In der Epigene wird Werbung bald sein

In der Epigene wird Werbung bald sein
Kapitalismus funktioniert überhaupt nur, weil Produkte auf den Markt gebracht werden, die zunächst keiner braucht. Es handelt sich ja auch nicht um sog. Gebrauchsgüter („Gebrauchswerte“!, das wohl auch, aber nur in abgeleiteter Linie), sondern um Tauschgüter. Man tauscht ein Gut gegen ein anderes. Und was tauscht man? Was man nicht braucht, selbstredend. Ware gegen Ware, bzw. Ware gegen Geld. Aber das Geld, das braucht man. Man tauscht es, man will es wieder haben (nicht die Ware – dass mir jetzt keiner auf die Idee kommt, Gewinn realisiere man durch den einfachen Tausch – dieser wäre gesamtgesellschaftlich gleich Null -; da muss noch ein anderer Wert sein, ein „Mehrwert“, den es da zu verramschen und zu vereinnahmen gälte).
Abstrakte Arbeit ist es, was da auf den Markt kommt, womit gehandelt wird; und eine solche hat so recht eigentlich keine Form. Flüssige abstrakte Arbeit muss es sein, damit sie in Form bleibt und Geld umsetzt, Kapital realisiert, Mehrwert erheischt. Und wer kauft schon freiwillig flüssige, abstrakte, Arbeit? Ein Grund mehr für Werbung. Denn die Innovation solch flüssiger Arbeit geht weit über dem hinaus, was ein Mensch braucht, in aller Regel auch an dem vorbei, aber nicht an dem, was das Kapital braucht, um sich erneut zu verwerten, den Wert zu verwerten.
Ohne Werbung kämen solche Produkte niemals an den Mann/an die Frau, sowenig wie der Kapitalist an seinen Mehrwert, den aus der Ware Arbeit. Werbung gilt allen, richtet sich an alle, da sie alle den inneren Markt bilden, ohne das es kein Kapital gäbe. Auch das Kapital selber ist hier „innerer Markt“ – Kunde. Sich Werbung wegzuwünschen ist legitim, erinnert sie einem doch ständig daran, wie gleich wir sind, wie gleich wir dem Kapital sind, wie gleichförmig wir alle sind, als Kunde, als Kapital, als abstrakte Arbeit, gleich doch alle vor ein und demselben Kapital – gleich vor unserem „Gott“; aber dies hieße sich gleich den Kapitalismus wegzuwünschen, Gott zum Teufel zu verdammen.
Werbung ist heute allerdings subtiler. Man öffnet seine virtuelle Tageszeitung und bekommt ständig ungebetene Werbebanner. Derer so viele, dass selbst der Popupblocker überfordert scheint, bzw. ein jener ausgetrickst wird.
Man wohnt am Tegernsee, aber man arbeitet woanders, und auch dort ist Werbung. Werbung ist heute überall, nur noch nicht im Blut, in der Gene, aber das wird noch kommen. Neurotransmitter werden uns in Zukunft sagen, was wir zu wünschen haben, brauchen mögen, kaufen sollen, ja überhaupt zu denken haben. In der Epigene wird Werbung bald sein.

Sozialistische Werbung und Ersatzhandlungen
@Cao Ky: Ein wenig ermüden Sie mich, einen solch militanten Prokapitalisten erwartete man gar nicht mehr heutzutage. Doch sollten Sie (wenigstens bei mir) etwas genauer lesen. Ich habe nicht die Werbung verteufelt, sondern den systemischen Zusammenhang zwischen Markt und Werbung dargestellt. Und natürlich haben Sie Recht, dass der Sozialismus (den ich jetzt mal für Kambodscha definitiv ausschließen möchte, ähnlich wie für Korea und so anderen Irrenhäusern), da wo er noch einen Markt bedient (Stichwort: „Sozialistische Marktwirtschaft“ – ein Anachronismus und doch real, die klassenlose Gesellschaft, die Produktion für den Bedarf, kommen nicht wie Phönix aus der Asche, nach 500 Jahren Marktwirtschaft), Werbung macht. Ich möchte mich jetzt aber nicht über die Besonderheiten einer sozialistischen Marktwirtschaft und deren Beziehung zur Entwicklung einer klassenlosen Gesellschaft und damit zum Thema Werbung auslassen. Das habe ich an anderer Stelle mehrfach getan („Einfache Wahrheiten“). Nicht hier, nicht heute. Ich denke, so mancher Kollege hier, wird mir dafür dankbar sein.
@Don Alphonso: Damit rekurrieren Sie auf eine Minderheitenveranstaltung, nämlich die Ihres Refugiums. Glück für Sie, aber eigentlich kein Thema um die Welt zu beglücken. Es so stehen zu lassen, hieße einem „antimodernistischen Reflex“ nachzugeben, wie „auxtroisglobes“ richtig feststellt. Das Problem ist, dass Sie damit eine Menge begeistern, bis auf ein paar Ausnahmen, aber niemanden zu irgendwas Sinnvollem bewegen. Sie liefern uns nur ein weiteres Beispiel einer Aporie des Kapitals. Man stelle sich vor, es entstünde jetzt so etwas wie eine Form der Stadtguerilla, die sämtliche öffentliche Werbeplakate entfernt. Mal abgesehen von den rechtlichen Problemen, die da womöglich auf Sie zurollten, schüfe das einen weiteren Bereich nutzlosen Terrorismus‘ – Ersatzhandlungen.

Marketing, Propaganda und Staatsanwälte
@Ephemeride: Politische Propaganda ist natürlich ein Sonderfall, obwohl Werbung, Reklame, also Marketing, mit der politischen Propaganda wiederum so einiges gemeinsam hat. Beispiele:
Scharf ist nur der Ketchup, Kerry wählen! – oder so ähnlich.
Andere mögen’s vielleicht heißer:
„Nur Monsantos Roundup beschert Ihnen den freien Blick – keine Maisdschungel mehr, in Mexico wie anderswo. Freie Sicht für freie Bürger – von Kalifornien bis nach Chile! – Wählen Sie den Diktatur XY, sponsering by CIA and Monsanto!
Oder: „Gesunder Körper in einem gesunden Geist, das war gestern, jetzt heißt es: „Gesunder Geist für einen gesunden Körper“ – eine Gemeinschaftswerbung von BASF und der Partei Biotech Ludwigshafen – brain stuffs for all (ein wenig Anglizismen – für die jetzt schon Schlauen).
Naja, so offen wird’s nicht gehandhabt, oder vielleicht doch?
Apropos „Freunde“! Seien Sie vorsichtig, mit Ihren offenen Aussagen, die NPD beschäftigt nicht nur Verfassungsschützer, sondern vielleicht auch Staatsanwälte.

Militanter Marxist/Kommunist
@Christoph: Ich erlaube mir das als Kompliment anzunehmen, oder wie ich das von Iranern so schön formuliert finde: Ich schicke mir die Blumen selber nach Hause. Danke.

faz.net/blogs/stuetzen/archive/2009/07/15/werbung-oder-das-gegenteil-von-oben

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