Es war da mal ein Sozialismus…

Es war da mal ein Sozialismus…
Keine Frage, das Proletariat ist langweilig, denn es langweilt sich zu Tode. Und natürlich ist das Klassenkampf, wenn eine Klasse dazu gezwungen wird, erst für das Fressen, dann für die Kultur sorgen zu dürfen – für die Kultur der andern (für deren Fressen sowieso). Und deswegen gab es da einen schrägen Sozialismus, der da mittels paradoxer Pädagogik den realen Sozialismus zu bessern suchte, in dem er den Herrschenden ein gehörig ordinäres Lachen in die Fresse malte, und den Belachten das dämliche Grinsen abzugewöhnen suchte. Von Brecht ist hier die Rede. Auch er war ein Kritiker eines solchen Sozialismus, eines jenen, der den Proletarier nicht zu befreien suchte, sondern zu konservieren. Nichts was da einem Marx fremder gewesen wäre, an diesem Sozialismus. Und eines Brechts Kulturbetrieb kam doch im Westen nur so gut an, weil er im Osten so wenig verstanden wurde, wie er im Westen respektiert war – für das, wofür er nämlich stand, dort wie hier: revolutionäre Subversion.

Wo sind sie, die Subversiven aus dem Westen, die, die ihre eigene Unfähigkeit, nämlich im Brechtschen Sinne Revolution zu machen, nicht mehr zu beschönigen suchen, sich ordentlich schämten und daher über den kleinbürgerlichen Sozialismus – den eigenen inbegriffen – so richtig herzhaft lachen dürften?

Ja, es war ein kleinbürgerlicher Sozialismus, der da herrschte (übrigens dort wie hier, oder was glaubt man, was da die sog. Wirtschaftswunderjahre im Westen waren – und warum die jetzt zu Ende sind?), da das Proletariat nämlich nicht führte, denn wie immer geführt wurde, nicht nur von der Partei da aus dem fernen Osten, jener fremden, den Deutschen verhassten, nein, sondern auch von der Partei im Westen, der sich nicht erklärenden, der aber verklärten, jener aus dem fernen Westen, und die da den Proletarier an der Nase rumführte. Solange übrigens bis die blühenden Landschaften endlich waren, jener bigotte Kulturbetrieb rings um den Prenzlauer Berg.

Und wieder zahlt das Volk, der Proletarier, für diese Kultur, für die der andern, daher erzählt man diesem Volk abends ein wenig Märchen. Es war da mal ein Sozialismus…

Kleinbürgerliches Wunschdenken
@specialmarke u.a.: Bin wohl selber kein besonderer Pierre Bourdieu-Kenner, daher erlaube ich mir hier ein Zitat aus Wikipedia anzuführen, von dem ich annehmen möchte, dass es einen zutreffenden Blick auf dessen wissenschaftlich-philosophischen Standpunkt wirft: „Schon in seinen frühen Schriften legte Bourdieu eine Theorie der symbolischen Formen und der symbolischen Gewalt vor, die er in seinen weiteren Studien verfeinerte. In seinem Hauptwerk Die feinen Unterschiede prägte Bourdieu den Begriff Distinktionsgewinn für die erfolgreiche Durchsetzung eines neuen vorherrschenden Geschmacks und Lebensstils als Mittel im Kampf um gesellschaftliche Positionen. Diese Kulturkämpfe zwischen den gesellschaftlichen Klassen finden in einem sogenannten Raum der Lebensstile statt. Dabei reproduzieren sich die hegemonialen Klassen in der Regel an die jeweiligen neuen Bedingungen angepasst.“ (wikipedia.org/Bourdieu, letzter Zugriff: 13.07.2010).

Man kann es auch so formulieren: Bourdieu hat so etwas wie einen ästhetischen Marxismus konstruiert, einem solchen, der, auf die „Auflösungserscheinungen des Kapitalismus“ rekurrierend, eine ebensolche Auflösung des Marxismus nachschiebt. Bis zu einer symbolischen Klasse (lediglich im Habitus verwurzelt) wird die Bourgeoisie da aufgelöst, mag sein, dass das eine ihrer Zukunftsmöglichkeiten ist, aber definitiv (noch) nicht ihre Gegenwart, auch nicht in der aktuell unterstellten „Postmoderne“.

Einen erheblich fruchtbareren Beitrag hierzu finde ich aber hierin: „Die Mittelschicht, davon ist Ulrike Herrmann überzeugt, wird die Folgen von Bankenkrise und Rezession bezahlen. Aber daran sei die Mitte der Gesellschaft selbst schuld, weil sie eine Steuer- und Sozialpolitik unterstütze, die ihren eigenen Interessen schade und nur den reichen Menschen nutze. Die Wirtschaftsjournalistin will politische Irrtümer vor Augen führen. So kämpfe die Mittelschicht um sozialen Aufstieg und identifiziere sich daher mit der Oberschicht. Sie fürchte den sozialen Abstieg und verachte daher die Unterschicht. Und beides sei falsch.“ (zit. aus: http://www.dradio.de, letzter Zugriff 13.07.2010). Ulrike Herrmann ist TAZ-Redakteurin, eine Zeitung, die ich für gewöhnlich nicht lese, umso überraschter bin ich über diesen Beitrag.

Mal abgesehen von dieser soziologischen „Schichtensemantik“, ist dies doch ein im Ansatz klassisch-marxistischer Standpunkt, nämlich bzgl. der Rolle des Kleinbürgertums, welches sich da auch gerne als Mittelstand definiert. Nicht ein kulturelles Kapital macht dieses Kleinbürgertum aus, selbst dort nicht, wo es als intellektuelles Kleinbürgertum in Erscheinung tritt, sondern die Tatsache, dass es vom Kapital abhängt, von diesem so ausgebeutet wie ausgehalten wird. Das Kleinbürgertum gehört keiner Klasse an, ist somit immer schon prekär gewesen; und daher erklärt sich auch sein reaktionärer Standpunkt, seine in aller Regel Rückwärtsgewandtheit, zu seiner Vergangenheit in den Klassen der Handwerker und Bauern der alten Ständegesellschaft. Und das macht auch deutlich, auf welch kleinbürgerlichem Standpunkt Bourdieu hier agiert. Wenn schon das Kleinbürgertum ein prekäres ist, dann doch bitte auch die Großbourgoisie. Ein frommer Wunsch – eben dieses Kleinbürgertums.

Es wundert mich daher auch nicht, dass in etlichen Beiträge in diesem Block der Auflösung der alten bäuerlichen, sprich: halbfeudalen, Strukturen in der ehemaligen DDR, die dicksten Tränen nachgeschickt werden. Was umso absurder ist, ob der Tatsache, dass doch das „Bauernlegen“ im Kapitalismus nicht etwa humaner geschieht, aber halt auf vertrautere Weise, auf bürgerliche: der Große schluckt die Kleinen, auf einem „anonymen Markt“. Die Großindustrie auch und gerade auf dem Land, das war von Anfang an die einzig mögliche Entwicklung, mit Beginn der bürgerlichen Revolution. Und was die DDR diesbezüglich damals gemacht hat, war die Nachholung einer solchen, da sie nämlich dort bis dato noch nicht statt gefunden hatte. Und selbstverständlich hat sie keine bäuerlichen privaten Großbetriebe zugelassen, sondern die gleich nationalisiert. Ich würde sogar sagen, dass das die erste und damit wohl auch die letzte „sozialistische Maßnahme“ dieses Staates gewesen ist, nämlich eine solche, die den Kampf für den Sozialismus in Folge hätte tragen müssen. Wie gesagt, ich rede hier von der Enteignung des kapitalistischen wie auch noch feudalen Großgrundbesitzes, nicht von den dann folgenden Etappen der Überführung von dann auch kleinbäuerlichen Höfen in genossenschaftliches Eigentum. Die Haltung zu dieser Frage hängt ganz entschieden davon ab, ob der Staat eben dann ein sozialistischer gewesen wäre, was ich bezweifle.

Es entpuppt sich so die ganze „Postmoderne“ als kleinbürgerliches Wunschdenken, niedergelegt in einem Existenzialismus ebenso wie in allen Spielarten des Strukturalismus. Auch sein Wunsch die Objekt-Subjekt-Dichotomie aufzulösen, muss man vor dem philosophischen Hintergrund des Strukturalismus beurteilen, welcher ja im Kern eine Objektivität nicht wirklich kennt, sondern letztlich eine Spielart des radikalen Konstruktivismus ist.
Die Objekt-Subjektdichotomie kann erst aufgelöst werden, wenn das Konstrukt des bürgerlichen Individuums (als ein solches des Marktes wie auch der Arbeit) aufgelöst ist, will sagen: wenn die proletarische Klasse sich und damit die ganze Gesellschaft befreit hat. Die Tatsache, dass die Transformation des Kapitals in Richtung virtuelles Kapital (variables Kapital/fixes Kapital/Geldkapital/Buchkapital) eben nur innerhalb jener Objekt-Subjektdichotomie eine Realität darstellt, bedeutet eben auch, dass die Aufhebung dieser Dichotomie innerhalb dieser Realität nicht möglich ist. Selbst die marxistische Kritik der bürgerlichen Ökonomie, also der theoretisch denkbar radikalste Bruch mit dieser Realität, bleibt praktisch-theoretisch an die Formen einer solchen gebunden. Andernfalls wäre der Marxismus Esoterik und eben nicht Wissenschaft. Auch der Marxismus selber kann daher nicht aufgehoben und in eine sog. höhere Form (in den „Schon-nicht-Mehr-Marxismus“ eines Robert Kurz) überführt werden.

Schon die Entwicklung der Theorie bei Marx und Engels selber verweist uns deutlich eben auf diese Grenzen. Vom „Kapital“ bis zu den „Grundrissen“ erkennen wir nicht nur eben diese eingegrenzte Spannweite innerhalb des theoretischen Gebäudes– vom abstrakten zum konkreten, ebenso wie vom objektiven zum subjektiven, sondern eben auch die des Kapitals selber. Was geschieht mit einer Gesellschaft, die sich historisch überlebt aber erfolgreich einer jeden revolutionären Veränderung widersetzt hat? Ökonomische Andeutungen finden wir in den Grundrissen, aber eben nur Andeutungen, denn das ginge über den Marxismus hinaus, wäre also Teil einer Theorie, die jenseits des Kapital-Arbeit-Verhältnisses läge. Denn auch der Kapitalismus bleibt Kapitalismus, ein solcher nämlich, der von dem tendenziellen Fall der Profitrate und eben nicht von reinen „Geld-Geld-Gesetzen“ getrieben wird. Das perpetuum mobile, (ich sprach davon, siehe unten: Philosophus Mansisses), bleibt eine Illusion.

Der dialektische und historische Materialismus, ist auch Weltanschauung, nämlich einer solchen in Verbindung mit dem (Selbst-)Bewusstsein einer revolutionären Klasse, doch dem Grunde nach ist und bleibt er eine objektive Wissenschaft, darin den Idealismus genauso ausschließend, wie den Subjektivismus – gleich welcher Klasse. Die schöpferische Rolle eben jenes möglichen revolutionären Subjekts überwindet nicht, quasi quantentunnelnd, vorausgesetzte historische Grenzen. Und dieses revolutionäre Subjekt kann nur mit einer Klasse verbunden sein, deren Zukunft auf dem Weg der Geschichte liegt und eben nicht deren Vergangenheit da aus der Geschichte lugt.

Der Hauptfehler Stalins
@HansMeier555: Das ist schon bemerkenswert, wie Sie manchmal das Richtige sagen, wo Sie doch offenkundig das Falsche meinen (bzw. auch mal umgekehrt: „Denn die Nazis haben zwar viele unschuldige Menschen ermordet, aber das Bürgertum als kulturell-gesellschaftliche Elite konserviert“, wenn Sie dann schlussfolgern: „wo der Stalinismus hinkam, wächst bis heute kein Gras mehr.“ Es dürfte Ihnen doch klar sein, dass Sie da genau auf eine Stalinkritik zusteuern, die in etwa so lauten könnte. Also wäre der Hauptfehler Stalins gewesen, dass da überhaupt wieder Gras wächst. Oder?

Gebt Ihnen bitte keine Rollstühle!
@Rosinante: Da Sie den dialektischen Materialismus (und den historischen wohl auch) so verabscheuen, bekommen Sie genau das einzig mögliche „konstruktive Kontinuum“, die Fortsetzung der Herrschaft des Kapitals. Und da Sie sich so sicher wähnen gegenüber gewissen „Eiszeiten“, haben Sie vermutlich übersehen, durch wie viele Eiszeiten (man könnte sie auch Dantesche Höllen bezeichnen) eben dieses Kontinuum so geht: Nach dem großen Bankenkrach im 19. Jhrdt. (Marx hatte diesen noch erlebt und damals sich gewünscht, dass er der Beginn der großen proletarischen Revolution werde) – Ausgehend von den USA über den 1. Weltkrieg (mit Kollateralschäden, der span. Grippe z.B., etwa 50 Millionen Tote, zur großen Depression und weiter zum 2. Weltkrieg (noch mal 50 bis 100 Millionen Tote), um dann über weitere größere und kleinere (lokale) Eiszeiten zur ultimativen Eiszeit, nämlich im Jahr 2008, zu gelangen.

Die Geschichte ist noch mittendrin, deswegen wissen wir nicht, wie man das mal beurteilen wird, was da gerade passiert, aber erkennbar ist jetzt schon ein gewisses Kontinuum in Richtung genau jener Barbarei, von der da Marx und Engels im Kommunistischen Manifest schon so ahnungsvoll redeten („Kommunismus oder Barbarei“). Manche mögen die Zeit der DDR als Anekdote (Wehler) wahrnehmen, oder als etwas endlich zu überwindendes , nämlich solchermaßen „langweiliges“ (Don Alphonso), aber wie wäre es denn mal als „ganze Konterrevolution“, eine solche, die ihren Anfang schon in der Weimarer Republik nahm und dann in diesem Konstrukt des Weltkrieges endete, enden musste.

Aber, um da mal die dialektische Methode von Marx aufzunehmen, welche Interessen setzten sich da in Wirklichkeit durch, also was ist die Klassengrundlage für dieses Kontinuum „Absurdum“? Deutschland ist in gewisser Hinsicht immer noch ein Land des Kleinbürgertums. Nicht in Bezug auf die ökonomischen, bzw. realen Machtverhältnisse, aber in Bezug auf die Konnotation der beiden Hauptklassen. Einer kleinbürgerlichen Bourgeoisie steht ein kleinbürgerliches Proletariat entgegen. Die eigentliche Großbourgeoisie ist mehr oder weniger aristokratischer Herkunft (HansMeier555 wird mir da wohl zustimmen müssen!). Der Geldadel wurde zum Geldkapital und dieser kapitalistische Adel möchte den Rest des Volkes zu seinen Dienstboten machen, wie so gewohnt. Dieser Kampf spiegelte sich auch im Machtantritt des Faschismus. Es wundert nicht, dass ein Teil dieses (preußisch konnotierten) Geldadels eben nur aus diesem Grund gegen den Faschismus war, er roch den Kammermief der Dienstboten.

Da dies sich in Deutschland nach dem Krieg hauptsächlich noch auf dem Boden der dann folgenden DDR abspielte, wo das Kleinbürgertum (!) durch den Faschismus gehätschelt, selbst die Ausrottungsfeldzüge der Sieger überleben konnte, und dann sein Überleben zunächst noch in den Ritzen der neuen Gesellschaft zu sichern gedachte, lässt es sich doch nachzuvollziehen, wie diese Dienstboten ihre erste Macht (das Kleinbürgertum war unter dem Faschismus wohl verhätschelt, aber mitnichten an der Macht!), die ja wieder eine im Dienste einer fremden Macht war, diese Dienstbotenmacht also, Arbeiter- und Bauernmacht auch leicht euphorisch genannt, dann nutzen, also ihre Ritzen verlassen, um ihre Dienstbotenideologie der „von Metternichs“ entgegen zu setzen.

Aber es dauerte wohl nicht lange (etwa mit Honecker, nach Ulbricht also) und der alte Adel hatte sie von überzeugt, dass eine Geschichte außerhalb derer von Metternichs nur eine in den Ritzen bleiben wird. Die nicht wenig überraschten Bürger der DDR durften sich daher bald wieder an den preußischen Tugenden aus ihrer Geschichte erfreuen. Aber kaum so das Licht erblickend, stand sie da, nackt wie lächerlich, jene Dienstbotengesellschaft, die da den Herrn zu spielen wünschte. Die weitere Geschichte setze ich als bekannt voraus.
Und ist es nicht so, dass auch gegenüber uns, hier im Westen, seit dieser Zeit, die preußischen Tugenden wieder so gepriesen werden? Eine endlich vereinte Dienstbotengesellschaft.

Die Dienstbotendemokratie (oder auch – leicht größenwahnsinnig – -diktatur genannt) ist nun dahin, nicht anders als im Westen selber, wo sich die soziale Marktwirtschaft stolz zu Hause wähnte. War doch auch diese nur ein Leckerli für die Mäuler jener kleinbürgerlichen Ideologen, die da das Angebot sich als Mittelschicht zu wähnen, mit echtem Zucker ums Maul verwechselten.

Die deutsche Dialektik macht lange Umwege, aber sie kommt doch zum Ziel. Die Mittelschicht ist daher das wichtigste Opfer der dortigen, wie auch der hiesigen Konterrevolution – eine ganze Konterrevolution, wie ich doch meinen möchte. Fett geworden war sie, die „Mittelschicht“, dort wie hier, also wird sie hier jetzt geschlachtet.

Und scheint es doch ein wahrlich „Kontinuum“, denn die deutsche Bourgeoisie, die aristokratische, wird entweder von ihren Dienstboten gestürzt, oder das Kapital bleibt so lange an der Macht, bis der letzte Dienstbote auf dem Rollstuhl sitzt.

Die uns vielleicht nun noch quälende Frage könnte da lauten: was muss geschehen, dass diese Dienstboten sich zum revolutionären Subjekt mausern? Man könnte antworten: gebt Ihnen bitte keine Rollstühle!

Der Letzte kann die Suppe noch verderben
@Rosinante: Gerade der historische Materialismus geht davon aus, dass es auch und gerade für ein revolutionäres Subjekt unhintergehbare historische Voraussetzungen gibt, welche aber alles andere als ein Kontinuum ausmachen. Die bisherige Geschichte schafft einen typischen Verlauf eben für diese Geschichte, aber immer wieder lauern dabei verschiedene Möglichkeiten. Möglichkeiten, die die bisherige Geschichte noch nicht völlig abgeschlossen, bzw. vielleicht gar nicht erst „erkannt“ hat. Was letztlich Wirklichkeit wird, hängt somit wesentlich vom Willen (dem Bewusstsein) der jeweiligen Hauptkräfte ab. In der Gesellschaft gibt es so etwas wie eine bedingungslose überzeitliche Zielgerichtetheit eben nicht. Die objektiv-materialistische Vorstellung, dass sich letztlich durchsetzt, was sich durchsetzen soll, ist nicht esoterisch misszudeuten, sondern sagt lediglich aus, dass die Hauptkräfte innerhalb einer Epoche weder beliebig agieren können, noch willkürlich zu ersetzen sind. Ihr Widerspruch ist der Hauptwiderspruch – nicht göttliche Vorsehung.
Im Übrigen glaube ich auch nicht an einen ontologischen Zusammenhang aller bisherigen Geschichte, sondern eben nur an die Einheit und den Kampf der Gegensätze, wobei die Einheit (das jeweilige Sein) relativ, der Kampf (das Werden) absolut ist. Ontologisch verhält sich vermutlich nur das, was innerhalb einer Epoche als Einheit von Widersprüchen in Erscheinung tritt.

Auch was sich in der Natur so entwickelt, schafft kein Kontinuum, sondern ein prekäres Verhältnis, was man als relative Ordnung im absoluten Chaos bezeichnen kann, oder als Entropiezunahme, bzw. als Energiewandlung, bzw. als Umsatz von Energie in Kräfte. Unberechenbar bleibt der nicht umgesetzte Wirkungsgrad. Selbst die Vorstellung von einem gewissermaßen negativen Kontinuum dann durch dessen dementsprechendes Ende, z.B. im angenommenen Wärmetod, erfasst nicht wirklich die Wahrheit, sondern nur ein Modell hiervon, eine Möglichkeit auf der Grundlage dessen, was wir im Moment glauben zu wissen.
Selbst auch des Marxisten gesellschaftliche Wunschvorstellung, nämlich die klassenlose Gesellschaft, ist solange diese nicht Wirklichkeit ist, nur ein Modell, definitiv aber keine historische Notwendigkeit, dann schon besser Nützlichkeit, denn vielleicht mal Wirklichkeit aus einer ganz bestimmten historischen Perspektive.

Was wirklich passiert, hängt vermutlich ganz entschieden davon ab, was der „Letzte“ dazu zu sagen gehabt hatte, bevor es dann Wirklichkeit wurde (oder endgültig verworfen), nicht unähnlich darin dem Algorithmus im Naturgeschehen. Der „Letzte“ kann die Suppe also noch verderben und somit eine eben nicht vorhergesehene Mutation verursachen.

Die verborgenen Mechanismen der kleinbürgerlichen Macht
@Schoenbauer: Danke für den Hinweis. Ich bin mir allerdings sicher, dass meine Bezugnahme auf den 2. Hauptsatz der Thermodynamik in diesem Sinne „unverdächtig“ ist.

Ich habe mich da erst kürzlich zu geäußert und auch auf einen entsprechenden hingewiesen (vgl.: Link); und natürlich bezog ich umgehend Prügel, da ich angeblich die Naturgesetze auf die Gesellschaft anwende. Ganz im Gegenteil, wie ich denke, denn ich zeige auf, wie die Klassenkräfte sozusagen Naturkräfte hervorzaubern. Also welche Interessen, in einer ganz bestimmten Epoche, zu einer ganz bestimmten „Erkenntnis“ führen, die Richtung somit auch und gerade in den Naturwissenschaften prägen.

Das hat nichts mit der Kritik an der Moderne zu tun, wie die eines Spengler, sondern ist eher ein Hinweis darauf, dass die Geschichte, eine von Klassen gemachte, eine „Geschichte von Klassenkämpfen“ (Marx) ist, und dass auch die Wissenschaft Teil und Ausdruck hiervon ist. Subjektneutrale (positivistisch-reduzierte, bzw. rational-vernünftige) Erkenntnisse gibt es nicht.

Und da kommt Bourdieu ins Spiel: Ich habe vor Jahren sein „Die verborgenen Mechanismen der Macht“ gelesen. Wikipedia ist also nicht die einzige Quelle, auf die ich mich da beziehe, nur ich fand die zitierte Stelle für nicht unpassend. Nicht dass ich ihn nicht geistreich fände, wie gesagt: er ist ein Ästhet, nur warum sollen wir über die verborgenen Mechanismen reden, wenn die offenkundigen doch noch abgestritten werden. Das ist so eine Art intellektuelle Spielerei, diese Beschäftigung mit dem „Verborgenen“, dem Strukturellen, etc. p.p. Diese Dinge bestreite ich nicht, aber wie gesagt, so originell sind sie auch wiederum nicht.

Ich kann da viel mehr mit dem marxschen Fetischismusbegriff anfangen, obwohl es da mittlerweile auch Leute gibt, die die Gesellschaft als eine von Fetischismen geprägte und eben nicht als eine Geschichte von Klassenkämpfen erkannt haben wollen (vgl. Robert Kurz und andere Postmarxisten, siehe mein „Philosophus Mansisses“). Auch das läuft doch mehr oder weniger auf Bourdieu zurück.

Es genügt diesen Leuten nicht, den Klassenkampf aufzudecken, den offenkundigen, den, den man geradezu anfassen kann, nein, man muss den verborgenen hervor kitzeln. Und es wundert nicht, dass eben genau jener verborgene Klassenkampf, jene verborgene Mechanismen der Macht, dem Intellektuellen so auf die Hühneraugen drücken. Sind es doch in aller Regel genau die Mechanismen, die die Stellung des Kleinbürgertums zur Bourgeoisie so unschön, so unerwünscht, machen.

Im Übrigen ist Bourdieu Kantianer, wie eben so viele seiner Wissenschaftskollegen, was kein Mangel sein muss, aber es gibt bessere, solche, die auf Kant rekurrierend sogar ein revolutionäres Gesellschaftsmodell entwerfen. Zum Beispiel Slavoj Zizek, den ich oft zitiere.

Aber was schreibt da unser Bourdieu, ich zitiere nur mal beispielsweise: „Eine Politik, deren erklärtes Ziel es ist, die realen gesellschaftlichen Bedingungen herzustellen, unter denen sich die Vernunft voll entfalten kann“ (eigentlich könnte man hier schon aufhören, aber ich zitiere weiter – H.B.), „bedarf als unterstützende Maßnahme der rationalen Gestaltung des Bewusstseins der vielen, folglich der rationalen Organisation der Einrichtungen, denen die Vermittlung rationaler Einstellungen obliegt.“ (Die verborgenen Mechanismen der Macht, S. 105/106, VSA-Verlag 1997)

Wau, Nachtigall, ick hör dir trapsen. Nicht mal all zu verborgener Schwachsinn, ist das hier zitierte.
Eine Vernunft, zudem noch eine rationale, die da „Bewusstsein gestaltet“ (nicht „schafft“, sondern eben gestaltet, das ist ein feiner Unterschied, klingt nämlich so, wie ein Kunstwerk hervorbringen, dieses „gestalten“!). Ja, das sind sie doch, diese verborgenen, ja nicht mal all zu verborgenen, Mechanismen der kleinbürgerlichen Macht, die sich da aus ihrem Auftrag, nämlich im Interesse der bürgerlichen Herrschaft die Gehirnwäsche ins revolutionäre Proletariat hinein zu tragen, ergibt.

faz.net/blogs/stuetzen/archive/2010/07/10/antrag-zur-abschaffung-der-ddr

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