Wohin treibt der Konflikt der bürgerlichen Klasse mit den „Schlechtergestellten“?

Der Beitrag „Kritik am ganzen oder gar nicht“, ist in der FAZ nur in einer gekürzten Fassung, hier ist die ungekürzte.
Und der Beitrag „Warum im Kern antisemitisch?“ wurde von der FAZ-Redaktion bisher nicht freigeschaltet. Ganz offensichtlich treffe ich hier ins Schwarze – in die schwarze Seele, könnte man auch sagen. Starte einen 2. Versuch.
Nachtrag: Nach meinem 2. Versuch hat nun FAZ-Redaktion den gen. Beitrag genau einen Tag später unter der Überschrift „Mehr als Kapitalistenschelte“ freigeschaltet. Der Text blieb ansonsten unsenziert. Damit kann ich leben, wenn ich auch nicht ganz einzusehen vermag, warum meine Überschrift weniger passend sein soll, zumal genau dieser Satz im Text erhalten blieb. Es wäre schön, wenn die Redaktion sich zu solchen und ähnlichen Merkwürdigkeiten mal äußern würde.

Wohin treibt der Konflikt der bürgerlichen Klasse mit den „Schlechtergestellten“?
Siehe auch: Wie der Hase und der Igel
Hier streiten zwei Moralphilosophen (Kantianer kontra Hegelianer, subjektiver gegen objektiven Idealisten) und ein dritter gesellt sich zwecks Beurteilung dazu („letzterer denkt auf eigene Rechnung…“). Worum geht es hier also? Um die Aufdeckung oder um die Verschleierung des Klassenkampfes, der Klassengesellschaft („Konflikt zwischen der ‚bürgerlichen Klasse‘ und den Schlechtergestellten“)? Sloterdijk leugnet den grundsätzlich ausbeuterischen Charakter des bürgerlichen Staates, dessen Klassencharakter: es beute die Bürokratie die Bourgeoisie aus – ein frecher, wenn auch nicht sonderlich neuer Gedanke; der bürgerliche Intellektuelle fordert seinen „gerechten“ Anteil an der Ausbeutung ein. Honneth reduziert den Klassenkampf auf den moralischen Apell, stellt das Recht der Bourgeoisie auf Ausbeutung in Frage, denn es sei „raffendes“, ergo „erbendes“, zinsschneidendes Kapital. Auch dies ist nicht wirklich originell, zumal verdächtig nahe an antisemitischen Ressentiments. Sinn hat Recht mit seiner Kritik an einer solchen Kritik! Keiner stellt die Frage, wohin diese Gesellschaft treibt, zum Sozialismus oder in die Barbarei? Denn auch der hier bemühte Keynes verordnete nur Wohlstand durch Wachstum, aber wohin wächst die Gesellschaft?

Kritik am Ganzen oder gar nicht
@Tremmel: Nicht jede Kapitalismuskritik ist eine. Auch die Nazis haben von der Macht und der Gier des Geldkapitals geschwafelt. Sie meinten damit aber ein sog. raffendes Kapital, das selbstredend jüdisch konnotiert sei, im Gegensatz zum „schaffenden Kapital“, das natürlich urdeutsch, sprich: arisch sei. Und ja, diese Art von Kapitalismuskritik ist antisemitisch. Und jede Anspielung auf die Unterscheidung eines raffenden zum schaffenden Kapital referiert auf diesen antisemitischen Kontext. Eine Kapitalismuskritik unterscheidet nicht, ob Kapital erwirtschaftet oder ererbt wurde, oder ob es sich in realer Produktion oder in der Zinswirtschaft reproduziert, denn alles gehört zusammen, ist Teil des Ganzen. Ein Kapital das erwirtschaftet wird und nicht vererbt, ist keines, kann sich nicht reproduzieren, nicht als Kapital jedenfalls, sowenig wie ein produzierendes Gewerbe ohne Geldwirtschaft expandieren könnte, und ein Kapital das nicht expandiert ist ebenso kein Kapital, es hätte nie die Chance Kapital zu werden, es bliebe bestenfalls eine zeit lang zirkulierendes Geld. Investitionen amortisieren sich nicht umgehend und auch nicht unmittelbar. Es ist ein langer, komplexer und wechselvoller Prozess, der aus Geld Kapital macht, resp. aus Arbeit, Mehrwert und dann Kapital. Im Übrigen ist und bleibt das Kapital im objektiven Zustand abstrakt. Die Subjekte des Kapitals: der Kapitalist, der Arbeiter – das automatische Subjekt – sind nicht unmittelbar Agenten des Kapitals, sowenig wie sie untereinander einfach austauschbar sind. Nur als Kapitalistenklasse kann man von Kapital sprechen, und doch bleibt auch hierbei ein Rest an Abstraktion übrig (das Ganze ist mehr als die Summe ihrer Einzelteile), an nicht Unmittelbarkeit. In diesem Rest befindet sich das bisschen Unschuld der Klasse – auch das der Kapitalistenklasse -, an den Verhältnissen an denen sie wunderbar profitiert. Hier ist der Käfig, wenn auch ein goldener, der sie umfasst, sie zum automatischen Subjekt macht, sowie die Klasse der Arbeiter. Auch diese Klasse ist nur als Klasse mehr als nur automatisches Subjekt, hat nur als Klasse einen Rest an Freiheit, an Möglichkeiten, an revolutionärer Potenz, was sie über ihre gegenwärtige Lage erhebt. Nur als Klasse, und nur im Kampf Klasse gegen Klasse, kann es ein revolutionäres Subjekt geben. Als Individuum ist der Arbeiter kein besseres Subjekt als der Kapitalist. Der Arme ist nicht apriori und per definitionem der bessere Mensch (vgl. W.S. Maugham, Silbermond und Kupfermünze), sowenig wie jede Kritik am Reichtum eine revolutionäre ist. Aber: nur die Arbeiterklasse ist an einer revolutionären Veränderung interessiert, an sie gebunden – perspektivisch jedenfalls -, das Kapital, die Kapitalistenklasse ist das selbstredend nicht. In diesem Punkt sind sie nicht austauschbar, nicht identisch, nicht frei! Gewissermaßen determiniert.
Subjektive Zuschreibungen von Teilen des Ganzen auf Einzelne, vermitteln eine falsche Kritik, eine verkürzte, in aller Regel reaktionäre, und – vor dem Hintergrund der Nazibarbarei – antisemitische. Kapitalismuskritik ist mehr als Kapitalistenschelte, sie ist Kapitalskritik, Kritik am Ganzen, am System, an der Marktwirtschaft, und niemals nur an der Zinswirtschaft, der Gier, dem Reichtum, auch nicht dem ererbten.
Das Kapital hatte sich schon überlebt als es das Licht der Welt erblickte, denn mit der Entstehung der Arbeit. Hier liegt die Perspektive, der zum Sozialismus oder zur Barbarei. Die Kapitalistenklasse versucht sich darüber hinaus zu retten, die Arbeiterklasse versucht sich als solche zu retten, was ihr den Status der Armut nur sichert, das verhindert den Sozialismus und schafft die Option der Barbarei, kommt der Kapitalistenklasse also entgegen.

Schwere Kost
@Rösner: „Und wenn ich mir dennoch eine solche Unterscheidung genehmigen will und ausdrücklich eine anti-semitische Stoßrichtung ausschließe, erlauben mir dann der Herr gnädigst, diese Unterscheidung treffen zu dürfen?“ Aber bitte schön, tun Sie was Sie mögen. Aber das hindert niemanden daran, genau diese Unterscheidung als eine im Kern antisemitische zu denunzieren. Wenn Sie wissen wollen, wie Kapital entsteht, müssen Sie sich mit dem Wesen des Kapitals beschäftigen, dazu sollten Sie „Das Kapital“ lesen, das von Karl Marx, danach, wenn Sie wollen, können wir darüber reden, nicht nur „wessen Frucht der eigenen Arbeitsleistung“ das Kapital ist, sondern auch, wie wenig uninteressant dabei die ideologisch motivierten Wunschvorstellungen der einzelnen Subjekte sind, und vor allem aber auch, auf welcher Abstraktionsebene Kapital zu betrachten ist (Stichwort: Wertform der Ware). Es ist keine leichte Kost, und Wut im Bauch ist nicht weniger hinderlich für das Studium schwerer Literatur wie ein zu schweres Essen, man kann nur eins von beidem.

Warum im Kern antisemitisch?
@Rösner: Subjektive Zuschreibungen von Teilen des Ganzen auf Einzelne, vermitteln eine falsche Kritik, eine verkürzte, in aller Regel reaktionäre, und – vor dem Hintergrund der Nazibarbarei – antisemitische. Kapitalismuskritik ist mehr als Kapitalistenschelte, sie ist Kapitalskritik, Kritik am Ganzen, am System, an der Marktwirtschaft, und niemals nur an der Zinswirtschaft, der Gier, dem Reichtum, auch nicht dem ererbten. Das Kapital hatte sich schon überlebt als es das Licht der Welt erblickte, denn mit der Entstehung der Arbeit. Hier liegt die Perspektive, der zum Sozialismus oder zur Barbarei. Die Kapitalistenklasse versucht sich darüber hinaus zu retten, die Arbeiterklasse versucht sich als solche zu retten, was ihr den Status der Armut nur sichert, das verhindert den Sozialismus und schafft die Option der Barbarei, kommt der Kapitalistenklasse also entgegen. Nur als Klasse, und nur im Kampf Klasse gegen Klasse, kann es ein revolutionäres Subjekt geben. Als Individuum ist der Arbeiter kein besseres Subjekt als der Kapitalist. Der Arme ist nicht apriori und per definitionem der bessere Mensch (vgl. W.S. Maugham, Silbermond und Kupfermünze), sowenig wie jede Kritik am Reichtum eine revolutionäre ist, eine antikapitalistische.

faz.net/Honneth contra Sloterdijk:Der Vermögensverwalter, 25.09.09

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Ein Trackback

  • Von Vorausschauende Konterrevolution am 28. September 2009 um 20:44 Uhr veröffentlicht

    […] daher mit einem Artikel von mir (den ich ungekürzt nur in meinem Blog untergebracht habe, s.a.: „Wohin treibt der Konflikt der bürgerlichen Klasse mit den „Schlechtergestellten“?) auf den politischen Rahmen eben dieser Auseinandersetzung im philosophischen Bereich zu […]

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