewinnstreben in den Spitzen der Gesellschaft längst kultiviert. Ein Calvin, ein Luther mögen bezeugen…

Aber erst durch den modernen Rationalismus hindurch kommt auch endlich jetzt diese Seite des Menschen zur vollen Blüte. Man schlachtet, meistenteils der Sache gegenüber völlig unlustig und größtenteils auch gleichgültig zu jenen gequälten Menschenleibern, ausschließlich nach Gewinnmaxierungsidealen, so wie das Vieh halt auch. Der Faschismus, so besehen, als eine – systemisch besehen – beinahe notwendige Durchgangsphase. Und Mengele ein Demiurg jener neuen Epoche. Dieses „Böse“ muss als solches gar nicht mehr verschleiert werden, dämonisiert ja, aber auch nur äußerlich – am anderen – ; es ist spätestens seitdem verinnerlicht, adaptiert, Kulturgut, wenn auch negatives, denn doch sich jeder weiteren Sublimierung widersetzend. Wie sehr, das sehen wir an den Exzessen in Abu-Ghraib und anderswo, oder an den irren Folterobsessionen gewisser Politiker in den USA und auch wiederum anderswo (Ein teuflisches Päckchen). Es bietet sich dar, als des Menschen eigene Urgewaltlichkeit. Als Natur-Rest gegen jede weitere Vergesellschaftung, von der aufgeklärten Kritik darin sogar scheinbar bestätigt, denn doch nur vorläufiges Endprodukt einer bisher noch nicht vollendeten Vergesellschaftung. Die Geschichte, jene, die in die ontologische Falle blind tappte, nun zu spalten suchend: Will man die Vollendung – eine solche gar? Oder lieber doch nicht? Aber dann wohin?

Der Kampf gegen den Terrorismus ist die dabei aktuelle ideologische Plattform. Diese dient der Ent-sorgung jeder verinnerlichten Form, wie auch jeder äußerlichen, der Ent-äußerlichung also, denn dem anderen darf man das Böse tapfer/dreist in Rechnung stellen. Der Kampf gegen das Böse erlaubt jede nur denkbare böse Handlung. Quidproquo, auf allen Ebenen eines nur noch abstrakt gehandelnden Bösen, eines auf die Spitze getriebenen Pragmatismus. Gnadenlos auf das Ziel hin orientiert. „Das Schweigen der Lämmer“, kein zufällig gewählter Metapher, denn die Genialität dieses Krimis zeigt sich im Handel mit dem Bösen, so als wäre es Geld – Zahlungsmittel, „allgemeines Äquivalent“ (Marx). „Quidproquo“ – jene von Hannibal Lector an FBI-Agentin Starling gerichtete unerbittliche Forderung – heißt dieses „Äquivalent“. Um dem Bösen auf die Spur zu kommen, musste sie diesem als Vorauszahlung die bösartigsten Avancen machen. Teuer bezahlen, auch mit Menschenleben, wie im realen Leben, musste sie. Dem realen Leben allerdings – denn einer Starling verlieh der Erfolg ihrer Handlungen noch Sinn, Buffalo Bill war schließlich gefasst – scheint die Ideologie irgendwie abhanden, da keiner Ordnung mehr angehörend, und damit den Preis verschleiernd, sowie den Preis der Waren im Übrigen überhaupt. Wer rechnet schon den Kulturzerfall als Preis, sowenig wie die Naturzerstörung wohl?
Und doch nur die andere Seite der materialisierten Ideologie, ihr reines virtuelles Substrat – wahre Magie -, reines Böses. Wer mag es berechnen?

Das Motiv, die Gelegenheit und…
@Lovenberg: Nicht nur die Leichen des Kapitals machen den Kapitalismus zu einem Kriminalroman, die aber auf jeden Fall, und solchermaßen gar zu einem spannenden, sondern wohl eher die verwandten Methoden um beiden auf die Schliche zu kommen. Die deduktive Methode, das immer weiter Ausschließende, Logik also, dann aber auch Dialektik. Sehen wir uns nur diese Dialoggespanne an. Nehmen wir Sherlock Holmes und Doktor Watson, haben die nicht was von Sokrates und Platon (Diotima/Symposium). Fragen werden gestellt, noch keine Antworten gegeben. Gegensatzpaare heraus gearbeitet, zunächst hypothetische, weitestgehend abstrakte. Und von hier aus werden immer wieder konkrete Wege gesucht, um letztlich den Fall aufzuklären, die Geschichte zu verfolgen, in einem Labyrinth der Gosse, einer dann sehr konkreten Gosse. Das Kapital – als Wiege der Gosse -, zugegeben ein wenig skurril, aber darin liegt wohl der Grund seines Skandalons wie auch für eines Mises Beschwerden, diesbezüglich. Aber die Geschichte als dialektisch zu verstehendes Drama, als eine sich immer aufs neue entfaltende Gegensätzlichkeit, als Identität im Gegensatz, auch das finden wir im Kriminalroman, in der Kriminalgeschichte. Welcher Detektiv, guter Detektiv, wäre nicht genauso gut ein guter Gangster? Also weniger die Geschichte im Skandal als in ihrer Gewöhnlichkeit macht die eigentliche Spannung. Die besten Krimis sind die, die uns die Seele öffnen. Welcher Mord wäre da, der da nicht von jedem von uns hätte begangen werden können, wenn da gewesen wären: das Motiv, die Gelegenheit und die Mittel. Und wenn dem so ist, kann man dem nichts entgegen halten, als ständig die Mittel zu beschränken, denn Gelegenheiten und Motive sind definitiv unbeschränkt, nicht zu beschränken, ein Chaos in ihren Möglichkeiten. Das Skandalon des Kapitals ist ein jenes in seiner Unbeschränktheit bzgl. der Mittel. Das macht es zum Superkrimi. Es kann Verbrechen begehen, die kein normaler Mensch kann, ja nicht mal zu denken vermag. Das ist dann wohl die nüchternste Erkenntnis – aus dem Kriminalroman, wie über das Kapital.

faz.net/blogs/chaos/archive/2009/07/13/mises-und-die-detektive

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