Wenn´s dem Frieden dient

Wenn´s dem Frieden dient
Ach ist das köstlich. Und ich hatte genau denselben Gedanken, als ich diesen Beitrag vor wenigen Tagen vor die Augen bekam. Kulturelle Differenz = Klassendifferenz? So meinte das Bourdieu sicherlich nicht! Nur sagte ich mir gleich: Für d e n Müll habe ich keine Zeit! Darauf gehe ich jetzt nicht ein! Nicht jede pseudowissenschaftliche, also Alibiveranstaltung, soll (m)einer Reaktion würdig sein. Dennoch: Ich ahnte natürlich, dass ich mich da vermutlich doch mehr drüber ärgere, als ich da jetzt zum Besten gebe. (Auch ich bin nicht frei von Heuchelei.)

Ich bin Ihnen daher außerordentlich dankbar für diese wunderbare Replik. Sie ist vermutlich hundertmal besser, als sie mir gelungen wäre, eben unter meiner selbstverleugneten Wut.
Nur eine Frage dazu: Ist das nicht der beste Beleg für des Deutschen Heuchelei im Umgang mit der anderen Klasse? Denn auch der Proletarier heuchelt, wenn er so tut, als gäbs ihn nicht. Es stört ihn maßlos, nicht wahrgenommen zu werden. Anstatt aber dann Krach zu schlagen, wie sich das gehört, und wie wir offenbar nur den Engländern als quasi Naturrecht zugestehen (siehe auch:„Ohne ersichtlichen Grund“), wandert unsere geistige Verfassung von einem pathologischen Zustand zu dem anderen. Nun versucht dieser Proletarier sich in der Kopie des ihm völlig fremden Habitus, schmeißt sich in Seide und kauft teure Autos (und merkt dabei nicht mal, wie er sich da mit dem Abfall der Klasse schmückt, die ihn da so erniedrigt). Und befindet sich nicht gerade aus diesem Grund Allensbach so auf dem Holzweg: Ist doch die kulturelle Differenz nur noch dem Psychiater zugänglich. Denn auch die Bourgeoisie hat daraus gelernt und sagt sich nun: Aha, wenn das so ist, dann tue ich mal so, als nähme ich das Angebot an und zeige mich hin und wieder in Proletenkluft. Wenn´s dem Frieden dient!

Der Ruß lässt sich nicht aufhalten
@Derast: Auch wenn man den Begriff eigentlich ablehnt, so wie ich: doch wir sind in der Postmoderne. Nur in der Moderne war eine gewisse Bedeutung in die „Wahrheit“ eingeschrieben, würde jetzt Zizek sagen. Was wir aber gerade erleben, ist wie Bedeutung sich von der Wahrheit trennt. Eine Lücke sich offenbart, zwischen dem was (einfach) „ist“ (zu sein scheint) und dem was das für uns „bedeutet“/bedeuten könnte.

Im Übrigen: Mit Ausnahme vom „Kapital“ ist auch der Marxismus noch innerhalb dieses Bedeutungshorizonts gefangen. Was ihn für viele heute so unverdaulich macht. Und wohl einer der Gründe, warum „Das Kapital“ von Marx den Marxismus zu überleben scheint. Darin liegt allerdings eine Bedeutung – keine Wahrheit. Denn „Das Kapital“ ist ohne den Marxismus nichts wert (wie natürlich auch umgekehrt).

Die Bedeutung könnte lauten: Es ist der geradezu als Plauderton (wenn auch in akademischem Gewand) daherkommende Stil, insbesondere im 1. Band ((wo der Prozess von der Ware bis zur Akkumulation des Kapitals in einem geradezu lakonischen (Arbeits-)Stil beschrieben wird)), der den Leuten das Gefühl lässt, dass sie „Das Kapital“ lesen und wieder weglegen, ohne dass sie dabei eine Verwandlung erfahren hätten.

Ich glaube das in Dons „Plaudertaktik“ wieder zu finden. Bei Kuchen oder einer Tasse Tee lässt sich Bedeutendes oder auch weniger Bedeutendes abladen, ohne irgendjemand zu irgendwelchen „Wahrheiten“ verpflichtet zu haben.

Zu diesem Thema: Mir ist das natürlich auch aufgefallen, was da für eine Aussage drin ist. Aber eben weil ich diesen konservativen Seufzer zu oft höre, bin ich vielleicht schon etwas abgestumpft und denke mir, der eine oder andere wird’s doch bald endlich begreifen, nämlich, dass das (aggressive) Streben nach kultureller Hegemonie einer überlebten Form des Klassenkampfes entspricht. Die kulturelle Hegemonie des Kapitals äußert sich heute in der Evidenz des Marktidioten. Das ist einfach zu bewerkstelligen und hält das Kapital am Laufen – auch und gerade dort, wo es sich eigentlich schon im Stocken befindet. Die aktuelle (Dauer-)Krise zum Beleg.

Wer das im Übrigen als Kulturverfall bedauert ( – „Die Bourgeoisie verliert ihre Macht“ – oder so ähnliches, denn auch der Don sagt es: früher orientierte man sich an der Kultur der Herrschenden), erkennt nicht, wie viel wichtigeres stattfindet: die Identität der Klassen, will heißen: der Zusammenhalt der Gesellschaft geht definitiv in die Brüche. Und zwar auf ganz bestimmte Weise. Die Antagonismen verselbständigen sich. Und darin äußert sich ja gerade die Krise des Kapitals – wie aber auch die Krise des Proletariats. Der Machtverfall der Bourgeoisie, wenn er denn eine Wahrheit ist, ginge einher mit dem Bedeutungsverlust eines Proletariats. Eine bittere Wahrheit, vielleicht gerade für den Marxisten, wie mich. Doch wäre ich ein schlechter Marxist, wollte ich diese Wahrheit (die den Dialektiker ja nicht überraschen sollte) einer falschen Bedeutung unterordnen. Die Gegenwart einer überholten Geschichte. Ich muss die Asymmetrie des Klassenkampfgeschehens, welches sich ja hierbei wiederum geradezu symmetrisch vorstellt (Wahrheit und Bedeutung gehen wieder zusammen, doch auf die zwei Klassen verteilt), akzeptieren. Die Zunahme von Idioten ringsum, ist dennoch hierbei nur ein (dennoch unvermeidliches) Nebenprodukt. Denn so findet Gesellschaft nun mal statt. So bereiten sich evtl. auch Revolutionen vor. Und eben nicht anders. Verblöden ist unter Umständen gerade d i e Bedingung, ohne die ein Aufschwung in der Bildung unmöglich ist. Wenn auch ganz sicher nicht im linearen Sinne. Kulturverfall wäre das unhintergehbare Pendant zu einer völlig neuen Hochkultur.

Ich kann daher auch der Randale in England und/oder dem Autosabfackeln in Berlin und anderswo keine falsche Larmoyanz entgegen halten. Es ist wie es ist. So zerfallen Gesellschaften. Wer sich das anders denkt, glaubt wohl, dass die Bourgeoise, während von unten her Feuer an sie gelegt wird, ganz oben sie weiterhin im Hochglanz erscheint. Der Ruß lässt sich nicht aufhalten.

Der Fixpunkt
@Grand Guignol: „Sofern Sie KM wegließen…“ Danke, und ich nehme an, Sie meinen Karl Marx?! Doch wie sollte das gehen? Den „Wahrheitsgehalt“ (m)einer Aussage könnten Sie theoretisch auch ohne Marx anerkennen, wie Sie es ja auch tun – „könnte man zustimmen“. Doch ohne Karl Marx können Sie die Bedeutung meiner „Wahrheit“ gar nicht werten. Karl Marx liegt all meinen Aussagen zu Grunde. Ohne diesen wären sie alle unsinnig – bedeutungslos. Ja geradezu ohne Bindung an irgendein Koordinatensystem. Im freien Fall begriffen.

Soweit geht mein Angebot an die Postmoderne allerdings nicht. Daher müssen/sollten Sie sich damit abfinden. Es sollte Ihnen im Übrigen genügen, dass ich ein sehr reflektiertes/reflektierendes Verhältnis zu Karl Marx (dem darin auch entäußerten Objekt meines Denkens) habe. Wie Sie sich ja überzeugen können. Dennoch: eine Alternative sehe ich nicht. Im Übrigen zwinge ich Sie zu nichts. Nicht zur Übernahme meiner „Wahrheiten“ und auch nicht zur Wertung der Bedeutung all dessen. Nur zu einem sind Sie unweigerlich gezwungen: Wollen Sie den Faden im Gespräch mit mir (oder einem Anderen, der Ihnen nicht zustimmt) aufrecht erhalten, können Sie das Muster, das das bisherige Gespräch geschaffen hat nicht einem zukünftigen gegenhalten. Denn auch wenn es stimmt, dass die Wahrheit und die Bedeutung auseinanderdriften, muss diesem „Driften“ immer wieder Paroli geboten werden. Sonst ginge unser aller geistiges Universum in die Brüche.

Auch in der Welt der reinen Intersubjektivität, wie sie sich Husserl vorstellt (also der frei von jeder theoretischen Vor-urteilung) gibt es einen fixen Punkt, wenn auch dieser nicht mehr außerhalb der Subjekte (also in irgendeinem entäußerten Objekt – einem Theoriegebäude zum Beispiel) anzusiedeln wäre, sondern eben innerhalb derselbigen. Der Bezugspunkt ist das gegenseitige Akzeptieren der Unterschiedlichkeit. Nicht mal mehr so sehr die gegenseitige Akzeptanz/oder eben auch Ablehnung der unterschiedlichen Lebens- und Denkentwürfe/Klassenzugehörigkeit. Denn auch diese Ablehnung ist Ausdruck einer Vor-urteilung – Beleg für eine all zu wirkmächtigen eigenen „Theorie“. Die das intersubjektive freie Spiel behinderten.

Man könnte es auch so sagen: je weniger dogmatisch hier mein Marxismus in Frage gestellt wird, desto weniger dogmatisch wird er sein.
Oder klassisch ausgedrückt: Ich kann ohne all das hier leben, auch ohne Ihre „Anerkennung“ – auch wenn ich diese natürlich schätze. Doch ohne meinen Fixpunkt in meinem Denken nicht.
Sie werden sich darin wieder erkennen. Wenn auch möglicherweise in ganz anderen Kontexten.

faz.net/blogs/stuetzen/archive/2011/08/18/putzen-im-grossbuergerkanon-2-kulturen-anderer-klassen

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