Wer schreibt, lebt (vielleicht) nicht

Wer schreibt, lebt (vielleicht) nicht
Auch ich kann nur an einem Platz schreiben, den Platz, den ich mein Büro nennen kann. Es ist nicht die Einsamkeit, die ich da brauche, sondern ein Gefühl der Macht, nämlich über einen gewissen Raum und einer entsprechenden Zeit. Ich habe schon oft den Laptop im Urlaub oder auf Zugreisen dabei gehabt. Keine Zeile habe ich geschrieben. Es ist natürlich auch so, dass man erst schreibt, wenn man selber nichts mehr aufzunehmen wünscht. Keinen Text, keine Stimmen, keine unangemessenen Geräusche. Und auch keine Begegnungen mehr in beliebig großen Räumen. Und dazu braucht man einen begrenzten Raum, der einem das Gefühl lässt, mit seinen Gedanken eine nötige Zeit alleine sein zu dürfen. Das sind Gedanken, die vielleicht gar erst entstehen, wenn man alleine ist, sie sind nicht vorher produziert gewesen, aber der Produktionsapparat, das eigene Gehirn, war sozusagen die ganze Zeit auf Standby geschaltet.
Das wäre zum Beispiel etwas, was ich meiner Frau nur schwer klar machen könnte, nämlich wenn sie da meinte, dass ich doch mal für einen Moment mein Schreiben unterbreche.

Das ist die eine Sache. Die andere ist die mit dem „endlos vor dem Kasten sitzen“. Ich denke, dass Leute, die sich nicht von ihrem Computer trennen, das eigentlich überhaupt nicht können – sich trennen. Sie trennen sich von der Brust der Mammi eben so schwer wie später von der der Freundin. Auch vom Fernseher trennen sie sich ungern.

Das aber mit der Mammibrust, dazu habe ich mal was Verrücktes zu gelesen, nämlich über gewisse Indianervölker in vergangener Zeit. Die Mütter haben ihre Kinder oft solange gestillt, bis das nächste Kind kam und dann das übernächste, usw. usf. Wenn die Lümmels dann mit ihren scharfen Milchzähnen Mammis Brustwarzen all zu gemein traktierten, haben die Mütter diese Kinder zur Strafe in harte Wickel gepackt. Das wiederum hat diese Jungs wild und zornig gemacht, und so nebenbei belehrt, dass Mammi die ist, die die Macht hat.

Und das sei wiederum das Geheimnis des indianischen Helden, des wilden Kriegers. Des Frauen verachtenden aber auf diese hörenden männlichen vorzeitlichen Despoten.
Das auf unsere Zeit projiziert könnte dann in etwa so aussehen: Wir packen die Bubis in raue Säcke und rollen sie einem beliebig steilen Hang hinunter. Wenn sie das nach ein paar Wiederholungen glücklich überlebt haben, sind sie dann vielleicht zu haben, für eine Trennung, von Mutters Brust, wie auch von all zu kuscheligen Verhältnissen.

Ob daraus aber neuzeitliche Krieger entwachsen, oder einfach nur Männer, solche, die dann vielleicht mal wieder Herr über nicht so begrenzte Räume und Zeiträume werden wollen (und nicht nur über ihren diesbezüglich nur verkleinerten Maßstab) wäre dann zu testen.

Oder um es so auszudrücken: Wo die Zeit der Abenteuer, der realen, nämlich der zwecks Eroberung von realen Räumen, obsolet zu werden scheint, wird der virtuelle Raum das neue Format. Und Schreiben, ist neben Geldüberweisen (eines automatischen Subjekts), immer noch wichtigste Betätigung im virtuellen Raum.

Irgendjemand sagte einmal: wer schreibt, lebt nicht. Vielleicht ist da was dran?

Nur das Genie wird dazu gezwungen
Oh, es gab da zum Beispiel noch den Hemingway, auch so ein patriarchalisches Urvieh. Seine Masche war, das Beste zu zerstören, um das, was übrig blieb, als fixierte Realität für einen Moment der wahren Realität entgegen setzen zu können, der wahren Realität also für einen Moment den Zauber zu nehmen. Die geschriebene Fiesta dürfte definitiv besser sein als jede nur denkbare erlebte. Ich glaube, dass Hemingway hochgradig manisch depressiv war, wenn nicht gar schizophren. Seine Helden sehen für mich aus, als wären sie abgespaltene Seiten seines Selbst. Der sich selbsthassende Liebhaber, der Chauvinist und Frauenversteher. Und nicht zuletzt der saufende, also nicht wirklich bewusst-wache Schriftsteller.

Und zugrunde gegangen ist er vermutlich daran, dass er in seinen Werken das Leben fixieren wollte, gleich so, als müsste man das wahre Leben töten, letztlich sein eigenes dann. Was ihm aber nie wirklich gelang, es sei denn in den Massen an sinnlos getöteten Kreaturen, und dann mit seinem Selbstmord. Ein Van Gogh der Literatur also. Einer der die Worte, nicht die Farben, das Licht, so festzuhalten hoffte, als wären sie die einzige Realität. Als er nicht mehr schreiben wollte oder konnte, musste er diesen Zombie töten, um zu vermeiden, dass das Leben doch noch stärker wird als seine Literatur, sein wahnhaftes Nichtleben.

Wir werden also sehr wohl gezwungen zu solchen Entscheidungen, aber nur, wenn wir ein solches Genie sind.

Die Quelle der Angst
Die Rolle des Boxkampfes verweist da auf ein Schlüsselerlebnis. So sei er in seiner Jugend zunächst immer ein schwächlicher Kerl gewesen, der oft Schläge von seinen Mitschülern hat einstecken müssen. So erlernte er das Boxen. Und ich denke, dass die Angst, die da zu überwinden gesucht wird, nämlich durch jedes nur denkbare Abenteuer, noch eine zweite Seite enthält, eine verborgene, nämlich die nach den verleugneten Gründen der Angst (die dem Feind mehr bewusst sind, als einem selber, daher sucht man dessen Nähe). Manche gehen da zu einem Psychotherapeuten, andere therapieren sich selber, oder versuchen es wenigstens. Und wieder andere werden gefahrensüchtig. Hemingways nahezu infantile Art mit Frauen umzugehen, sie beherrschen zu wollen, und doch sich vor ihnen zu demütigen, zeigt von welcher Art, welcher Quelle, seine Angst ist. Und eben diese hemingwaysche Quelle verweist auf ein Patriarchat, das nicht tot zu kriegen ist. Und der Nihilismus, die Realitätsverweigerung, der Wunsch diese tot zu machen, ja der Todeswunsch selber, ist die damit konferierende ideologisch-philosophische Matrix. Gewöhnliche Menschen begnügen sich damit das Format zu wechseln, ein kleineres, bzw. ein virtuelles, gehen der Gefahr aus dem Weg.

faz.net/blogs/deus/archive/2010/09/13/einsam-vor-dem-rechner-verbunden-mit-der-welt

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  • Von Wer gut schreiben will, muss besser lesen am 6. Februar 2012 um 16:33 Uhr veröffentlicht

    […] Idee nach (ich weiß jetzt nicht von wem) ist das Schreiben das Antilebendige schlechthin. Entweder man schreibt, oder man lebt. Auch wenn das vermutlich auf die Rolle der […]

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