Die „Germania“ ist matrilinearen Ursprungs, dennoch preußisch-deutsch missbraucht!

Die „Germania“ ist matrilinearen Ursprungs, dennoch preußisch-deutsch missbraucht!
Dieser Beitrag enttäuscht mich jetzt. Anstatt den Germaniamythos neuerer Zeit, speziell der der Mythologisierung Deutschlands gegen den Erbfeind Frankreich gerichtete, von dem antiken Bild der Germania zu trennen, wird das alles zusammengemischt. So als würde das eine mit dem anderen organisch verbunden sein. Dazwischen liegen nicht nur historische Epochen, gleich mehrere, und auch sprachliche Verschiebungen, sondern auch ein völliger Bedeutungswechsel. Eine Sinnentleerung – letztlich – durch den preußisch-deutschen Missbrauch.

Wie schon so oft erwähnt, verweise ich auch diesmal auf den marxistischen Altertumsforscher Thomson („Die ersten Philosophen“, „Frühgeschichte Griechenlands“) wie auf den marxistischen Sexualwissenschaftler Bornemann („Das Patriarchat“). Und natürlich auf Engels‘ Buch: „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates“. Will es Ihnen wirklich nicht aufgehen, dass es eben kein „simples Faktum“ ist, dass die Städte und Länder in der griechischen und lateinischen Antike „grammatisch Feminina“ sind? Die weibliche Gens, nicht der Stamm, nicht das Volk und schon gar nicht die Nation bestimmten die Urgemeinschaften vermutlich aller Völker auf dieser Erde, so auch die der indogermanischen. Die weibliche Linie war indes grammatisch noch bestimmend, während sie politisch längst entmachtet war. Bezogen auf Bachofen und Morgan konnte Engels das wunderbar an den Irokesen beschreiben, wo sich gerade die Grundlage für den Staat, nämlich die Stammesteilung und die Familie, heraus zu bilden schien.

Bezüglich der Germanen möchte ich Engels selber zu Wort kommen lassen:
Daß die Deutschen bis zur Völkerwanderung in Gentes organisiert waren, ist unzweifelhaft. Sie können das Gebiet zwischen Donau, Rhein, Weichsel und den nördlichen Meeren erst wenige Jahrhunderte vor unsrer Zeitrechnung besetzt haben; die Cimbern und Teutonen waren noch in voller Wanderung, und die Sueven fanden erst zu Cäsars Zeit feste Wohnsitze. Von ihnen sagt Cäsar ausdrücklich, sie hatten sich nach Gentes und Verwandtschaften (gentibus cognationibusque) niedergelassen, und im Munde eines Römers der gens Julia hat dies Wort gentibus eine nicht wegzudemonstrierende bestimmte Bedeutung. Dies galt von allen Deutschen; selbst die Ansiedlung in den eroberten Römerprovinzen scheint noch nach Gentes erfolgt zu sein. Im alamannischen Volksrecht wird bestätigt, daß das Volk auf dem eroberten Boden südlich der Donau nach Geschlechtern (genealogiae) sich ansiedelte; genealogia wird ganz in demselben Sinn gebraucht wie später Mark- oder Dorfgenossenschaft. Es ist neuerdings von Kowalewski die Ansicht aufgestellt worden, diese genealogiae seien die großen Hausgenossenschaften, unter die das Land verteilt worden sei und aus denen sich erst später die Dorfgenossenschaft entwickelt. Dasselbe dürfte denn auch von der fara gelten, mit welchem Ausdruck bei Burgundern und Langobarden – also bei einem gotischen und einem herminonischen oder hochdeutschen Volksstamm – so ziemlich, wenn nicht genau dasselbe bezeichnet wird wie mit genealogia im alamannischen Rechtsbuch. Was hier in Wirklichkeit vorliegt: Gens oder Hausgenossenschaft, muß noch näher untersucht werden.
Die Sprachdenkmäler lassen uns im Zweifel darüber, ob bei allen Deutschen ein gemeinsamer Ausdruck für Gens bestand und welcher. Etymologisch entspricht dem griechischen genos, lateinischen gens das gotische kuni, mittelhochdeutsch künne, und wird auch in demselben Sinn gebraucht. Auf die Zeiten des Mutterrechts weist zurück, daß der Name für Weib von derselben Wurzel stammt: griechisch gyne, slawisch ~ena, gotisch qvino, altnordisch kona, kuna. – Bei Langobarden und Burgundern finden wir, wie gesagt, fara, das Grimm von einer hypothetischen Wurzel fisan, zeugen, ableitet. Ich möchte lieber auf die handgreiflichere Herleitung von faran, fahren, wandern, zurückgehn, als Bezeichnung einer fast selbstredend aus Verwandten sich zusammensetzenden, festen Abteilung des Wanderzugs, eine Bezeichnung, die im Lauf der mehrhundertjährigen Wanderung erst nach Ost, dann nach West, sich allmählich auf die Geschlechtsgenossenschaft selbst übertrug. – Ferner gotisch sibja, angelsächsisch sib, althochdeutsch sippia, sippa, Sippe. Altnordisch kommt nur der Plural sifjar, die Verwandten vor; der Singular nur als Name einer Göttin, Sif. – Und endlich kommt noch ein andrer Ausdruck im „Hildebrandslied“ vor, wo Hildebrand den Hadubrand fragt, „wer sein Vater wäre unter den Männern im Volk … oder welches Geschlechtes du seist“ (eddo huêlihhes cnuosles du sîs).“

(Friedrich Engels – „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats“ in: Karl Marx/Friedrich Engels – Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 21, 5. Auflage 1975, VII. Die Gens bei Kelten und Deutschen, S.131, siehe auch: mlwerke.de/me/me21, letzter Zugriff: 23.2.2011)

Auch die Trennung der Verwandtschaft nach der weiblichen wie männlichen Linie, wie wir das zum Beispiel in der türkischen Sprache heute noch finden, aber auch in der persischen (allerdings oftmals nicht im identischen Sinne – so ist der Daeij (persisch ausgesprochen: Da:ji, vergleiche , türkisch: dayı) im türkischen der Onkel väterlicherseits (Bruder des Vaters), der Onkel mütterlicherseits ist der „Amca“, doch im persischen ist er der Onkel mütterlicherseits (Bruder der Mutter, der „Amu“, hingegen ist der Bruder des Vaters, was auf das arabische „amo“, da ebenfalls Onkel väterlicherseits zurück zu führen ist) ist ein Indiz für die matrilineare Verwandtschaft. In der türkischen Sprache, welche zur mongolischen Sprachgruppe gehört, finden wir diese Hinweise in der Sprache noch sehr sauber erhalten. Was darauf schließen lässt, dass das Patriarchat im türkischen (im mongolischen) noch neueren Datums, hingegen im persischen wohl schon älteren Datums ist, mal ganz abgesehen von der arabischen Überformung des ursprünglich indogermanischen persisch, was dann aber in Bezug auf die genannten Bedeutungsveränderungen einer näheren Untersuchung bedarf.

faz.net/blogs/antike/archive/2011/02/22/germania-ae-f-und-die-folgen

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Ein Trackback

  • Von Gefährlich wird es für Linke, die sich da nicht abgrenzen am 3. März 2011 um 08:07 Uhr veröffentlicht

    […] männlichen Gegenstücke zur weiblichen „Gens“, also antike Clans – nachzulesen bei Bornemann: „Das Patriarchat”) waren dann die Drahtzieher. Die Frau musste „entmachtet“ werden. Im Sinne von […]

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